Seit am Samstag ein Video öffentlich wurde, in dem zu sehen ist, wie ein Polizist einen Aktivisten schlägt, tauchten neue Anschuldigungen gegen Beamte auf. Die Wiener Polizei bezeichnet diese als "teilweise absurd" und verspricht lückenlose Aufklärung.

Foto: screenshot/twitter

Wien – Nach mutmaßlicher Polizeigewalt bei der Räumung einer Blockade von Klimaaktivisten am Freitag war es zu breiter Kritik gekommen. SPÖ, Neos und Liste Jetzt forderten Konsequenzen. Nur die FPÖ sah "verstörendes Polizeibashing".

"Absurde Anschuldigungen"

Die Wiener Polizei legt nun in einer Aussendung erneut ihre Sicht der Dinge dar. Nicht nur für alle angezeigten Personen, sondern auch für die Polizisten gelte die Unschuldsvermutung, wird in der Aussendung betont. "Die teils absurden Anschuldigungen gegen die Wiener Polizei, die in diversen sozialen Netzwerken kursieren, werden aufs Schärfste zurückgewiesen."

Im Zuge der Bearbeitung der Festnahmen und Befragung der bei der Demonstration angehaltenen Personen sei lediglich ein Misshandlungsvorwurf gegenüber der Behörde geäußert worden. "Dabei handelt es sich um die Vorkommnisse rund um das bereits bekannte, medial veröffentlichte Video. Dieser Vorwurf wurde unverzüglich an das Referat besondere Ermittlungen weitergeleitet, und die Staatsanwaltschaft Wien wurde mittels Anlassbericht in Kenntnis gesetzt", schreibt Polizeisprecher Patrick Maierhofer.

Das am Samstag per Twitter verbreitete Video zeigt einen Mann, der zunächst von drei, danach von fünf Polizisten in Bauchlage auf dem Boden fixiert wird. Ein Beamter versetzt ihm von hinten offensichtlich mehrere heftige Faustschläge gegen Oberkörper oder Kopf, wobei das genaue Geschehen teilweise durch andere Polizisten verdeckt ist. Der beschuldigte Polizist wurde in den Innendienst versetzt. Die Wiener Polizei lege höchste Priorität auf eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls, heißt es in der Aussendung.

Vorfall mit gebrochener Hand kann "nicht verifiziert" werden

Später aufgetauchte Misshandlungsvorwürfe könne die Polizei aber nicht überprüfen, da sich die Personen nicht direkt an die Polizei gewendet hätten. "Zur medialen Berichterstattung, wo ein Aktivist behauptet hat, durch Polizeigewalt einen Bruch des Mittelhandknochens erlitten zu haben, konnte ein Einsatzbericht der Wiener Berufsrettung ausfindig gemacht werden", erklärt Maierhofer das Vorgehen der Polizei. Laut diesem Bericht habe man aber keine sichtbaren Verletzungen festgestellt, der Betroffene habe die Hand außerdem frei bewegen können.

"Der Aktivist verweigerte auch gegenüber der Rettung die Herausgabe der Daten und eine weitere Untersuchung. Ob hier daher tatsächlich ein Zusammenhang besteht, kann derzeit auch aufgrund der Anonymität des Mannes nicht verifiziert werden", heißt es in der Aussendung.

Laut dem Aktivisten wurde ihm von einem Sanitäter dazu geraten, die Hand röntgen zu lassen. "Ich konnte die Finger auch bewegen, erst beim Zurückbiegen der Hand nach außen ist mir die Verletzung aufgefallen", sagte der 35-Jährige. Der Bruch sei "schwierig zu diagnostizieren. Er ist im Krankenhaus auch erst beim CT und nicht beim Röntgen bemerkt worden", schilderte der Aktivist. Der Krankenhausbefund inklusive Diagnose liegen der APA vor.

Kritik an Medien

Der Mann ließ seine Verletzung erst am Sonntag in einem Krankenhaus in Oberösterreich versorgen. Als Ursache gab er an, hingefallen zu sein. Hätte er als Grund Polizeigewalt genannt, "hätte das Krankenhaus Anzeige erstatten müssen", erklärte er. Aus Angst vor Repressionen habe er dies also nicht gemacht.

Maierhofer kritisierte außerdem die Medien: "Die medialen Darstellungen der Ereignisse entbehren teilweise dem Grundsatz einer objektiven und faktenbasierten Berichterstattung. Insbesondere die Kommentare und Vorwürfe des gestern in den Medien veröffentlichten Videos rund um eine Festnahme neben einem Polizeibus lassen sich mit diesem Grundsatz nicht in Einklang bringen."

Auf dem Video ist zu sehen, wie ein Mann von zwei Beamten auf dem Boden nahe einem Streifenwagen fixiert wird. Als sich das Fahrzeug kurz darauf in Bewegung setzt, wird der Kopf des Mannes beinahe von einem der Räder erfasst, er wird im letzten Moment von den Polizisten hochgerissen. Der Aktivist soll laut eigenen Angaben 600 Euro Verwaltungsstrafe bezahlen, weil er sich den Aufforderungen der Polizei widersetzt hat.

Das Video wurde von der Polizei "zur weiteren strafrechtlichen Überprüfung und Beurteilung der Staatsanwaltschaft weitergeleitet", twitterte sie.

Dieses Video wurde von der Polizei "zur weiteren strafrechtlichen Überprüfung und Beurteilung der Staatsanwaltschaft weitergeleitet", twitterte sie.
Michael Trauer

Gewerkschaft verweist auf schwierige Arbeitsbedingungen

Auch die Vertretung der sozialdemokratischen Gewerkschafter (FSG) in der Polizeigewerkschaft hat am Dienstag Vorverurteilungen in sozialen Medien bezüglich mutmaßlicher Polizeigewalt kritisiert. Es sei nicht nachvollziehbar und unverständlich, dass die Polizei pauschal als gewaltbereit dargestellt wird, sagte der sozialdemokratische Polizeigewerkschafter Hermann Greylinger (FSG) in einer Aussendung.

"Die Ermittlungstätigkeiten laufen, die Auftragslage, die vorgefundene Situation und die gesetzten Maßnahmen werden geprüft", betonte er. Über Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit werden Staatsanwaltschaft und allenfalls Gerichte entscheiden.

Fakt sei, dass Polizisten mit ihrem Einsatz "trotz Personalmangels und oft schlechter Arbeitsbedingungen für Sicherheit sorgen", betonte Greylinger. "Die Kolleginnen und Kollegen in Wien müssen Überstunden leisten bis zum geht nicht mehr", kritisierte der Gewerkschafter. Dass da "irgendwann geistige Erschöpfung eintritt, ist auch klar". Wie lange die Beamten, welche die Blockade geräumt hatten, im Einsatz waren, sei für ihn noch unklar. "Oftmals werden solche Dienste aber an den Hauptdienst angehängt. Das ist alles keine Entschuldigung, aber eine Erklärung", sagte Greylinger. Wenn Beamte "bis zum Rand der Erschöpfung" arbeiten müssten, würde sich dies auch auf ihre Reizschwelle auswirken. "Man muss beim System ansetzten, dass solche Dinge verhindert werden", forderte der Gewerkschafter.

Aktivisten kündigen Demo an

Indes haben die Teilnehmer eine weitere Demonstration am Donnerstag in Wien angekündigt. Sie soll unter dem Titel "Halt der Polizeigewalt – für ein gutes Leben für alle" am Ort des Geschehens abgehalten werden.

Immer mehr Videos zeigen laut der Gruppierung "Ende Geländewagen" ein "unverhältnismäßiges Vorgehen der Polizei" bei der Aktion am Freitag. "Die Polizei ist bei der Räumung sehr rabiat vorgegangen und in vier Fällen, die uns bisher bekannt sind, kam es zu schlimmeren Verletzungen. Dazu kommen zahlreiche Blutergüsse", begründete Sina Reisch, Pressesprecherin der Aktion, den Vorwurf.

Die Härte der Polizei sei für die Aktivisten wenig überraschend. "Der fossile Kapitalismus wurde historisch mit Gewalt durchgesetzt, und auch heute kommen Zwang und Repression zum Einsatz, um einen Wandel zu einer klimagerechten Zukunft zu verhindern", sagte Mattis Berger, Pressesprecher von Ende Geländewagen.

Von der Urania zur Rossauer Lände

Die Klimaaktivisten kündigten an, sich nicht einschüchtern zu lassen. Die Demonstration wurde erst am Dienstag angemeldet. Geplant sei, sich vor dem Verkehrsministerium zu treffen und dann über den Franz-Josefs-Kai entlang der Urania zur Rossauer Lände zu gehen, sagte Berger.

96 Festgenommene

Von den 96 am Freitag vorläufig Festgenommenen wurde neben dem Aktivisten, dem die Faustschläge versetzt worden waren, eine weitere Person wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt gefasst, die restlichen 94 wegen verwaltungsrechtlicher Übertretungen. Bei 92 Personen konnte auch im Polizeianhaltezentrum die Identität nicht festgestellt werden, da sie keine Dokumente bei sich führten und auch sonst an der Identitätsfeststellung nicht mitwirkten, gab die Polizei am Dienstag bekannt.

Das Verwaltungsstrafgesetz sieht eine maximale Dauer der Anhaltung zur Identitätsfeststellung von 24 Stunden vor, spätestens danach hat eine Freilassung zu erfolgen. (APA, lhag, 4.6.2019)