Rudolf Anschober hat in seinem Abgang Stärke bewiesen: Er hat – vermeintlich – Schwäche gezeigt. Er hat seine Erschöpfung angesprochen, dass er nicht mehr so weiterkönne, wie er wolle. Beim Dank auch an seine Partnerin, die ihm zur Seite steht, hat er Rührung gezeigt, hat mit den Tränen gekämpft. Ist das nicht wunderbar? Ein Politiker, ein Mann, der Gefühle zeigt, der dazu steht, was und wie er ist, der Unzulänglichkeiten eingesteht und sagt, dass es ihm nicht gutgeht. Was ist das für ein wohltuender Unterschied zu der Überheblichkeit und Arroganz, mit der auf türkiser Seite Machthaberer ihren Herrschaftsanspruch unterfüttern.

Anschober hat Stärke bewiesen, indem er Schwäche gezeigt hat.
Foto: Heribert Corn

Kanzler Sebastian Kurz hat übrigens recht kurzfristig von Anschobers Rückzug und der Rochade erfahren, das spricht nicht für ein gutes Einvernehmen in dieser Koalition. Anschober hat sich fast schon demonstrativ bei vielen bedankt, nicht aber bei Kurz, mit dem er über die Monate immerhin eng und intensiv gearbeitet hat.

Es ist tatsächlich nicht immer gut gelaufen. Dennoch waren die Unstimmigkeiten in der Koalition und der mangelnde Rückhalt durch den Kanzler nicht der Grund für den Rückzug. Anschober ist schlicht an die Grenzen gestoßen, und da hat wohl die Brutalität, die die Social Media in unser aller Umgang miteinander potenziert haben, eine wesentlich größere Rolle gespielt als die Unfreundlichkeiten, die ein Politiker den anderen spüren lässt. Wenn einer Polizeischutz braucht, weil er in einer Regierung mit aller Kraft die Pandemie bekämpft, zeigt das auch die Pervertierung dessen, was früher eine politische oder gesellschaftspolitische Auseinandersetzung unterschiedlicher Lager war.

Vorsicht geboten

Anschobers Nachfolger Wolfgang Mückstein wird sich in seinem Ministerium am Stubenring einarbeiten, er wird aber auch rasch mit Bundeskanzler Kurz zusammenfinden müssen. Der Kanzler und der Gesundheitsminister sind die beiden zentralen Personen, die den Umgang der Republik mit der Corona-Pandemie managen müssen. Eine gute Abstimmung ist von Vorteil, aber es ist auch gut zu wissen, dass man nicht automatisch auf Vertrauen und Rückhalt bauen kann, gerade nicht in einer Koalition. Im Umgang ist Vorsicht geboten, das ist aber nicht unbedingt eine türkis-grüne Eigenart.

Mückstein hat den Vorteil, dass er als Berater von Anschober in die Entscheidungsprozesse im Ressort eingebunden war und um die Dringlichkeit der erforderlichen Maßnahmen weiß. Was Mückstein besser machen kann als Anschober: nicht so langmütig den Konsens mit allen suchen, sondern mehr Druck machen. Der Gesundheitsminister braucht nicht der liebe Onkel zu sein, der allen gefallen will, der kann mehr Kante und Profil zeigen und sagen, was Sache ist.

Was sich die Regierung dringend überlegen sollte: Ob es einen Minister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz braucht, der sich auch um den Tierschutz kümmert, oder ob man nicht angesichts der aktuellen Herausforderungen ein eigenes Gesundheitsministerium einrichtet, das einen ganz klaren Fokus hat – nämlich uns alle aus dieser Pandemie herauszuführen. Um den vielen Rest kümmert sich ein anderes, sei es ein weiteres Regierungsmitglied.

Das ist die eine Lehre, die man aus Anschobers Abgang ziehen kann. Die andere: dass es erhebend sein kann, zu seinen Schwächen zu stehen. Und dass man diese Erhabenheit auch anderen zugestehen sollte. (Michael Völker, 13.4.2021)