Es ist ein deutlicher Ausschlag nach oben, in einem Land, das bei Inflation ohnehin sensibel reagiert. Laut einer Schnellschätzung der Statistik Austria vom Dienstag sind die Verbraucherpreise im Mai um 2,8 Prozent gestiegen. Das ist eine deutliche Beschleunigung, noch im April lag das Plus bei 1,9 Prozent.

Damit ist die Inflation erstmals seit langer Zeit in Österreich deutlich über den Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB) geklettert. Die Notenbank in Frankfurt strebt einen Wert von knapp unter zwei Prozent an. Eine monatliche Inflationsrate von 2,8 Prozent hat es zuletzt im Jänner 2012 gegeben. Ist das aber nun eine problematische Entwicklung, und wie ist es dazu überhaupt gekommen?

Die Europäische Zentralbank bereitet die Öffentlichkeit schon seit Monaten darauf vor, dass bedingt durch einen Anstieg der Energiepreise die Inflation vorübergehend anziehen wird.
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Preistreiber Energie

Letztere Frage ist schnell beantwortet: Preistreiber ist Energie, insbesondere Treibstoffe wie Diesel und Benzin, sagt Michaela Maier, zuständige Expertin bei der Statistik Austria. Bemerkbar mache sich ein sogenannter Basiseffekt: Im vergangenen Jahr waren die Energiepreise pandemiebedingt stark zurückgegangen. Inzwischen greife die Erholung, die Spritpreise sind gestiegen. Die Rückkehr zum Vorkrisenniveau schlage sich nun automatisch in höheren Inflationsraten nieder. Die Rate wird ja im Vergleich zum Vorjahr gemessen.

Der Warenkorb, mit dem die Statistik Austria die Preisentwicklung abbildet und der den typischen Ausgaben eines Haushaltes entsprechen soll, besteht aktuell aus 756 Waren und Dienstleistungen. Der Kostenpunkt Verkehr, unter den die Spritpreise fallen, hat einen Anteil von gerade einmal über 13,7 Prozent im Warenkorb. Der Anteil von Diesel liegt bei rund zwei Prozent.

Kein Preisverfall

Für den deutlichen Anstieg der Teuerung reicht also ein Sprung bei einigen Positionen nicht aus, selbst wenn es einen größeren Brocken wie Energie betrifft. Was aktuell noch dazukommt, ist, dass es bei anderen Warengruppen keinen Preisverfall gibt, sagt Statistikerin Maier. "Es gibt keine Gegenbewegung zu den steigenden Energiepreisen."

Was bedeutet die Entwicklung für die kommenden Monate? Der Energie-Effekt könnte sich bald abschwächen, zumindest sofern die Spritpreise nicht weiter anziehen. Denn seit vergangenem April und Mai haben die Preise für Rohöl (Sorte Brent) deutlich angezogen, der beschriebene Basiseffekt könnte also schwächer werden.

Möglicher Preisschub

Die EZB in Frankfurt bereitet die Öffentlichkeit schon seit Monaten darauf vor, dass die Preise stärker steigen könnten, sobald eine Normalisierung im Wirtschaftsleben eintritt. Diese Entwicklung dürfte nicht nur von Energiepreisen ausgehen. Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der EZB, sagte dem STANDARD im Jänner, dass die EZB aber nur mit einem zeitlich begrenzten Anstieg der Teuerung über zwei Prozent rechnet. "Kurzfristig kann sich durchaus eine gewisse Dynamik entwickeln. Stellen Sie sich vor, die Impfung erfolgt schneller, als manche es derzeit befürchten, sodass im Sommer wieder etwas Normalität eintritt. Dann kann es sein, dass es bei den Dienstleistungen, wie Reisen oder Restaurantbesuchen, durch die aufgestaute Nachfrage zu einem Preisschub kommt. Aber eine solche kurzfristige Entwicklung darf man nicht mit einem anhaltenden Anstieg der Inflation verwechseln, der voraussichtlich nur sehr langsam eintreten wird", so Schnabel gestern.

Nur eine kurze Episode?

Gemeint ist damit, dass die Kräfte, die in den vergangenen Jahren dafür gesorgt haben, dass Inflation kaum vorhanden war, weiter wirken werden und die EZB sich von kurzfristigem Preisflackern nicht beunruhigen lassen will. Die wirtschaftswissenschaftliche Theorie besagt, dass eine Kombination aus Inflationserwartungen und der Entwicklung am Arbeitsmarkt entscheidend dafür ist, wie sich die Preise entwickeln. Steigt die Arbeitslosigkeit, sinkt die Inflation und umgekehrt, so die Formel. Die Krise hat auf den Arbeitsmärkten in Europa, aber auch den USA deutliche Spuren hinterlassen, die bis heute sichtbar sind.

Die meisten Experten gehen daher nicht davon aus, dass über die Lohnkosten ein anhaltender Anstieg der Preise in Gang kommt. Die EU-Kommission rechnet mit einer Inflationsrate von 1,7 Prozent für die Eurozone. Für Österreich werden 1,8 Prozent vorausgesagt. Die OECD erwartet für Österreich einen Preisanstieg von zwei Prozent.

Warum zwei Prozent?

Warum wird überhaupt eine Teuerung von zwei Prozent angestrebt? Dadurch soll ein Puffer nach unten geschaffen werden, damit bei vorübergehenden Schwankungen nicht sofort ein Preisverfall, also eine Deflation, einsetzt. Dies gilt als problematisch, weil die EZB befürchtet, dass bei sinkenden Preisen Unternehmen und Haushalte in Erwartung noch tieferer Preise aufhören zu investieren.

Die Teuerung in der Eurozone, nur dieser Wert ist für die EZB relevant, lag im Mai bei zwei Prozent, damit also nur knapp über dem EZB-Zielwert. (András Szigetvari, 1.6.2021)