Betrifft: "Wenn Migrantenkinder chancenlos sind: Melisa Erkurt spricht für die Verlierer"

Der Journalist Gerald John zitiert im oben angeführten Artikel Frau Erkurt, die vom Versagen einzelner Lehrkräfte, ja des Systems im Zusammenhang von Schule und Kindern "mit Migrationshintergrund" spricht. Sie thematisiert auch die allgemeine gesellschaftliche Diskriminierung ebendieser Kids, die es zweifellos gab und gibt. Vorurteile und schlichte Verallgemeinerungen sind bekanntlich in den Köpfen vieler Menschen – nicht nur in den österreichischen – verwurzelt.

Wenn sie allerdings von Kindern spricht, die in der Volksschule "nicht einmal die Farben kennen", wird deutlich, von welchem Problem eigentlich die Rede ist: von der Benachteiligung von Kindern aus "bildungsfernen Schichten", wie es so schön euphemistisch heißt. Die gibt es hierzulande allerdings nicht erst seit den 90er-Jahren, als viele Menschen vor dem Krieg in Ex-Jugoslawien in das benachbarte Österreich flüchteten. Immer schon hatten es Kinder hierzulande in der Schule schwer, wenn zu Hause niemand helfen konnte.

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Volkschüler, die die Farben nicht kennen, unter anderem davon berichtet Melisa Erkurt in ihrem Buch "Generation haram".
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Was alle diese Kinder – mit oder ohne Migrationshintergrund – brauchen, ist die Gewissheit, dass sie in der Schule das lernen können, was sie benötigen, um in ihrem Leben ihre Vorstellungen zu verwirklichen. Sie haben ein Recht darauf zu erkennen, welche Grundlagen eine Demokratie braucht, was Toleranz – vor allem den anderen gegenüber – bedeutet, wie wichtig uns die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist, welche Leistungsbereitschaft in der Arbeitswelt erwartet wird und nicht zuletzt, von welchem Vorteil die Beherrschung der deutschen Standardsprache ist.

Zementierte Gräben

Wenn Frau Erkurt von der "Generation Haram" spricht, zementiert sie allerdings Gräben, die in der Schule zugeschüttet werden könnten. Gemeinsamkeiten zu finden und nicht Unterschiede zu betonen, das ist das Fundament der Schule. Aus meiner 37-jährigen Erfahrung als Lehrerin an einer berufsbildenden mittleren und höheren Schule im Zentralraum weiß ich, dass alle benachteiligten Kinder vor allem eines brauchen: gute Vorbilder in der eigenen Community, Lehrkräfte, die ihnen im Unterricht wertschätzend, aber auch konsequent begegnen, wenn sie Fehler im sozialen Umgang machen (mir ist dabei egal, ob der/die Jugendliche Kevin oder Mohammed oder Lejla oder Mia Sunshine heißt), und eine realistische Perspektive für ihr Leben. Ein Kind aufzugeben ist die allerletzte Option.

Dass die Gesamtschule einen wichtigen Beitrag zur Chancenförderung leisten kann, ist eine Aussage, der ich voll zustimmen möchte. Wir müssen in der Schule das tun, was unser wichtigster Auftrag ist: Alle Kinder lehren, dass sie dazugehören können, wenn sie es wollen. Und sie werden dann lernen, was sie für ihren Lebens- und Berufsweg brauchen.

Ingrid Bräuer, 4020 Linz (24.8.2020)