Aussee ist schön. Es ist der Inbegriff von "Sommerfrische". Doch die vielgerühmte Idylle scheint manchen in Gefahr.

Foto: Hans Rauscher

Jakob Wassermann, ein heute fast vergessener Bestsellerautor aus den Dreißigerjahren, seufzte einmal: "Altaussee ist kein Dorf, sondern eine Krankheit, die man nie mehr los wird!"

Ähnlich melancholisch-poetisch verliebt in die Landschaft von Aussee und des Ausseerlandes äußerten sich zahlreiche berühmte Dichter, Schriftsteller, Intellektuelle, Journalisten, aber auch Adelige und Industriegrößen, von der Monarchie bis heute. Es gibt zig Aussee-Bücher, Aussee-Fernsehfilme.

Und es gibt zugereiste Aussee-Fans: Manche Städter spazieren in bis zum letzten Hirschhornknopf authentischer Ausseer Tracht durch die Landschaft oder fahren mit den "Plätten" über den See, lauschen der "Ausseer Stubenmusi" und lassen sich voll Begeisterung und für einiges Geld von der einheimischen steirischen Bevölkerung mit herzlicher Grobheit oder grober Herzlichkeit anreden. Es ist einfach so: Aussee ist schön. Es ist der Inbegriff von "Sommerfrische". Doch die vielgerühmte Idylle scheint manchen in Gefahr.

Fast poetisch formuliert es ein Hotelbesitzer, Franz Frischmuth vom traditionellen "Hotel am See": "Altaussee ist eine wertvolle, wohlklingende alte Geige, die man sehr behutsam bespielen muss. Die darf man nicht mit der Säge bespielen." Diese Behutsamkeit in der Modernisierung ihres Orts sehen viele Ausseer bedroht.

Die Bewahrer ...

Bei manchen herrscht die Angst, dass die traditionelle, bürgerliche Sommerfrische in einem Disneyland-Massentourismus versinkt. Andererseits muss es eine gewisse Entwicklung geben. In dem kleinen Ort (1850 Einwohner), der zu 80 Prozent vom Tourismus lebt, zeigen sich jedenfalls erste Anzeichen für die Strapazen des modernen Tourismus.

Aussee ist eine "Erfindung" des steirischen Nationalheiligen Erzherzog Johann, der hier gern jagte und seine Lebensliebe, die Postmeisterstochter Anna Plochl, fand. Er machte den Ort fashionable. Marie-Theres Arnbom, die Autorin des neu erschienenen Buches Die Villen vom Ausseerland (siehe unten), bringt es auf den Punkt: "Es gab sehr viel Aristokratie, die ist noch da. Es gab noch mehr jüdisches Großbürgertum, das ist nicht mehr da."

Es gab Künstler, Schriftsteller, Intellektuelle, die fahren zum Teil nach wie vor nach Aussee. Und politische Akteure: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger erfreute kürzlich ihre Instagram-Follower mit einem Clip von ihrem Köpfler in den Altausseer See.

Aussee war und ist teils immer der Idealtyp der bürgerlichen Sommerfrische, wo man einfach auf der Veranda seiner klassischen Villa saß und in den Regen hinausmeditierte.

"Wir wollen kein Disneyland, wir wollen eine neue Erlebniszone auf dem Loser." Bürgermeister Gerhard Loitzl über Ausbaupläne
Foto: Birgit Probst

Aber das ist vielen zu wenig und zu altmodisch. "Erlebniswelten"-Aktionismus ist angesagt – und so kam zum klassischen Bürgertum der Tages- und Massentourismus dazu. Der Parkplatz im Ort Altaussee ist überfüllt, eine elektronische Tafel mit Pkw-Zähler warnt (oft vergeblich) vor der Weiterfahrt ans Ortsende.

Die Tagestouristen brechen in Karawanen von hier zum Fußmarsch um den See auf. Am Beginn steht ein Behälter mit dem Sackerl für das Hundegackerl wie in Wien. Beim einstündigen Rundgang sagt man ca. 500-mal fröhlich "Grüß Gott!".

... und die Erneuerer

Gleichzeitig ist Altaussee von der Chalet-Welle erfasst worden. Kritiker verweisen auf Investorenprojekte, Zweitwohnsitze, die anderswo schon Katzenjammer ausgelöst haben. Dazu soll ein Straßen-Gondel-Projekt entstehen, das den Massentourismus fördern könnte. Damit aber nicht genug.

Am Ortseingang von Altaussee stehen nun im Park der historischen Villa Gallia sogenannte Loris-Villen – im "Altausseer Stil" und im Prospekt mit einem Zitat von Hugo von Hofmannsthal aufgehübscht: "Ich liebe diese Landschaft so sehr, je älter ich werde, desto reicher wird sie mir."

Der Massentourismus bedroht immer mehr den "sanften Tourismus".
Foto: Birgit Probst

Da schnaubt die in Altaussee ansässige, bekannte Schriftstellerin Barbara Frischmuth nur: "Diese verlogenen Plakate! Die sogenannten Loris-Villen (Loris war das Pseudonym des jungen Hofmannsthal, Anm.) sind nur wegen der Vorschriften so zusammengequetschte Bauten." Frischmuth zum Grundsätzlichen: "Der Ort ist schön, aber die Schönheit wird ihm peu à peu genommen. Viele Zweitwohnsitze stehen leer, aber die Wiesen werden verbaut. Vor allem ist diese Heimlichtuerei ärgerlich: Man wacht auf, und die Bagger sind schon da."

Weiter vorn, schon fast im Ortskern, entstehen vier Häuser, die von den Verkäufern auf einem großen Transparent als "Altausseer Chalets" ausgeschildert sind. Auch hier wird mit dem Zitat eines "zugereisten" Schriftstellers geworben: "Glücklichsein ist ein bisserl leichter mit einem Haus in Altaussee" (Friedrich Torberg).

Chalets, die keine sind

Doch der Altausseer Bürgermeister Gerhard Loitzl (ÖVP) besteht extra darauf, dass es eben keine Chalets seien, sondern Einfamilienhäuser, die hier "unter Einhaltung aller Parameter" der Grundstücksbebauung errichtet worden seien. Der Begriff "Chaletdorf" beginnt, besonders nach zwei kritischen ORF-Sendungen wie Am Schauplatz, langsam anrüchig zu werden.

Im Ort entstehen Chalets und Zweitwohnsitze "im Ausseer Stil".
Foto: Birgit Probst

Martin Dämon von der Grünen-affinen Liste "Dialog – Lebenswertes Aussee" (vier Sitze im Gemeinderat) konstatiert schroff: "Altaussee ist am Abgrund in Richtung Kitzbühel, was die Immobilienpreise betrifft. Solche Projekte befördern das."

Dann gibt es das Projekt eines "Sporthotels" an einem Hang etwas über dem Ortszentrum. Hannes Androsch (83), ehemaliger Finanzminister, dann sehr erfolgreicher Unternehmer und ebenfalls in Altaussee ansässig, möchte es bauen – nach dem Konzept seines "Viva-Mayr-Gesundheitshotels" am oberen Ende des Sees.

Dieses Gesundheitshotel, wo reiche Patienten gegen viel Geld wenig zu essen und allerlei Anwendungen bekommen, gilt als architektonisch missglückt und viel zu hoch. Man fürchtet nun, dass das Sporthotel mit ähnlichen Dimensionen auf einem Hang über dem Ort dräuen wird.

Androsch versucht zu beruhigen: "Es wird sich von der Höhe her an den Hang schmiegen, die existierenden Bäume des Parks bleiben erhalten und schirmen den Komplex zur Straße ab." Aber die auf dem Grundstück befindliche historische Villa Kremenezky muss weg. Diese Villa – und die Villen des Ausseerlandes insgesamt – haben aber eine besondere Bedeutung für die Kulturlandschaft. Davon später mehr.

Sonnenkraftbetriebene Gondelbahn

Viele Zweitwohnsitze stehen später leer.
Foto: Birgit Probst

Das dritte umstrittene Projekt hat ebenfalls mit Hannes Androsch und seinem Unternehmergeist zu tun – und an diesem scheiden sich die Geister ganz besonders. Der existierende Sessellift auf den Hausberg Loser ist altersschwach, seine Betriebsgenehmigung läuft 2022 aus.

Androsch und weitere Investoren wollen eine sonnenkraftbetriebene Gondelbahn um 25 Millionen errichten, damit das feine, kleine Skigebiet, das Wandergebiet auf dem Hochplateau, die Startplätze für die Paraglider usw. weiter genutzt werden können.

Aber: Zur Talstation der Gondel soll eine neue Straße, abzweigend vom Pötschenpass (Bundesstraße) quer durch ein teilweises Naturschutz- und Naherholungsgebiet, gezogen werden. Die alte Straße führt durch den Ort, ist stellenweise zu eng und bringt tatsächlich eine ziemliche Verkehrsbelastung, denn neben dem Sessellift führt ja eine Panoramastraße auf den Loser, mit um die 40.000 Pkws jährlich.

Vehementer Widerstand

Dennoch ist der Widerstand vehement. Der Oppositionelle Martin Dämon von Dialog, im Zivilberuf Besitzer eines technischen Büros für Berg-und Hüttenwesen: "Die Trassenführung der neuen Straße ist kompletter Schwachsinn, angetrieben von dem Wunsch, möglichst wenige Grundbesitzer – außer den Bundesforsten – ablösen zu müssen. Die Gondel wird neue Massen auf den Loser bringen – mittags sind dann 20.000 Menschen oben. Die Straße und die Gondel werden zur Einflugschneise für den Massentourismus, man kann dann direkt als Tagestourist von Bad Ischl auf den Loser fahren. Wir werden uns mit Händen und Füßen gegen das Straßenprojekt wehren. Gegen die Gondel selbst sind wir nicht, wenn es nur eine ordentliche Umweltverträglichkeitsprüfung gibt, die nicht vorgesehen ist."

"Ni Hao!" statt "Grüß Gott!"

Für Barbara Frischmuth ist die Straße (die teils Pötschen-Loser-Straße, teils Franzbergstraße genannt wird) "wirklich schlimm. Es gibt nur noch wenige Hochmoore, die soll da durchführen."

"Altaussee verändert sich wie noch nie. Die geplante Straße zum Loser ist schlimm!" Schriftstellerin Barbara Frischmuth
Foto: Heribert Corn www.corn.at

Da die Straße einen "Abschneider" vom Pötschenpass zur Blaa-Alm am Fuß des Losers bietet, werden "viel mehr Leute kommen". Die Vision von Heerscharen an Chinesen wie in Hallstatt, die auf der Loserhütte einfallen, steht im Raum. "Ni Hao!" statt "Grüß Gott!" auf dem Seerundweg lässt manche erschauern.

Hotelier Franz Frischmuth, ein entfernter Verwandter, versucht eine ausgewogene Betrachtungsweise: "Die Seilbahn muss erneuert werden. Aber es wird zwangsläufig einen erhöhten Zulauf geben – und dann haben wir nicht mehr den sanften, nachhaltigen Tourismus, den wir im Ausseerland gewohnt sind, sondern Massentourismus. Der verträgt sich nicht mit dem Qualitätstourismus und der klassischen Sommerfrische, die wir über 150 Jahre hatten. Meine Vorfahren haben das nicht aufgebaut, dass unsere Kinder in einem neuen Hallstatt aufwachen."

Er schöpft Hoffnung aus der Tatsache, dass die "klassische Sommerfrische eine enorme Renaissance erlebt, besonders seit Corona. Die Gäste buchen oft auf Jahre hinaus."

Das sieht Hannes Androsch sehr viel nüchterner. "Wir werden weiter den Tagestourismus haben, man wird auf Sicht Besucherbeschränkungen andenken müssen, wie in Hallstatt, Venedig und Amsterdam. Das ist eine historische Entwicklung."

Was er geschaffen habe und noch durchsetzen will, sei ohnehin ein Beitrag zum Qualitätstourismus. Die "Viva Mayr" entspreche dem Trend zum Gesundheitstourismus, die Gäste seien sehr zurückgezogen und fielen gar nicht auf. Er habe zusätzlich Ganzjahresarbeitsplätze geschaffen und werde mit dem Sporthotel hundert neue schaffen. Die alte Villa Kremenezky müsse dafür leider weg.

Die Geschichte der Kremenezkys

Das klingt denn doch ziemlich baggerartig. Vor allem, wenn man die faszinierende Geschichte der Villa betrachtet. Der Familienpatriarch Johann Kremenezky stammte aus Odessa und baute in der Monarchie eine Glühlampenproduktion auf. Nach einer Begegnung mit Theodor Herzl wurde er glühender Zionist und Mitbegründer des Jüdischen Nationalfonds, der Land in Palästina aufkaufte.

Die Villa wurde 1939 "arisiert", wobei die Haushälterin festhielt: "Ich stelle die mir zur Last gelegten Beziehungen zu Kremenezky (Sohn; Anm.) in Abrede. Richtig ist, dass Kremenezky die Absicht hatte, mich zu heiraten, während ich mich weigerte, einen Juden zu heiraten. Ich bin seit fünf Jahren mit dem illegalen SS-Untersturmführer Theobald Czernin verlobt, wovon Kremenezky Kenntnis hatte."

Der berüchtigte Gauleiter August Eigruber (der die im Ausseeer Bergbaustollen eingelagerte Kunstschätze in die Luft sprengen wollte) wohnte in der Villa. Sie wurde 1947 restituiert und hatte nach dem Tod von Kremenezky jun. mehrere Besitzer, ehe Androsch sie erwarb.

Die historische Villa Kremenezky soll für ein Sporthotel abgerissen werden.
Foto: Birgit Probst

Neue Erlebnis- und Aktivzone

Was das andere Großprojekt von Androsch (und weiteren Investoren) betrifft, nämlich die Gondelbahn auf den Loser, so argumentiert er, dass die Gondel ja "nicht nur der Ersatz für den alten Skilift, sondern vor allem für die alte Panoramastraße sein wird. Dadurch fällt der Verkehr von 40.000 Pkws und ein entsprechender CO2-Ausstoß weg." Der Ansturm auf den Berg könne bei einer Kapazität von 1800 Personen pro Stunde nicht so arg sein.

Bürgermeister Loitzl begründet ähnlich: "Es ist nicht unser Konzept, viel, viel mehr Leute auf den Loser zu bringen, und er wird auch nicht zum Disneyland umfunktioniert werden. Wir wollen aber eine neue Erlebnis-und Aktivzone auf dem Loser."

Durch die neue Straßenführung vom Pötschen weg werde man ein Drittel des Verkehrs im Ort verringern können. Loitzl hat auch einen Deal mit den Gegnern der Straße im Auge: Wenn sie eine Besucherbeschränkung im Ort haben wollten, müssten sie der Pötschen-Loser-Straße zustimmen, sagte er im Juli ...

Ein wenig Optimismus

Doch im Moment steht ohnedies alles ein wenig. Die Pötschen-Loser-Straße hängt seit Monaten wegen des Widerstandes eines Grundbesitzers, sagt Loitzl. "Wir schauen jetzt, ob es Möglichkeiten der Umplanung gibt."

Auch beim Projekt Sporthotel auf dem Parkareal der Villa Kremenezky dürfte es noch Schwierigkeiten geben. Ein Konzept, das die verschiedenen Interessen vereinigt, ist nicht in Sicht. Das alte Altaussee gänzlich zu bewahren, das wird nicht gehen. Aber der Widerstand gegen die "Verhallstattisierung" hat eine wichtige Funktion.

Barbara Frischmuth ist gedämpft optimistisch: "Jetzt fängt man an, sich zu wehren. Was bisher passiert ist, kann man nicht rückgängig machen. Aber immer mehr wachen auf und sehen, was in anderen Touristenzentren, in Schladming oder Hinterstoder, verhaut wurde."(Hans Rauscher, 21.8.2021)

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Marie-Theres Arnbom, "Die Villen vom Ausseerland. Wenn Häuser Geschichten erzählen". 26,– Euro / 270 Seiten. Amalthea, 2021
Cover: Amalthea

Villenbesitzerwechsel

Wenn Häuser traurige Geschichten erzählen

Dieses Buch ist zugleich faszinierend und bedrückend. Die Autorin, die schon über die Villen von Ischl und von Pötzleinsdorf geschrieben hat, konzentrierte sich diesmal auf die vielen Villen jüdischer Großbürger, die im Ausseerland – Altaussee, Grundlsee, Bad Aussee – im Fin de Siècle entstanden. Der Vorgang ist fast immer der selbe: wirtschaftliche und kulturelle Hochblüte, prachtvolle Villen, in denen Gemälde von Gustav Klimt hingen oder berühmte Streichquartette Schubert spielten – dann "Arisierung", Vertreibung, Beraubung, Ermordung.

Nach dem Krieg nicht selten eine langwierige, unvollständige oder schandhafte "Restitution". Die Nutznießer – Arnbom hat bei ihrem intensiven Quellenstudium auch einen Bad Ausseer "Volksgenossen" ausgemacht, der 24 Villen "verwaltete" – kamen meist ungeschoren davon. Die prachtvolle Wassermann-Villa mit Riesenpark wurde 1938 von Johannes Hinrichsen, einem deutschen Kunsthändler und "Kunsteinkäufer" von Hermann Göring, "erworben". Seine Witwe lebte bis in die 6oer-Jahre dort. (rau)