Stillleben im Auge des Orkans: Im Dogenhof auf der Praterstraße ist Feuer die einzige Hitzequelle. Boomt zu Recht.

Foto: Corti, Wasserbauer

Die Rettung der Welt kann nur analog gelingen. Für Florian Kaps, den Mann, der schon die Polaroidfilme vor dem Ende bewahrt und das Supersense zu einem verrückt schönen Hort der Zeitvergessenheit gemacht hat, gibt es da keinen Zweifel. Ob sie gelingen wird, ist nicht ganz so sicher. Aber davor sollte man gut gegessen haben.

Deshalb wurde da schon immer gut gekocht – manchmal unter so analogen Bedingungen, dass sie dem Marktamt nicht einmal ansatzweise erlaubt erscheinen durften. Der Kohletransporter auf dem Gehsteig, aus dem Matthias Zykan vor ein paar Jahren die aufregendste Thai-Küche der Stadt herausheizte, war so ein Ding. Aber auch die famosen Taubenkobels nutzten das Supersense schon für ihr traditionelles Weihnachtsgeld-Abrahmen in der Hauptstadt.

Das nebenan siechende Café Dogenhof sprach schon seit Jahren zu Kaps. Dem Vernehmen nach verlangten konkret die venezianisch inspirierten Alkoven, dass er aus der einen oder anderen von ihnen doch eine massive Feuerstelle machen solle, samt Grillrost, Glutofen, Rauchkörben und anderen archaischen Flammengar-Utensilien mehr. Das sei nämlich, sieht doch jeder, ihre eigentliche Bestimmung.

So war es dann auch. Mitte Februar wurde eröffnet, das Lokal abseits aller gängigen Schick-Dogmen zu skulpturaler Schönheit gemeißelt, ein Ort des radikal aufs Wesentliche konzentrierten Kochens, wunderschön. Wobei: Kühlschrank gibt es doch, sogar einen Trockenreifeschrank für die mächtigen Côtes und anderen Cuts vom XO Beef. Das fantastisch marmorierte Fleisch alter Weidemilchkühe, die nach zahllosen Sommern und harten Wintern auf der Alm, nach zigtausenden Litern Milch und etlichen Kalbln auch noch zu unendlich köstlichem Fleisch reifen, ist für einen nachhaltig bewegten Esser wie Kaps natürlich unwiderstehlich.

Gekocht wird ausschließlich am Feuer, sogar das Wasser für die Frühstückseier muss Küchenchef Lukas Stagl (jugendliche 22) über der Glut aufsetzen. In den Wochen vor dem Lockdown wurde bei vollem Haus noch ein bissl probiert. Die Schließzeit hat die Crew um Restaurantleiter Simon Steiner genutzt, um der anfangs gar reduzierten Küchenlinie gerade jenes Raffinement zu verpassen, das den Unterschied zwischen Kunstprojekt und begehrenswerter Adresse ausmacht. Die Gäste sind dementsprechend hingerissen, ohne Reservierung geht selbst an einem faden Dienstag gar nix.

Carne cruda von der alten Kuh, ebenso pur wie elegant von Sauerampfer, Sardellenmayo und Senfkaviar begleitet – Tartare für Auskenner.
Foto: Corti, Wasserbauer

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Sie dürfen sich auf Lebensmittel von etlichen der tollsten Handwerker des Landes freuen, in der Feuerstelle noch einmal mit Emotion aufgeladen. Auf Käse von Robert Paget zum Beispiel, mit ofengeschmorten Paradeisern und Kräutern von Evi Bach, süß, schmelzend, extrem gut. Oder auf ein Sandwich von epochaler Kraft, mit Porchetta vom Tullner Fleischer Hans Schmölz und einer im Dogenhof gemixten Kräutermischung, recht fett und doch von ätherischer Leichtigkeit, wahnsinnig gut.

Oder Carne cruda von der alten Kuh, ebenso pur wie elegant von Sauerampfer, Sardellenmayo und Senfkaviar begleitet – Tartare für Auskenner. Oder Karfiol aus dem Feuer mit tagesfrischen Schwammerln der Pilzbrüder aus dem Keller des Mochi-Hauses, Salzzitronen-Crème-fraîche und Granatapfel – nicht gerade sommerlich, dafür knackig, komplex, gekonnt abgeschmeckt.

Oder kurz sautiertes, berauschend süßes Bries mit cremiger Bergkäse-Polenta (könnte vom Fogolar im Friaul nicht besser sein!) und gegrillten Bittersalatblättern – ein Teller von geradliniger Herrlichkeit, nach wie vor eine Seltenheit in Wien.

Der Dogenhof mag das hübscheste Lokal seit sehr langer Zeit sein, das Essen aber ist von großem Ernst – halt auf eine Art, die einen sehr gierig werden lässt. (Severin Corti, RONDO, 19.6.2020)

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