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Jede Minute Arbeitszeit muss in der EU dokumentiert werden. Das hat der EuGH nun bestätigt.

Foto: Reuters / Wolfgang Rattay

Wien – Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verpflichtet die Arbeitgeber der EU-Mitgliedstaaten, jede einzelne geleistete Arbeitsstunde ihrer Mitarbeiter zu dokumentieren – und dadurch alle Überstunden zu erfassen. Das Urteil, das auf eine Debatte der Deutschen Bank in Spanien zurückgeht, entspricht mehr oder weniger der Rechtslage in Österreich. Aber nicht ganz, sagt ein Arbeitsrechtsexperte: Ausnahmen für Außendienstmitarbeiter und Home-Office-Arbeiter, die nur ihre Tagessalden aufschreiben müssen, müssten nun überdacht werden.

"Wenn man Anfang und Ende der Arbeitszeit nicht genau aufzeichnet, dann sieht man nicht, wenn Überstunden anfallen", sagt Philipp Maier, Rechtsanwalt bei Baker McKenzie in Wien. Wenn etwa eine Arbeitszeit von 9 bis 16 Uhr vereinbart sei und der Mitarbeiter von 10 bis 17 Uhr arbeitet, dann falle trotz der sieben Stunden Arbeitszeit eine Überstunde an. Das Gleiche gelte für Gleitzeitvereinbarungen, wenn der vereinbarte Rahmen überschritten werde.

"Überstunden werden nicht bezahlt"

Diese Ausnahmen, die seit 2014 bestehen, seien auch tatsächlich problematisch, betont Maier: "Auch in Österreich haben wir das Problem, dass Überstunden nicht entsprechend registriert und bezahlt werden."

Auch die Einhaltung von Ruhezeiten, Ruhepausen und die Fälligkeit von Zuschlägen könne man nur kontrollieren, wenn Arbeitszeiten genau aufgezeichnet werden, fügt Maier hinzu. Auch dies stelle die bestehende Rechtslage in Österreich infrage.

Dem Ruf aus der Wirtschaft nach einer Vertrauensarbeitszeit, bei der auf Stundenaufzeichnungen völlig verzichtet werden könnte, habe der EuGH jedenfalls einen Riegel vorgeschoben.

Strenges EuGH-Urteil

Laut dem EuGH-Urteil müssen alle EU-Staaten "ein System einrichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann". Zur Begründung verwiesen die Luxemburger Richter nicht nur auf die Arbeitszeitrichtlinie, sondern auch auf die Grundrechtecharta der EU. Diese verbürgten "das Grundrecht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten". Ohne ein System der Arbeitszeiterfassung sei dies nicht zu gewährleisten.

Das Urteil hat weitreichende Folgen. Denn auch in Deutschland – wie wohl auch in anderen Ländern der EU – werden nicht in allen Branchen beziehungsweise Betrieben die Arbeitszeiten systematisch erfasst.

AK fordert Ende der Verfallfristen

Die Wirtschaftskammer sieht in einer ersten Reaktion, anders als Maier, keine signifikanten Auswirkungen auf Österreich. Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl nutzt den Anlass, um ein Ende der Verfallsfrist für nicht bezahlte Überstunden zu verlangen: "Mehr- und Überstunden dürfen nicht verfallen. Wer Überstunden mutwillig vorenthält, soll das Doppelte zahlen müssen." Denn während eines aufrechten Arbeitsverhältnisses fordern viele Arbeitnehmer derzeit vergeblich die Bezahlung offener Überstunden ein oder trauen sich nicht, das zu tun. Wird nach Ausscheiden aus dem Betrieb geklagt, ist es dann oft zu spät.

Wie in Deutschland besteht in Spanien bisher nur eine Pflicht zur Erfassung der Überstunden. Von der Deutsche Bank SAE hatte die Gewerkschaft CCOO aber verlangt, ein System zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit einzuführen. Andernfalls könnten auch die Überstunden nicht korrekt ermittelt werden. 53,7 Prozent der Überstunden in Spanien würden daher nicht erfasst. Der Nationale Gerichtshof in Spanien legte den Streit dem EuGH vor, der gab der Gewerkschaft nun recht. Die in Spanien und ähnlich auch in Deutschland übliche Erfassung nur von Überstunden reicht danach nicht aus.

Verwirrung in Spanien

In Spanien hat die verpflichtende Arbeitszeiterfassung für Verwirrung gesorgt. Zahlreiche Unternehmen hätten sich nicht darauf vorbereitet, sagte eine Sprecherin des Gewerkschaftsdachverbands CCOO. Denn ein entsprechendes Gesetz, das die Arbeitgeber dazu verpflichtet, die geleistete Arbeitszeit lückenlos zu dokumentieren, war am Sonntag – also fast zeitgleich mit dem EuGH-Spruch – in Kraft getreten. Das Gesetz war vor zwei Monaten von der sozialistischen Minderheitsregierung von Pedro Sánchez beschlossen worden. Von den Unternehmen sei das Gesetz jedoch nicht ernst genommen worden, klagte Arbeitsministerin Magdalena Valerio. So beschwerten sich etwa Hotelangestellte auf Mallorca, ihre Arbeitgeber hätten sie Dokumente mit gefälschten Arbeitszeiten unterschreiben lassen.

Arbeitsministerin Valerio kündigte an, die Einhaltung des Gesetzes zu überprüfen. Mit den neuen Regelungen wolle die Regierung vor allem unbezahlte Überstunden und Schwarzarbeit bekämpfen. Die Unternehmen können die Arbeitszeiten wahlweise durch digitale Stechuhren, Apps oder in Papierform erfassen und müssen die Daten vier Jahre lang aufbewahren. Nach Einschätzung von Experten ist das Gesetz eines der strengsten der Welt. So gilt es etwa auch für Angestellte, die von zu Hause aus arbeiten. (ef, APA 14.5.2019)