Der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern Nestlé hält in einem internen Dokument fest, dass die Mehrzahl seiner Lebensmittel den Status "gesund" nie erreichen wird.

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Dass Schokolade und Süßgetränke nicht wirklich gesund sind, überrascht jetzt nicht. Doch der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern Nestlé hat in einem internen Dokument eingeräumt, dass – am Umsatz gemessen – mehr als 60 Prozent seiner Nahrungsmittel und Getränkeprodukte nicht einer "anerkannten Definition von Gesundheit" entsprechen. Einige der Produkte würden "niemals gesund‘ sein", egal wie sehr man das versuche, heißt es in der Präsentation, die Anfang des Jahres unter Topmanagern zirkulierte und nun bei der "Financial Times" gelandet ist.

Getränke schnitten schlecht ab

Als Maßstab für die Einschätzung wurde das australische Health-Star-Rating-System verwendet. Als "gesund" gelten dort Produkte, die mindestens 3,5 von fünf Sternen erreichen. Innerhalb der gesamten Produktpalette – ausgenommen dezidiert medizinische Nahrungsmittel und Babynahrung – erreichten etwa 70 Prozent der Nahrungsmittelprodukte und 96 Prozent der Getränke diesen Schwellenwert nicht, heißt es in der Nestlé-Präsentation. Wasser und Molkereiprodukte schnitten besser ab, diese überschritten mehrheitlich die 3,5 Sterne.

Zucker und Natrium schon deutlich reduziert

Die Ergebnisse kommen just in einer Zeit, in der die Nahrungsmittelhersteller mit einem globalen Vorstoß zur Bekämpfung von Fettleibigkeit und zur Förderung gesünderer Ernährung konfrontiert sind. Laut "Financial Times" will der Konzern nun nachbessern. Nestlé überarbeitet auch seine internen Ernährungsstandards. Diese wurden unter dem früheren Konzernchef Peter Brabeck-Letmathe eingeführt, der Nestlé als "Ernährungs-, Gesundheits- und Wellness-Unternehmen" bezeichnete.

Tatsächlich wurde auch in den vergangenen Jahren bereits versucht, einige Produkte gesünder zu machen. Der Zucker- und Natriumgehalt sei in den vergangenen Jahrzehnten deutlich reduziert worden, allein in den vergangenen sieben Jahren um etwa 14, 15 Prozent, zitierte die "Financial Times" Personen aus dem Konzern. Man sieht sich auf einer Gratwanderung: "Wir glauben, dass eine gesunde Ernährung bedeutet, eine Balance zwischen Wohlbefinden und Genuss zu finden. Dazu gehört auch ein gewisser Freiraum für Genussmittel, die in Maßen konsumiert werden."

Bessere Kennzeichnung gefordert

Für Konsumenten wäre eine Orientierung freilich hilfreich, die beim Kauf auf einen Blick zeigt, wie das jeweilige Produkt bei Inhaltsstoffen wie Zucker, Fett oder Salz abschneidet. Die Verbraucherorganisation Foodwatch Österreich fordert diesbezüglich die Einführung der Lebensmittelkennzeichnung "Nutri-Score". Das Kennzeichnungssystem habe sich in anderen europäischen Ländern bereits bewährt und erlaube es, Nährwerte mit einem Blick zu vergleichen. Foodwatch bezeichnet das System als das "derzeit beste".

Das Schema ist vertraut: fünf Kategorien von A bis E, von grün bis rot, von gut bis ungünstig. Ampelkennzeichnungen für Lebensmittel werden seit Jahren diskutiert, mehrere Systeme wurden entwickelt.

Tatsächlich schneidet der "Nutri-Score" in Studien und Umfragen unter Verbrauchern gut ab. In Frankreich, wo das System entwickelt wurde, ergab eine Studie zur Einführung 2017, dass das System am leichtesten verständlich sei. In Deutschland, wo "Nutri-Score" 2020 eingeführt wurde, befürworteten knapp 90 Prozent der Befragten die Kennzeichnung.

Österreich hinkt hinterher

In Österreich ist das System noch nicht im Einsatz. Dabei müsste die Politik nur einen entsprechenden Antrag in an Brüssel schicken, dass 'Nutri-Score' als freiwillige Nährwertkennzeichnung verwendet werden darf. Die EU-Kommission will bis 2022 einen Vorschlag für die obligatorische Kennzeichnung von industriell produzierten Lebensmitteln auf der Vorderseite der Verpackung vorstellen. Das Thema Lebensmittellogo liegt in der Kompetenz der zyprischen Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Bereits vor einem knappen Jahr hat die Kommission ihre Strategie für ein "gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem" als Teil des Green Deal verabschiedet. (bpf, 1.6.2021)