Auch bei einer Gesamtvollstreckung gibt es wie bei einer Privatinsolvenz für betroffene Schuldner einen Zins- und Kostenstopp.

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In Österreich gibt es geschätzte 500.000 Menschen, die mehr oder weniger überschuldet sind. Etliche davon könnte im zweiten Halbjahr eine böse Überraschung ereilen, wenn sie plötzlich vom Arbeitgeber, Vermieter oder Nachbarn auf ihre finanziellen Probleme angesprochen werden. Das neue Exekutionsrecht, das im Juli in Kraft tritt, bringt nämlich ein öffentlich einsehbares Register für Personen, die sich in einer sogenannten Gesamtvollstreckung befinden. Das ist gewissermaßen eine Art Insolvenzverfahren, das im Gegensatz zum Privatkonkurs von Gläubigern beantragt wird.

Diese öffentliche Einsehbarkeit von Personen, die sich in einer Gesamtvollstreckung befinden, kritisiert Clemens Mitterlehner, Chef der ASB Schuldenberatungen. Dies könne die Chancen am Arbeitsmarkt von betroffenen Menschen erheblich beeinträchtigen. Derzeit haben nur die jeweiligen Gläubiger Einsicht in Exekutionen bei Schuldnern. Öffentlich wird eine Überschuldung nur dann, wenn die betroffene Person selbst einen Antrag auf Privatinsolvenz stellt.

Nahe am Privatkonkurs

Genau darauf zielt die Reform des Exekutionsrechts ab – nämlich dass mehr Überschuldete diesen Weg einschlagen. Denn wer sich bereits in einer Generalvollstreckung befindet, ist nur noch einen Antrag vom Privatkonkurs entfernt. Der große Unterschied zur Gesamtvollstreckung: Am Ende des Insolvenzverfahrens winkt für den Betroffenen eine Restschuldbefreiung.

Aber wie kommt es zu dieser neuen Gesamtvollstreckung? Als Voraussetzung muss ein Gericht, etwa wegen zahlreicher Exekutionsanträge oder etlicher erfolgloser Vollstreckungen durch Gerichtsvollzieher, amtswegig eine offenkundige Zahlungsunfähigkeit des Schuldners feststellen. Dann reicht bereits ein Antrag eines Gläubigers, um die Gesamtvollstreckung samt öffentlicher Einsehbarkeit einzuleiten.

"Es wird viele Menschen geben, die davon überrascht sein werden", nimmt der ASB-Chef an. Laut dem Alpenländischen Kreditorenverband (AKV) erwartet der Gesetzgeber etwa 1000 solcher Fälle pro Jahr, Mitterlehner geht jedoch von einer wesentlich höheren Zahl an Betroffenen aus.

Auf Gläubigerantrag

Das Justizministerium weist darauf hin, dass Schuldenregulierungsverfahren bereits nach derzeitigem Recht auf Antrag eines Gläubigers eröffnet werden können – wenngleich in der Praxis die meisten Anträge vom Schuldner selbst gestellt werden. Die Gesamtvollstreckung sei – wie alle Schuldenregulierungsverfahren – in der Insolvenzdatei, die Teil der Ediktsdatei ist, zu veröffentlichen. Eine offenkundige Zahlungsunfähigkeit sei ebenfalls in der Ediktsdatei bekannt zu machen. Dies führe aber nicht zu einer Ausweitung der Bekanntmachung, da der Schuldner in diesem Fall zu einem Insolvenzantrag verpflichtet sei – was ebenfalls mit einem Eintrag in der Datei verbunden ist.

Warum die Gesamtvollstreckung nun umgesetzt wird, erklärt AKV-Insolvenzexperte Franz Blantz mit den zahlreichen erfolglosen Exekutionsversuchen, die dadurch eingespart werden können. Er geht unter Verweis auf Daten des Justizministeriums davon aus, dass durch die Gesamtvollstreckung jährlich etwa fünf Prozent aller Vollstreckungsverfahren entfallen werden, also etwa 37.500 Exekutionsanträge bei 5000 Verpflichteten. Das Exekutionsrecht soll dadurch effizienter werden, erklärt Blantz.

Wettlauf der Gläubiger

Derzeit ist es, salopp gesagt, bei Exekutionen für Gläubiger so: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Sprich, wer zuerst reagiert, erhält das Pfändbare, während die anderen Gläubiger leer ausgehen. Bei der Gesamtvollstreckung wird künftig das Pfändbare auf alle Gläubiger aufgeteilt. Beendet wird das Verfahren dadurch, dass alle Außenstände beseitigt werden, oder durch die Eröffnung einer Privatinsolvenz.

Verzahnt ist das neue Exekutionsrecht übrigens auch mit der Reform des Privatkonkurses, die wegen einer EU-Richtlinie bis Mitte Juli in nationales Recht umgesetzt werden muss. Vorgesehen ist darin eine Verkürzung der Verfahrensdauer von fünf auf drei Jahre – allerdings nur für "redliche Schuldner", wie Blantz betont.

Wer von Gericht verständigt wird, dass man offenkundig zahlungsunfähig ist, der müsse binnen 30 Tagen einen Insolvenzantrag stellen oder zumindest einen Termin bei einer Schuldenberatung wahrnehmen, um sich gegebenenfalls in drei Jahren entschulden zu können. "Manche werden das auch als Chance sehen", hofft Mitterlehner auf zeitgerechte Konkursanträge von Überschuldeten. (Alexander Hahn, 27.5.2021)