Australischen Landwirten fehlen die Arbeitskräfte. Jetzt drohen Tausende von Tonnen Kirschen, Äpfel, Birnen und Orangen an den Bäumen zu verfaulen, weil sie niemand pflückt.

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Freude, Freundschaft, Kameradschaft – trotz der Hitze und der harten Arbeit." So beschreibt ein junger Rucksackreisender aus Europa in einem Werbevideo seinen Aufenthalt in der australischen Kleinstadt Young. Young, das ist auf dem Fünften Kontinent ein Synonym für Kirschen. Ein Großteil der Kirschenproduktion Australiens stammt aus dieser Region im Bundesstaat New South Wales.

Doch jetzt droht dem Land die große Kirschendürre. Australien hat wegen Covid-19 seit März die Grenzen hermetisch geschlossen. Australier können höchstens mit einer Sondergenehmigung ausreisen. Wenn sie zurückkehren, müssen sie 14 Tage lang in einem Hotel in Quarantäne – Kostenpunkt rund 1800 Euro. Touristen ist die Einreise komplett verboten. Von der Maßnahme betroffen sind auch junge Rucksackreisende mit einem sogenannten "Working-Holiday-Visum". Auch Österreich hat ein entsprechendes Abkommen mit Australien. Es erlaubt jungen Touristen – je nach Herkunft – das Arbeiten für ein oder zwei Jahre. Reisende mit diesem Visum sind in Australien zum Rückgrat der Landwirtschaft geworden.

Zu wenige Rucksackreisende

Mindestens 40.000 Touristen werden in jedem Jahr gebraucht, um in Plantagen und Gartenanlagen Früchte und Gemüse zu ernten. Gegenwärtig befinden sich rund 80.000 Rucksackreisende in Australien – im Juli letzten Jahren waren es noch 135.000.

Auch der Ort Young ist auf Gedeih und Verderb abhängig von den saisonal verfügbaren Arbeitskräften. "Wir brauchen 3500 Helfer pro Jahr, um die Ernte einzubringen", sagt Tom Eastlake, Präsident der Kirschenbauern von Young. Nur Tage vor Beginn der Ernte hätten sich die Züchter die benötigten Arbeitskräfte nicht sichern können. Falls sie nicht bald eine Lösung fänden, sei eine der besten Ernten der letzten Jahre gefährdet. "Wir hatten die besten Wetterbedingungen seit langem", so Eastlake. "Diese Chance zu verpassen ist das Letzte, was wir wollen."

In Australien steht die Kirsch-Saison vor der Türe. Doch die Erntehelfer fehlen.
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Australien ist ein weltweit führender Produzent von Früchten und Gemüse. Fast 90 Prozent der Ernte im Gesamtwert von etwa sieben Milliarden Euro gehen in den Export in über 60 Länder. So ist die Angst auch in anderen Agrarregionen groß. Kaum jemand rechnet damit, dass die Grenzen Australiens vor Ende dieses Jahres wieder geöffnet werden. Einige Beobachter glauben, die Einreise werde bis Mitte 2021 nicht möglich sein.

In ihrer Not versuchen Produzenten, Einheimische als Erntehelfer zu gewinnen. Doch auch das Reisen in Australien selbst wird durch Grenzsperrungen zwischen einzelnen Bundesstaaten behindert. Sie werden zwar langsam wieder gelockert, trotzdem ist es selbst für Interessierte nicht immer möglich, die Kosten für eine Reise über Hunderte von Kilometern zu rechtfertigen, um dann für ein bescheidenes Einkommen zu arbeiten.

Schlechter Ruf

Denn die Gartenbauindustrie hat den Ruf, besonders schlecht zu bezahlen und junge Erntehelferinnen und -helfer finanziell auszunutzen. Immer wieder kommt es zu Meldungen über sexuelle Übergriffe durch Bauern auf junge Rucksacktouristinnen. Laut Medienberichten will die australische Regierung jetzt prüfen, jenen Touristen eine Amnestie zu gewähren, die trotz Ablaufs ihres Visums im Land geblieben sind, falls sie sich verpflichten, danach in der Gartenbauindustrie zu arbeiten. Schätzungen zufolge befinden sich mehrere Zehntausend vorwiegend junge Menschen nach Ablauf ihres Visums illegal in Australien. (Urs Wälterlin aus Canberra, 5.10.2020)