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Im AP-Videointerview sprach Timonowskaja über ihre Zukunft.

Foto: AP Photo/Daniel Kozin

Ob sich ihr Name Kristina Timanowskaja oder Krystsina Tsimanouskaya schreibt, darüber lässt sich vielleicht streiten. Unstrittig ist, dass sich die belarussische Sprinterin über Nacht von ihrer Heimat lossagen musste und vor einem möglicherweise langjährigen Exil steht. Timanowskaja – der STANDARD hält sich an die im deutschsprachigen Raum gängige Schreibweise – dürfte bald in Polen landen, das ihr ein humanitäres Visum gab und sie in der Botschaft in Tokio aufnahm. In einem Videointerview mit der Nachrichtenagentur AP hoffte sie, sich bald wieder sicher fühlen und ihre Karriere fortsetzen zu können.

Am Sonntagabend hatte sich Tsimanowskajas Ehemann Arseni Sdanewitsch in die Ukraine abgesetzt. Im Interview mit Sky News sagte er: "Als sich die Dinge so dramatisch entwickelten, hab ich nicht zweimal nachgedacht und beschlossen zu gehen." Sdanewitsch betont, dass er und Timanowskaja stets völlig unpolitisch gewesen seien.

Was war passiert?

Unstrittig ist, dass sich die Dinge anders als gedacht entwickelt haben. Timanowskaja wehrte sich in einem Instagram-Posting dagegen, dass sie in der 400-m-Staffel mitlaufen sollte, weil Kolleginnen wegen versäumter Dopingtests nicht aufgestellt werden konnten. Ihre Domäne ist der Sprint.

Die Kritik führte dazu, dass Offizielle in ihr Hotelzimmer kamen, ihr laut eigener Aussage 40 Minuten Zeit gaben, den Koffer zu packen und sie zur Heimreise zwingen wollten. "Ich wollte nicht nach Belarus, weil er mir schon am Abend davor gesagt hatte, dass ich Probleme bekommen könnte, wenn ich zurückkehre", erzählte die Athletin. "Wenn ich die Anweisungen nicht befolge und den Staffellauf nicht mitlaufe, dann würden mich ernsthafte Probleme erwarten: die Entlassung aus dem Nationalteam, womöglich noch mehr."

Trainerkritik unterschätzt

In den Staatsmedien wurde sie als Verräterin hingestellt. Da kontaktierte sie Medien und Polizei, so konnte sie am Flughafen ihre Abreise verhindern. Im Transkript eines "Gesprächs", das ein Funktionär mit ihr führte, wird dieser so zitiert: "Du weißt, dass sich eine Fliege, die im Netz gelandet ist, immer mehr verstrickt, je mehr sie strampelt."

"Von Anfang an ging es mir nicht um Politik. Ich habe nur kritisiert, dass unsere Cheftrainer über das Staffellauf-Team entschieden haben, ohne sich mit den Sportlern zu beraten", erklärte Timanowskaja am Dienstag der "Bild". Sie habe die Tragweite ihrer Kritik unterschätzt. "Dass das solche Ausmaße annehmen und zu einem politischen Skandal werden kann, hätte ich nie gedacht:"

Antrag abgewiesen

Unstrittig ist, dass die Spiele für Timanowskaja gelaufen sind. Allein im sechsten Vorlauf über 100 Meter war sie am Start, sie schied als Vierte mit 11,47 Sekunden aus. Damit lag sie unter ihren Möglichkeiten, ihre Bestmarke steht bei 11,04. Im Vorlauf über 200 Meter blieb ihre Bahn am Montag frei.

Der Internationale Sportgerichtshof (CAS) hatte einen Eilantrag abgelehnt, mit dem die vom Belarussischen Olympischen Komitee gesperrte Sprinterin noch ihre Teilnahme erwirken wollte. Timanowskaja konnte laut CAS "ihren Fall nicht ausreichend beweisen". Kritiker meinen, dass sich der CAS so auf die Seite einer Diktatur gestellt und unsportlich geurteilt habe. Und das IOC? Forderte von Belarus einen Bericht an und untersucht.

Am Flughafen hatte Timanowskaja zunächst erklärt, sie wolle die österreichische Botschaft kontaktieren. Sie trainiert in Österreich bei Philipp Unfried, der auch Ivona Dadic betreut. Doch anders als Polen und Tschechien, die ihr ein Visum anboten, tat Österreich nichts. "Wir haben sie erwartet", sagte Außenminister Alexander Schallenberg laut "Presse" später. Doch Timanowskaja habe sich nicht gemeldet.

Hartes Durchgreifen gefordert

Das IOC hat vom belarussischen NOK einen Bericht angefordert und will den Vorgang untersuchen. Die Belarussen sollten ihren Bericht bis Dienstag abliefern, so oder so wird das IOC nicht hasten. Man müsse zunächst die Hintergründe kennen, sagte IOC-Sprecher Mark Adams.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki forderte, die "Aggression der belarussischen Sicherheitsdienste auf japanischem Gebiet" müsse auf "entschiedenen Widerspruch der internationalen Gemeinschaft stoßen".

Sportler-Bündnisse wie Global Athlete machten sich für ein hartes Durchgreifen stark. "Das IOC sollte das Belarussische Olympische Komitee sofort suspendieren und allen Sportlern aus Belarus erlauben, als neutrale Athleten unter der olympischen Flagge zu starten", sagte Global-Athlete-Generaldirektor Rob Koehler dem kanadischen TV-Sender CBC. Timanowskaja forderte, "zu untersuchen, wer hat die Anweisung gegeben, wer hat wirklich die Entscheidung getroffen, dass ich nicht mehr teilnehmen darf."

In Belarus hatte auch die olympische Bewegung lange zugesehen. Erst Ende 2020 musste Alexander Lukaschenko den Posten des NOK-Präsidenten zurücklegen, den er seit 1997 innehatte. So oder so setzte er die Olympia-Delegation vor der Abreise nach Tokio unter Druck. "Bevor ihr mit nichts zurückkommt, kommt ihr besser gar nicht zurück." Bis dato holte Belarus je einmal Gold und Bronze. Strittig ist, ob Lukaschenko damit zufrieden sein wird. (Fritz Neumann, red, APA, 4.8.2021)