Eines muss man Sebastian Kurz lassen. Tempo und Härte, mit denen er auf Kritik, Fehler oder Skandale reagiert, ablenkt, andere politische Themen setzt, Probleme selbst aufwirft und die Lösungsvorschläge gleich dazu, sind verblüffend. Wie der Bundeskanzler dabei die Schuld am Versagen seiner Regierung anderen zuschiebt, seine eigene Verantwortung aber kühl wegdrängt, gehört zu diesem Stil dazu.

In der ZiB 2 am Mittwoch konnte die Nation das bei einem Interview mit ihm live mitverfolgen. Sosehr sich Moderator Martin Thür auch bemühte, Licht ins Dunkel des verpatzten Einkaufs von Corona-Impfstoff zu bringen, es war vergebens. Kurz blockte jede sachliche Frage dazu ab, auch was Gesundheitsminister Rudolf Anschober betrifft. Am Schlamassel soll allein ein hoher Beamter schuld sein, die gesamte Regierung arglos unwissend. Wenig glaubwürdig.

Bundeskanzler Sebastian Kurz schiebt die Schuld am Versagen seiner Regierung anderen zu.
Foto: AFP/JOE KLAMAR

So leicht kann es sich ein Regierungschef nicht machen. Die Hintergründe dieses für Bürger und das Land so wichtigen Beschaffungsaktes gehören sauber aufgeklärt, bis in jedes Detail. Dafür ist das Parlament da, dem Kurz und seine Minister in Fachausschüssen Rede und Antwort stehen müssen. Es steht fest, dass die Fehler in Wien passiert sind, nicht in Brüssel, wie das Kanzleramt zunächst glauben machen wollte.

Umso lieber spricht der Kanzler jetzt darüber, wie super es doch sei, dass sich auf EU-Ebene eine Lösung abzeichne, um die nationale Unterversorgung mit Impfstoff in einem halben Dutzend Mitgliedsstaaten zu stoppen. Er persönlich habe das mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel gedealt. Hauptbetroffen davon sind Bulgarien und Lettland. Seit Jahresbeginn driften die Immunisierungsraten EU-weit auseinander, Malta und Zypern ziehen davon. Politisch ist das gefährlich, da hat Kurz recht, weil das die Spaltung der EU und die Wut der Bürger antreibt.

Faire Verteilungsschlüssel

Aus einem EU-Sonderkontingent, welches Pfizer/Biontech bis zum Sommer zusätzlich liefern kann, sollen Nachzüglerstaaten nun bevorzugt versorgt werden. Das sind jene, die sich bei ihren Kaufzusagen 2020 verspekulierten, weil sie gemeinsame Beschlüsse zu vereinbarten fairen Verteilungsschlüsseln unterliefen. Die EU-Kommission sorgt also dafür, dass nationale Fehler korrigiert werden. Davon profitiert auch Österreich, wo ab Mai eine gröbere Versorgungslücke gedroht hätte. Aber darüber redete der Kanzler nicht so gern. Vielmehr betont er, dass mit diesem EU-Korrekturmechanismus die Immunisierungsziele bis Ende Juni erreichbar seien – das Licht.

Mancher Beobachter oder Bürger mag sich die Augen gerieben haben, wie der Kanzler binnen einer Woche eine Versagerstory von Türkis-Grün in eine EU-Erfolgsstory umdrehte, sich als "Retter" präsentiert. Dabei hat ihm nur ein Prinzip genützt, das zum Wesen der EU gehört: Wenn einzelne Länder aus welchen Gründen immer in Not sind, springt die Gemeinschaft ein. So sollte das in Zukunft immer sein, wenn es Probleme mit Impfstoffen gibt. Das sollte Kurz sagen.

Dafür ist die Union letztlich da. Die Kommission verfolgt auch prinzipielle wie globale Ziele der EU. Wenn kleine, arme EU-Staaten wie Bulgarien oder Lettland oder auch die EU-beitrittswilligen Länder auf dem Westbalkan im gemeinsamen Europa zu wenig billigen Impfstoff bekommen, werden sie sich hilfesuchend an China oder Russland wenden. Die würden gerne liefern. (Thomas Mayer, 18.3.2021)