Frankreichs Fischer wehren sich gegen Windparks.

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Bei Marseille reihen sich die Windräder – allerdings auf festem Boden. Denn vor den Küsten Frankreichs ist noch kein einziger Offshore-Windpark in Betrieb. Und auch für Windparks an Land wächst der Widerstand.

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"Bisher waren wir nett", sagt Alain Coudray und dreht an den drei imposanten Totenkopfringen auf seinen Fingern. Der schwarz gekleidete Mann mit Kahlschädel und Tätowierungen bis über den Hals ist kein Rocker, sondern Fischer. Zumindest war es das 28 Jahre lang. Heute ist er pensioniert und leitet das Fischereikomitee des nordbretonischen Departementes Côtes d’Armor.

Vor ein paar Wochen hat Coudray Präsident Emmanuel Macron einen Brief geschrieben. "Das Maß ist voll, die Seeleute fühlen sich verraten", schrieb er, um drohend anzufügen: "Wir werden alle Mittel anwenden, um das Projekt zu stoppen."

Windpark in der Bucht

Das Projekt: ein riesiger Windpark in der ausladenden Meeresbucht. Er lässt die Wogen höher gehen als jede Flut des gezeitenstarken Ärmelkanals. Coudray präzisiert zwar, er denke nur an legale Mittel. Allerdings rechnet er sich dann wie einst Admiral Nelson vor Trafalgar aus: "Wir haben 300 Schiffe, und wir haben 800 Fischer." Das sei genug, um alle Bauarbeiten in der Bucht zu stoppen.

Dann erzählt der massige Fischer, hinter dessen Bürosessel die schwarz-weiße Flagge der Bretagne prangt, die Bucht von Saint-Brieuc sei ein anerkanntes Naturschutzgebiet voller Fische, Vögel und Seefrüchte. Sehr windig sei es hier nicht. "Und dennoch sollen hier 62 Windräder entstehen, allesamt 214 Meter hoch, vom Ufer aus sichtbar. Nicht mit uns!"

Programm für maritime Parks

Doch hat die Landesregierung in Paris nicht versprochen, die Fischer an dem Projekt zu beteiligen, als sie es dem spanischen Stromkonzern Iberdrola zuschlug? "Eine glatte Lüge", ereifert sich Coudray. "In Wahrheit haben wir nichts zu sagen, die Würfel sind längst gefallen."

Fakt ist: Die französische Regierung hatte 2011 ein ehrgeiziges Programm für maritime Windparks lanciert, um den Rückstand auf Großbritannien und Deutschland aufzuholen. Neun riesige Offshore-Parks sollten bis 2023 zusammen 2,4 Gigawatt Strom produzieren. Bisher ist indessen kein einziger am Netz. Überall gibt es lokale Einwände, Petitionen und Einsprachen wegen der Zerstörung des Ökosystems oder anderer, auch visueller Umweltschäden.

Junge Muscheln

Im Hafen von Saint-Quay-Portrieux, wo es nach Salzluft riecht und die Taue an den Masten klimpern, legt gerade die Fury Breizh an. Kapitän Jonathan Thomas hat nicht viel Zeit, er entlädt an dem wie abgeschnitten wirkenden Heck Jakobsmuscheln. Ihr Fang wurde hier in der Bucht genauestens geregelt, um die Bestände zu erhalten: "Wir dürfen die Muscheln nur zweimal in der Woche fischen, und jeweils nur 45 Minuten lang", meint Käpt'n Jo. "Und die Öffnungen in den Eisengittern sind erst noch kürzlich vergrößert worden. Damit gehen uns noch mehr junge Muscheln durch die Maschen."

Auf der Fury Breizh ist Jonathan Thomas Kapitän.
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Die Coquilles Saint-Jacques bleiben nicht lange im Hafen. Schon am späten Nachmittag verkauft Jonathans Frau Aurélie die taufrische Delikatesse im Ortszentrum, wegen Covid allerdings nur über die Straße. Jo muss sich deshalb beeilen. "Nur noch eins", sagt er: "Mein Boot ist genau ein Jahr alt, es kostete ein Heidengeld. Wenn der Windpark kommt, können wir hier einpacken. Dann verschwinden die Muscheln, die Krabben, die Kalmare, die Rotbarben, der Glattbutt. Als Folge müssten wir hundert Kilometer Richtung Südbretagne fischen gehen. Und das lassen wir nicht zu."

Leise Bohrungen

Iberdrola kontert, der Windpark vor Saint-Brieuc werde 835.000 Haushalte mit Strom versorgen; das entspreche einem Viertel der Bretagne. Die dreißig Kilometer Stromkabel würden größtenteils im Meeresboden vergraben, sodass die Laich- und Nährplätze verschont blieben. Aus Rücksicht auf die Fischer werde der Lärm der Bauarbeiten zudem stark eingeschränkt.

Falls Sie sich gefragt haben, wo genau Saint-Quay-Portrieux liegt: Hier sind die Koordinaten.

Alain Coudray lacht nur: "Iberdrola behauptet, die Bohrungen seien unter Wasser nicht lauter als ein Jetski. Ein solches Ding lärmt aber im Vorbeifahren nur ein paar Sekunden – die Bauarbeiten dauern dagegen drei Jahre. Danach wären die Fische und Muscheln längst verschwunden."

Immer mehr Gegenwind

Die nordbretonischen Fischer mobilisieren nicht allein gegen die Offshore-Parks. Widerstand gibt es auch in Tréport (Normandie), Dünkirchen (Nordfrankreich) oder auf den Inseln Belle-Île-sur-Mer (Südbretagne) und Oléron (Atlantik). Windparks auf dem Festland werden in Frankreich auch immer umstrittener; neue Projekte setzen sich kaum mehr durch.

Das zeigt auch, wie sehr sich die üblichen umweltpolitischen Fronten vermischen. Naturschützer und Fischer, die häufig unterschiedliche Vorstellungen vom Schutz der maritimen Fauna und Flora haben, machen heute gemeinsame Sache gegen die erneuerbare Windenergie; die Grünen sind gespalten.

Offshore-Leuchttürme gibt es in Frankreich sehr wohl. Der "Phare du Chenal du Four" etwa ist bei rauer See spektakulär.

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Konsens wird schwächer

Obwohl Macron alles daransetzt, sich vor der Präsidentschaftswahl 2022 als ökologischer Pionier der Erneuerbaren zu präsentieren, beißt er lokal auf Granit. Erst an drei Orten, in Courseulles, Fécamp und Saint-Nazaire, haben Bauarbeiten für Meereswindparks begonnen, ein Termin für die Inbetriebnahme ist allerdings nicht in Sicht.

Macron musste 2020 selber einräumen, der "Konsens für die Windenergie in unserem Land" werde "schwächer". Der Windkraftverband France Énergie Éolienne (FEE) äußerte darauf seine "Enttäuschung" über die Staatsführung. Sie habe versprochen, dass die erneuerbaren Energien bis zum Ende des laufenden Jahrzehntes 40 Prozent der nationalen Stromproduktion ausmachen würden. Davon sei Frankreich weit entfernt.

Der Konzern Iberdrola sitzt in Bilbao, im spanischen Baskenland.
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Großer Anteil an Kernkraft

Es stimmt, heute entfallen in Frankreich fast drei Viertel der nationalen Stromproduktion auf die Atomkraft. Langfristig soll der Energiemix noch zu 60 Prozent aus Atomkraft bestehen. Allein, der politische Wille dazu fehlt.

Denn der längst amortisierte AKW-Park Frankreichs liefert günstigen Strom für 50 Euro pro Megawattstunde. Beim Offshore-Windpark von Saint-Brieuc musste die Regierung einen Abnehmerpreis von 155 Euro pro Megawattstunde garantieren, um Betreiber wie Iberdrola anzuziehen. Anders gesagt: Solange Frankreich auf Atomkraft setzt, werden seine Windparks nie wettbewerbsfähig sein.

Saftige Subventionen

Katherine Pujol von der lokalen Anti-Windpark-Organisation Gardez le cap hat ausgerechnet, dass der französische Staat Iberdrola in den nächsten zwanzig Jahren für den Park von Saint-Brieuc 4,7 Milliarden Euro an Subventionen zahlen muss, um unter anderem den hohen Abnahmepreis zu garantieren. "Das ist ein Skandal", schimpft die Umweltschützerin. "Die Windenergie ist in Wahrheit weder ökologisch noch ökonomisch." Ein Argument, das man in Frankreich landesweit hört.

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Frankreich setzt im Strommix nach wie vor auch auf Nuklearenergie. Hier die Kühltürme des Kraftwerks in Golfech in Okzitanien.
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Pujol plädiert zusammen mit den Fischern von Saint-Brieuc für eine Alternative: Ein Dünungskraftwerk soll mithilfe des archimedischen Prinzips auch aus dem geringen Wellenschlag der Bucht Energie produzieren. Coudray unterstützt das sogenannte Hace-Verfahren des Start-up-Unternehmers Jean-Luc Stanek ebenfalls: "Es schützt die maritime Biosphäre, ist CO2-neutral und mit 20 Euro pro Megawattstunde siebenmal billiger als Windkraft. Ich kenne mich zwar eher mit Fischernetzen aus, aber dass dieses Verfahren Hand und Fuß hat, sehe ich auch. Ich hoffe, Macron lässt sich darauf ein."

Silberne Totenköpfe

Bloß hat die Regierung in Paris Mitte April angekündigt, die Bauarbeiten für den Windpark vor Saint-Brieuc begännen im Mai. Coudray seufzt tief. "Dann werden wir eben sehen, wer stärker ist", sagt der lokale Fischerboss und massiert die silbernen Totenköpfe an seinen Fingern. (Stefan Brändle aus Saint-Quay-Portrieux, 25.4.2021)