Zur Wiener Game City strömen Jahr für Jahr zehntausende Besucher.

Foto: APA/Neubauer

Keinen Grund zum Feiern hatte Peter Ehardt zu Weihnachten und Silvester 2019. Im September 2017 hatte der Wiener die Spieleentwicklerfirma Iron Mountain Interactive gegründet. Kurz vor der Veröffentlichung ihres ersten Spiels Steel Circus zog der chinesische Investor den Stecker. Die Insolvenz war die Folge, 20 Mitarbeiter verloren ihren Job.

STEEL CIRCUS

Ans Aufgeben dachte Ehardt aber nicht. Er gründete mit Helmut Hutterer und Michael Borras nun ein neues Spielestudio in Wien. Dank des Einstiegs der schwedischen Embracer Group ist die Zukunft der heimischen Firma gesichert. Rund 70 Prozent des ehemaligen Teams von Iron Mountain Interactive arbeiten jetzt wieder für das neue Studio. Entwickelt wird ein Multiplayer-Adventure, mehr Infos soll es in ein bis zwei Jahren geben.

Xbox

Ehardts Geschichte steht stellvertretend für die Wiener Spieleentwicklerszene. Bis auf Ori-Entwickler Moon Studios, der seinen Sitz im siebenten Bezirk der zweitgrößten deutschsprachigen Stadt hat und wo dezentral verteilt aus aller Welt gearbeitet wird, gibt es keine großen Player am Spielemarkt. Vielmehr liefern die Wiener Studios kleinere Perlen wie das von Apple ausgezeichnete Smartphone-Spiel Frost von den Kunabi Brothers oder Old Man's Journey von Broken Rules. Rund 90 Spieleentwickler gibt es in ganz Österreich – ein Großteil davon besteht aber nur aus maximal fünf Mitarbeitern.

Broken Rules

Rockstar in Wien

Das war nicht immer so. Mit Rockstar Vienna hatte einer der größten Spielekonzerne der Welt bis 2006 einen Ableger in Wien. Mehr als 100 Entwickler arbeiteten dort, was es zu einem der größten Studios im deutschsprachigen Raum machte. Über Nacht wurde das Unternehmen aber zugesperrt. Laut der Konzernzentrale in New York war der Wiener Ableger einfach nicht rentabel genug. Auch Ehardt war bei Rockstar Vienna tätig, bis er zu Sproing Interactive Media wechselte, das 2017 zusperrte. Der Wiener kennt die heimische Spieleindustrie mit ihrem Auf und Ab also sehr gut.

Mit Rare Earth Games haben Helmut Hutterer, Michael Borras und Peter Ehardt einen neuen Spieleentwickler in Wien gegründet.
Foto: Rare Earth Games

Er sieht vor allem Versäumnisse in der Politik und mangelnde Akzeptanz, sodass sich Wien noch nicht behaupten kann. "Es gibt so gut wie keine Unterstützung seitens der Regierung, um Game-Development für Österreich lukrativ zu gestalten", schildert Ehardt. Hinzu kämen Bürokratie und "Unkenntnis der Branche" auf fast allen Ebenen des Wirtschaftssystems. "Genügend Banken haben uns bei der Gründung von Firmenkonten belächelt, weil sie nicht wussten, dass es Spieleentwickler in Österreich überhaupt gibt, geschweige denn dass man Geld damit verdienen kann", erzählt Ehardt.

kunabi brother

Allerdings ist die Spieleindustrie auch nicht gerade für arbeitnehmerfreundliche Arbeitszeiten bekannt, was viele Talente in andere IT-Bereiche gehen lässt. Hutterer, der schon lange in der Branche ist, sagt aber, dass sich hier aktuell etwas tut und es immer mehr Unternehmen schaffen, auch ohne Überlastung ihrer Mitarbeiter erfolgreich zu sein. Gerade die öffentliche Diskussion zum Thema "Crunch", also enorm vielen Überstunden in einem kurzen Zeitraum, soll hier einen Paradigmenwechsel herbeigeführt haben.

Es braucht wohl ein Wunder

Damit sich Wien zu einem Hotspot für Spieleentwickler mausert, braucht es neben guten Arbeitsbedingungen aber wohl auch ein Wunder. Die wichtigsten Player sind mittlerweile in den USA, Japan und anderen Teilen Europas zu finden.

Das ist kein Zufall, wie ein Blick nach Finnland zeigt. Dort schüttete das Finanzministerium in den vergangenen 20 Jahren 100 Millionen Euro Förderungen für Spieleentwickler aus. Das Ergebnis sind ausgezeichnete Studios wie Remedy, Rovio und Supercell mit Millioneneinkünften und hunderten Mitarbeitern. Auch in Polen werden regelmäßig die Früchte von staatlichen Investments geerntet: Mit Cyberpunk 2077 kommt heuer das meisterwartete Game aus Polen. Dafür verantwortlich ist CD Projekt RED, das mit The Witcher 3 in nur zwei Jahren einen Umsatz von mehr als 50 Millionen Dollar erwirtschaftete.

Microsoft Flight Simulator

In Wien begnügt man sich mit deutlich weniger. Hoffnung schöpft Ehardt aus der heimischen Szene und Vereinen wie Pioneers of Game Developement Austria, dem Verband der österreichischen Spieleentwickler. Dieser macht sich in der Politik stark und versucht ein Umdenken einzuläuten. Bis dahin braucht es aber wohl weiterhin Entwickler wie Ehardt, die für das Medium glühen und auf den großen Hit hoffen. In Graz ist dieser erst kürzlich eingetreten: Blackshark.ai, Schwesterfirma des Spielestudios Bongfish, entwickelt künstliche Intelligenz für Microsofts Flight Simulator. Das Game gilt als eines der innovativsten der vergangenen Jahre und wird das heimische Unternehmen noch die nächsten Jahre beschäftigen. (Daniel Koller, 30.8.2020)