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Der WTO droht die Bedeutungslosigkeit. Auf den neuen Chef kommen große Aufgaben zu.

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Drei Frauen und fünf Männer aus vier Kontinenten wollen den Job an der Spitze der krisengeplagten Welthandelsorganisation (WTO). Erstmals könnte Afrika bei der Besetzung der Topposition zum Zuge kommen. Erstmals könnte eine Frau es schaffen. Der Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala und der Kenianerin Amina C. Mohamed werden gute Chancen eingeräumt.

Egal, wer sich durchsetzen wird, der neue Generaldirektor übernimmt die Spitze einer tief zerstrittenen Organisation. Die 164 Mitglieder des Klubs am Genfersee konnten sich nicht einmal auf eine Übergangslösung für den bereits abgetretenen Generaldirektor Roberto Azevêdo einigen – der Brasilianer ging mit 1. September zu PepsiCo.

Der nächste Generaldirektor muss die vor 25 Jahren mit viel Vorschusslorbeeren gegründete Institution davor bewahren, in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen. Gegründet wurde sie 1995, um stabile Regeln für einen möglichst freien Warenaustausch festzusetzen und zu überwachen. Besonders exportorientierte Staaten wie Deutschland oder die Schweiz profitieren von einer funktionierenden WTO.

Ab Montag suchen die 164 WTO-Mitglieder aktiv einen neuen Chef mit vier Jahren Amtszeit. Die Kandidaten von links oben nach rechts, zuerst oben: Kenia nominierte Ex-Außenministerin und WTO-Botschafterin Amina C. Mohamed. Der ägyptische Anwalt Abdel-Hamid Mamdouh bekleidete bereits hohe WTO-Positionen. Südkorea nominierte Handelsministerin Yoo Myung-hee, Saudi-Arabien Königsberater Mohammad Maziad Al-Tuwaijri. Unten links der Mexikaner Jesús Seade, der früher schon einmal schon WTO-Vizegeneraldirektor war. Die Republik Moldau nominierte Ex-Außenminister Tudor Ulianovschi. Die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala gilt als eine Favoritin. Sie war erste Finanzministerin ihres Landes. Großbritannien nominierte Ex-Handelsminister Liam Fox.
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WTO-Chef agierte schwach

Protektionismus und Handelskriege, diese wohlstandszersetzenden Übel, untergraben neuerdings den Welthandel. Die WTO selbst meldete in den vergangenen Jahren historische Höchststände an Zöllen, Kontingenten und anderen Abschottungsmechanismen. Corona droht zudem den Welthandel 2020 gegenüber 2019 nach WTO-Schätzungen um rund 13 Prozent einbrechen zu lassen – und könnte zu einer Deglobalisierung führen. Viele Regierungen dürften Gefallen an dem Argument finden, die Grenzen für Personen und Waren zu schließen, um die Gesundheit des Volkes zu schützen.

Eigentlich müsste jetzt die Stunde der WTO, der ökonomischen Vernunft schlagen. Dem Nachfolger des glücklosen Azevêdo kommt darin ein wichtiger Part zu. Zwar verfügt der Generaldirektor gegenüber den WTO-Mitgliedern nicht über formale Macht. Er kann aber Reformdebatten anstoßen, mutig Position beziehen. Vor allem muss der Neue viel vehementer öffentlich und hinter verschlossenen Türen für einen möglichst freien Welthandel werben.

Freier Warentausch

Die WTO-Spitze muss sich für ein System des Warenaustauschs starkmachen, in dem klare Normen herrschen; und diese müssen für alle gelten. Azevêdo bot Protektionisten wie US-Präsident Donald Trump nie ernsthaft Paroli. Selbst in seiner zweiten und letzten Amtszeit schwieg der WTO-Chef zu oft.

Innerhalb der WTO warten ebenfalls Baustellen wie das ramponierte Streitschlichtungssystem; spektakuläre Konflikte wie zwischen den Flugzeugbauern Boeing und Airbus wurden hier ausgefochten. Die USA sperren sich gegen neue Richter in der Berufungsinstanz und machen somit das "Herzstück" der WTO arbeitsunfähig. Die nächste WTO-Spitze muss ein Konzept für einen Neuanfang vorlegen, ein Konzept, das auch den USA zusagt.

2001 startete die WTO in Doha ihr bis dato größtes Projekt: Ein neuer, viele Bereiche umfassender Welthandelsvertrag sollte in drei Jahren unterschriftsreif vorliegen. Damit wollten die WTO-Granden die Globalisierung beschleunigen und die Entwicklungsländer stärker einbinden. Doch die vielen Streitpunkte zwischen Armen und Reichen, zwischen EU, China, Indien und den USA, vor allem der Schutz der Agrarindustrie, ließen die ehrgeizige Initiative langsam sterben.

Neuer Plan gefragt

Die nächste WTO-Führung muss mit den Mitgliedern eine neue, attraktive Agenda ausloten. So könnte angesichts des Klimawandels versucht werden, Umweltfragen und Warenaustausch besser zu integrieren. In der Corona-Krise scheint es geboten, die faire Verteilung von Medikamenten und Impfstoffen in den Blick zu nehmen.

Zudem muss die lähmende WTO-Konsensregel auf den Prüfstand, schon oft verhinderten einzelne Mitglieder Fortschritte hin zu offeneren Märkten. Doch zunächst müssen die Mitglieder im WTO-Jubiläumsjahr die beste Besetzung für den Topjob finden. (ANALYSE: Jan Dirk Herbermann aus Genf, 7.9.2020)