Imposante Lokale kosten viel. Was in Wien zuletzt an Krösus-Kirrungen aufgesperrt hat, war von Aï über Graben 30 bis Tuya auf ostentative Geldverbrennung fokussiert. Hat nur keinen interessiert: Zwei der drei Tempel sind schon wieder Geschichte. Guten Geschmack krallt man sich eben nicht so schnell wie das eine oder andere Vermögen. Der kommt mit der Zeit, den muss man schulen.

Das lässt sich zum Beispiel an dem festmachen, was Michi Klein (genau, die aus der Almdudler-Dynastie) der Stadt über die Jahre an Lokalen geschenkt hat. Zuerst einmal das Unger & Klein, eine seit 1992 etablierte, hinreißend elegante (und grandios gealterte) Weinbar samt -handlung am Rudolfsplatz. Dann die Schmuckschatulle beim Hochhaus in der Herrengasse, wo bester Espresso buchstäblich im Vorbeigehen zu haben ist.

Ein richtig imperiales Alt-Wiener Büromaschinengeschäft in der Josefstadt wurde zum Restaurant.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Und, seit ein paar Wochen, Das kleine Paradies: ein Josefstädter Büromaschinengeschäft aus der Kaiserzeit, das dank Geschmacks, langen Atems und einer Stange Geld zu einem gastfreundlichen Ort wurde. Allein die Restauration der intarsierten Holzpaneele dauerte ein halbes Jahr. Dafür erstrahlt der Ort mit all seinem Stuck, den Marmor-Einfassungen der Fassade, den Zierbalkönchen und Alkoven jetzt in liebevoll zurückgeholter Pracht und Detailverliebtheit, von der andere Orte unserer vergangenen Metropole nicht einmal träumen dürfen.

Wie man Geschichte ins Heute holt, zeigt der weich federnde, flaschengrüne Kunststoffboden, der das museale Interieur einerseits zum Leuchten bringt, es aber auch unmissverständlich als Gebrauchsobjekt definiert. Ob die in der Lokalmitte geparkte Mosaikbar in Bronze ein idealer Kontrast oder doch ein Ufo aus den Tiefen der 1990er ist, kann man diskutieren.

Im Gegensatz zu den erwähnten Oligarchenkantinen kann man es sich hier auch mit echt verdientem Geld gutgehen lassen. Köstliche Weine gibt’s ab 2,80 Euro, Cocktails ab fünf Euro, und das Essen ist dank Co-Geschäftsführerin Eschi Fiege, die ihren grandios vegetarischen Mittagstisch hierher transferiert hat, sowieso ein Traum.

Der Koch ist Tomaž Fink, einst Souschef im Skopik & Lohn, dem das Abendkonzept mit zum Teilen eingestellten Gerichten offensichtlich behagt – in Frau Fiege hat er auch einen kompetenten Sparringspartner.

Parfait!

Vorweg soll es fantastischer Linsensalat mit Melanzanicreme und eingelegten Radieschen sein (siehe Bild), oder kühler Wels mit Fenchel und Chili-Mayo. Hendlleberparfait mit Portwein ist pures, gutes Gift. Beim Forellentartare wirkt die Zitronenmarinade gar parfümiert, dafür sind die Erdäpfel-Schnittling-Ravioli ideal cremig und bissfest zugleich.

Fantastischer Linsensalat mit Melanzanicreme und eingelegten Radieschen.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Zum Hauptgang kann man confierten Sellerie mit Steinpilz-Mandel-Salsa auffahren lassen oder ein ausgebeintes, im Ganzen gebratenes Hendl mit kraftstrotzendem Natursaft und Weintrauben. Steaks aller Art gibt es auch, von Fred Zehetners langsam gewachsenen Black-Angus-Rindern.

Und vor allem eine Batterie an Zuspeisen: Verbrannten Karfiol mit Kapern will man haben, den köstlichen Gurkensalat ebenso, die Bohnencreme mit Lardo und das Erdäpfelpüree sowieso. Hinterher muss Schokomousse und Hagebuttenmark sein, die zwischen hauchdünn knackende Schokoblättchen geschichtet werden – himmlisch ist gar kein Ausdruck!

Was man sich nicht erhoffen darf, ist dieses Paradies nur mit Engeln teilen zu dürfen. Manchmal kann der Durchsatz ausgemusterter Promis beinahe penetrant sein. So wie vergangene Woche, als sich ein burgenländischer Gourmetkoch a. D., eine gegangene Museumsdirektorin mit ihrem Zahnarzt und ein ehemaliges Fischzüchter-Trachtenpärchen zeitgleich – wenn auch an verschiedenen Tischen – an den Köstlichkeiten labten. Wir lernen: Es gibt einfach zu wenig tolle Lokale in Wien. (Severin Corti, RONDO, 27.9.2019)

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Lokale in Österreich: Severin Cortis Restaurantkritiken