Wie geht es mit den Blauen weiter? Das hängt vor allem von Hofers Nachfolge ab, der Rücktritt könnte der Partei aber durchaus nützen.

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1. Wer wird Hofers Nachfolger?

Die besten Karten hat Klubobmann Herbert Kickl – darin sind sich die Politikexperten Peter Filzmaier und Thomas Hofer wie auch FPÖ-Intimus Andreas Mölzer einig. Kickl genießt den vollen Rückhalt der Abgeordneten, wie zuletzt der Streit mit Norbert Hofer um das Maskentragen im Parlament gezeigt hat. Als rhetorisch oft rabiater Oppositionspolitiker ist Kickl bei der Basis und beim harten rechten Kern beliebt, medial ist er dauerpräsent. In der Pandemie erntete Kickl auch im Lager der Corona-Verharmloser durch Antiregierungsreden Zuspruch auf der Straße.

Doch der Klubchef hat auch parteiinterne Widersacher, allen voran den oberösterreichischen Vizelandeshauptmann Manfred Haimbuchner, der einen stärker wirtschaftsliberal-unternehmerfreundlichen, im Ton gemäßigten Kurs anstrebt, der auch in bürgerlichen Kreisen Anklang findet. Eine Kandidatur Haimbuchners gilt aber als unwahrscheinlich, da ihm ein Wahlkampf für die Landtagswahl in Oberösterreich bevorsteht, einen Zweikampf mit ungewissem Ausgang um die Bundesparteiführung kann er da nicht brauchen. Zudem hat Haimbuchner zuletzt immer wieder betont, in Oberösterreich bleiben zu wollen. Denkbar wäre, dass das Haimbuchner-Lager einen Kompromisskandidaten in Stellung bringt, hier käme der steirische Parteichef und Ex-Verteidigungsminister Mario Kunasek infrage. Momentan übernimmt Harald Stefan als ältester Stellvertreter die Aufgaben des zurückgetretenen Norbert Hofer – als langfristiger Chef ist der Nationalratsabgeordnete aber keine Option.

2. Wie ist der weitere Fahrplan?

Am Mittwochvormittag fand eine Besprechung der Parteigranden in Wien statt. Harald Stefan, der die Agenden Hofers als Bundesparteichef übernommen hat, und Generalsekretär Michael Schnedlitz stellten dann den dort vereinbarten Fahrplan am Mittwochnachmittag bei einer Pressekonferenz vor. Der ist schnell erzählt: Am Montag, dem 7. Juni, wird eine Sitzung des Bundesparteipräsidiums stattfinden. Und da werde man dann entscheiden, wann und wie der Bundesparteitag abgehalten werde.

Denn: Für eine Neuwahl des Obmanns braucht es einen außerordentlichen Parteitag. Aus Parteikreisen ist zu hören, dass man intern von einem Parteitag im Juni ausgeht – so rasch es die Fristenabläufe erlauben. Manche in der Partei könnten allerdings ein Interesse daran haben, einen Parteitag hinauszuzögern – etwa um Kickl die Gunst der Stunde nicht zuteil werden zu lassen und einen Gegenkandidaten aufzubauen.

3. Spaltet der Nachfolgestreit die FPÖ?

Es gibt zwei Lager, so viel steht fest. Dass sich die Partei deswegen spaltet wie schon 2002 in Knittelfeld und 2020 auf Wien-Ebene, resultiert daraus aber nicht automatisch: Die FPÖ konnte und kann von dieser thematischen Teilung durchaus profitieren, indem sie einerseits die Kernwählerschaft bedient, andererseits aber auch etwaige Koalitionspartner nicht verschreckt.

4. Wird der Rücktritt die FPÖ schwächen?

Dass sich ein offensichtlich beleidigter Parteichef zurückzieht, sieht im ersten Augenblick nach einem Super-GAU für eine Partei aus. Muss es aber nicht sein. Nachdem der Konflikt zwischen Hofer und Kickl zunehmend offen und zunehmend unschön ausgetragen worden ist, kann es der Partei aber auch nutzen, dass dies nun vorbei ist. "Die letzten Wochen waren lähmend genug", sagt Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle, "ein Ende mit oder ohne Schrecken ist auf jeden Fall besser als das". Eine neue Person an der Spitze – unabhängig davon, wer diese ist – werde der Partei "einen Schub geben" – intern, und vielleicht auch in Umfragen, meint Stainer-Hämmerle.

5. Wird der Rücktritt andere Parlamentsparteien oder das THC stärken?

Ex-FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache beeilte sich am Abend von Hofers Rücktritt damit, in Medien seine Einschätzung zum Besten zu geben. Sein Team HC Strache ist zwar kaum präsent, doch es existiert. Dass eine Zerrüttung seiner alten Heimatpartei Strache nun einen Vorteil bringt, glaubt Stainer-Hämmerle aber nicht: Immerhin ist Strache immer noch tief in Vorwürfe verstrickt, die im Zuge der Spesen- und der Ibiza-Affäre hochkamen, außerdem beginnt am 6. Juli ein Prozess wegen des Verdachts der Bestechlichkeit gegen ihn. "Seine Hauptbühne wird in den nächsten Monaten der Gerichtssaal sein und fertig", sagt Stainer-Hämmerle.

Was die beiden Oppositionsparteien angeht, so könnten diese Hofers Rücktritt durchaus nützen – wenn auch, im Falle der SPÖ, vielleicht nur kurzfristig. "Die SPÖ steigt immer dann auf, wenn eine andere Partei Fehler macht", meint Stainer-Hämmerle, die Frage sei nun, ob sie das nachhaltig nutzen könne: "Ich würde ihnen dringend raten, ihre Position in Fragen der Migration zu klären. Das wird kommen, egal wer die FPÖ führt." Die Neos hingegen, so die Politologin, könnten ihr Image als Aufdecker- und Kontrollpartei dann stärken, wenn die FPÖ unter Kickl weiter nach rechts rücken würde.

Und die Regierungsparteien? Da gehe der ÖVP, wenn denn Kickl die Partei übernimmt, ein potenzieller Regierungspartner verloren, sagt Stainer-Hämmerle. Die Grünen aber könnten von einem FPÖ-Chef Kickl profitieren – je mehr es zu einer Polarisierung kommt. "Je fremdenfeindlicher und Corona-leugnender Kickl auftritt, desto besser ist es für die Grünen", sagt die Politologin.

6. Wie geht es mit Hofer weiter? Wäre denkbar, dass sich Hofer komplett aus der Politik zurückzieht?

Hofer kündigte bereits an, dass er Dritter Nationalratspräsident bleiben wolle. Und: Er sprach bisher nicht von einem kompletten Rückzug aus der Politik, lediglich von der Spitze der Partei. "Dass er nun freigespielt von der täglichen Innenpolitik ist, ist eine gute Voraussetzung für eine Kandidatur für ein Amt, das als überparteilich wahrgenommen wird", sagt Stainer-Hämmerle, die davon ausgeht, dass Hofer weiterhin Bundespräsident werden will. Bisher schloss er eine Kandidatur nicht aus. Seine Chancen hängen freilich auch davon ab, wen die anderen Parteien aufstellen und ob der amtierende Präsident Alexander Van der Bellen erneut antritt.

7. Würde Kickl Hofer als Bundespräsidentschaftskandidaten überhaupt aufstellen?

In Hinblick auf die bereits genannten Vorteile einer ideologischen Doppelspitze wäre das strategisch durchaus sinnvoll. "Meiner Erfahrung nach gehen aber persönliche Verhältnisse weit über strategische Überlegungen hinaus", sagt Stainer-Hämmerle, damit hängt dies freilich auf davon ab, wie nachhaltig das Verhältnis zwischen Hofer und seinem etwaigen Nachfolger Kickl beschädigt ist – der hätte als Parteichef ein gewichtiges Wort mitzureden, wenn es um eine Kandidatur Hofers geht.

8. Wie würde sich die Partei unter Kickl ausrichten?

Kickl ist ein Hardliner, entsprechend weit würde die Partei wohl auch nach rechts rücken. Norbert Hofer war als Bundesparteiobmann sichtlich um Mäßigung bemüht, er setzte weniger auf Migrationsthemen, solidarisierte sich auch erst nur vorsichtig, dann kaum noch mit Corona-Leugnern. Unter Kickl wäre zu erwarten, dass das Thema Migration wieder stärker in den Fokus der Parteikommunikation rückt, auch heftigere Attacken gegen die Regierung sind zu erwarten. Aber: Bei allem Streit zwischen den beiden ist nicht zu vergessen, dass Kickl auch unter Hofer einen maßgeblichen Einfluss auf die Strategie der FPÖ ausübte, und trotz Hofers staatstragender Haltung ist Faktum: Er kommt ebenso klar aus dem rechten Lager, hat auch einen Teil der Burschenschaften hinter sich versammelt.

9. Würde Kickl auch die anderen Posten Hofers übernehmen, etwa den des Dritten Nationalratspräsidenten?

Hofer ist als Dritter Nationalratspräsident bis zum Ende der Legislaturperiode – also Herbst 2024 – gewählt. Wenn er diesen Posten weiterhin bekleiden will, kann ihn die FPÖ nicht daran hindern. Hofer hat am Dienstag bereits angekündigt, dass er bleiben will. Sollte Hofer den Nationalrat doch verlassen, käme es zu einer neuen Wahl des Dritten Präsidenten. Da die FPÖ drittstärkste Fraktion ist, entspräche es dem Usus, wenn wieder ein Blauer zum Zug käme. Dass Herbert Kickl die für eine Mehrheit erforderliche Zustimmung von Abgeordneten anderer Fraktionen bekäme, ist allerdings nicht wirklich vorstellbar, da man ihm eine überparteilich-nüchterne Amtsführung nicht zutraut. Er würde den Posten wohl auch nicht anstreben.

10. Wenn Kickl nicht der Nachfolger Hofers wird, was heißt das für dessen Rolle in der Partei?

Grundsätzlich ist und war Kickl innerhalb der FPÖ ein klassischer Mann der zweiten Reihe. Zwar zog er die Fäden und schrieb die Reden, doch in der Rolle als Klubobmann war er sichtlich gut aufgehoben. Sollte er also doch nicht Bundesparteiobmann werden, wäre sein Platz dort wohl gesichert. Es sei denn, es kommt zu einer Kampfabstimmung, die er verliert: "Das könnte er dann verkraften, sofern er sich mit dem neuen Parteiobmann arrangiert", sagt Stainer-Hämmerle. Und wenn nicht? "Wie soll es dann mit der Partei weitergehen? Strache hat man verloren, Hofer hat man verärgert, wäre Kickl auch noch weg, dann wäre das für die Partei Selbstmord mit Anlauf", sagt Stainer-Hämmerle.

11. Was heißt all das für die Oberösterreich-Wahl?

Oberösterreich ist für die FPÖ besonders wichtig, sie stellt dort mit Manfred Haimbuchner den Landeshauptmann-Stellvertreter und ist in einer Koalition mit der ÖVP. Die FPÖ-Landespartei will die schwarz-blaue Koalition nach der Landtagswahl am 26. September fortsetzten. 2015 fuhr sie mit knapp über 30 Prozent ein hervorragendes Ergebnis ein, was Haimbuchner eine tragende Rolle innerhalb der FPÖ bescherte. Nach Ibiza wird es schwer, daran auch nur annähernd heranzukommen. Sollte die Bundes-FPÖ voll auf Kickl-Linie ständige Frontalattacken gegen die ÖVP betreiben, dürfte das Haimbuchners Chancen auf eine neuerliche Koalition mit der Volkspartei schwächen. Ein offener Richtungsstreit mit Kickl käme Haimbuchner derzeit aber ebenso wenig zupass, zumal der Klubobmann an der Basis beliebt ist – auch in Oberösterreich. (Theo Anders, Gabriele Scherndl, Fabian Schmid, 2.6.2021)