Es ist Dienstagvormittag, Schließtag des Naturhistorischen Museums. Die Lichter in den Schausälen sind gedimmt, die Jalousien an den deckenhohen Fenstern geschlossen, als Anna Haider und Viola Winkler die Räumlichkeiten betreten. Nur die Geräusche der historisch knarrenden Böden begleiten sie auf dem Weg in die prähistorische Schausammlung. Wie an jedem Dienstag ist das Museum für Besuchende geschlossen und erlaubt es, mit den spannenden und wertvollen Sammlungsobjekten in den Schauräumen zu arbeiten. Ziel ist es, hochauflösende 3D-Modelle des bronzezeitlichen Schädels aus dem Gräberfeld von Franzhausen und des Kopfputzes aus Hafnerbach zu erstellen. Mit dabei sind zwei Oberflächen-3D-Scanner: Artec Leo und Artec Space Spider.

Der Weg zum 3D-Labor

Seit 2020 wird im Zuge des von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft geförderten Infrastrukturprojekts "MicroMus: Unlocking the Microcosm – Micro-CT Analyses in Museum Collections" ein 3D-Labor im Naturhistorischen Museum aufgebaut. Im Herzen dieser neuen Infrastruktur steht ein sogenannter Mikrocomputertomograf (Mikro-CT). Damit können, ähnlich der klinischen Computertomografie, mithilfe von Röntgenstrahlen innere und äußere Strukturen unterschiedlichster Objekte dargestellt werden. Neben zwei 3D-Druckern sind auch die beiden Oberflächenscanner Teil des 3D-Labors. Im April 2021 öffneten dann die virtuellen Tore des 3D-Museums.

Die Auswahl der Objekte, die präsentiert werden sollen, basiert auf den Top-100-Objekten des Museums sowie weiteren für Wissenschaft und Öffentlichkeit interessanten Artefakten. So wird aus der Prähistorischen Abteilung des NHM die 2.400 Jahre alte Situla von Kuffern gezeigt oder die altsteinzeitliche Frauenstatuette von Stratzing, ein Lederschuh und Tragsack aus dem Salzbergwerk Hallstatt, ein Dolch und eine Zeremonialaxt aus dem Gräberfeld desselben Ortes und selbst unscheinbarere Objekte wie eine römische Öllampe. Manche Objekte, etwa der Vogelwagen von Glasinac aus der Zeit um 800 v. Chr., werden auch animiert gezeigt – bei diesem Stück hebt sich der Deckel ab. Er konnte in der Eisenzeit abgenommen werden, um das Gefäß zu befüllen.

Entnahme der Objekte

Bei der Scanaktion stehen frühbronzezeitliche Objekte im Fokus. Besonders die reichen Gräberfelder im Traisental sind spannend, weil es dort eine besondere Frauentracht gegeben hat. In Franzhausen und Hafnerbach wurden zudem bogenförmige Objekte gefunden, die man vor 4.000 Jahren als Kopfschmuck getragen hat. Um zu verstehen, wie diese Objekte funktioniert haben, werden sie 3D-gescannt und können somit in all ihren verschiedenen Aspekten studiert werden. Das macht die Artefakte für Besuchende viel erlebbarer als fix in der Vitrine befestigte Objekte.

In Schausaal 11 sind bereits Mitglieder des Restaurierungsteams der Prähistorischen Abteilung dabei, die beiden Objekte aus der Vitrine zu heben. Vorsichtig transportieren Irina Huller und Daniel Oberndorfer die wertvollen Stücke in einen Nachbarraum, um alles für den Scanvorgang aufzubauen: eine Drehscheibe, um den Schädel und Schmuck einfach und berührungslos aus allen Winkel aufnehmen zu können, einen Laptop, um den Scanvorgang zu beobachten, und für die ersten Scans natürlich einen der 3D-Scanner, den Artec Space Spider.

Daniel Oberndorfer bei der Entnahme des Kopfschmuckes aus einer Vitrine im Schausaal 11 des Naturhistorischen Museums in Wien.
Foto: Irina Huller

3D-Scans wertvoller Objekte

Die 3D-Scanner produzieren ein Weißlichtmuster in Form von parallelen Streifen, mit denen die Objekte während des Scanvorgangs beleuchtet werden. Mithilfe einer Kamera nehmen die 3D-Scanner die Verzerrung dieses Musters auf und können so die Distanz zu verschiedenen Punkten auf der Oberfläche berechnen. Die entstehenden dreidimensionalen Koordinaten werden dann verwendet, um das finale 3D-Objekt zu berechnen. Um auch wirklich alle Seiten des Objektes aufzunehmen, sind mehrere Teilscans nötig – bei großen und komplexen Objekten wie dem Deinotherium in Saal 9 ist das oftmals zeitaufwendig und auch eine akrobatische Herausforderung.

Der bronzezeitliche Schädel aus dem Gräberfeld von Franzhausen liegt auf der Drehscheibe bereit für den 3D-Scan.
Foto: Anna Haider

Entstehung der Scans

Nachdem der Schädel aus allen Winkeln eingescannt und die entstehenden Daten kontrolliert wurden, ist der Kopfschmuck an der Reihe. Hier kommt der zweite Scanner – der Artec Leo – zum Einsatz. Die beiden 3D-Scanner unterscheiden sich hauptsächlich in ihrer Auflösung und damit in ihrer Anwendung. Der Artec Leo wird vor allem bei Objekten ab der Größe eines Schuhkartons verwendet. Der Vorteil: Er ist komplett kabellos und hat einen kleinen Computer direkt im Gerät eingebaut. Er ist dadurch nicht wie der Artec Space Spider auf einen Laptop angewiesen. Über einen Touchscreen am 3D-Scanner können alle Parameter für den Scan eingestellt und der Scan in einer Live-Voransicht beobachtet und kontrolliert werden.

Der Kopfputz ist zwar größentechnisch durchaus noch vom Artec Space Spider erfassbar, doch gibt es hier eine andere Schwierigkeit: Das Objekt ist auf einer Schiene aus transparentem Plastik montiert. Transparente Oberflächen können normalerweise nicht gut von den 3D-Scannern erfasst werden. Zum Glück ist es aber möglich, mit dem Artec Leo trotzdem die generelle Form des Kopfputzes zu erfassen.

Daniel Oberndorfer mit dem 3D-Scanner Artec Space Spider beim Scannen.
Foto: Anna Haider
Daniel Oberndorfer und Viola Winkler kontrollieren die einzelnen Aufnahmen während des Scanvorgangs.
Foto: Anna Haider

Nachbearbeitung

Die Nachbearbeitung läuft im Programm Artec Studio Professional ab. Während der Aufnahmen wurden mehrere Ansichten in überlappenden Einzelscans festgehalten. Diese einzelnen Scans müssen zueinander ausgerichtet werden, da die 3D-Scanner nicht erkennen können, wie die einzelnen Aufnahmen zueinander positioniert sind. Anhand von manuell festgelegten Referenzpunkten werden die Scans zusammengefügt.

Bei der Berechnung des 3D-Modells entsteht als Resultat eine 3D-Objekt-Datei, welche die Oberfläche des gescannten Objektes maßstabsgetreu wiedergibt. An diesem Punkt können noch Stellen ausgebessert werden, die ungenügend von den 3D-Scannern erfasst wurden. Bei diesem Schädel verlangen vor allem die vielen feinen Löcher auf der Oberfläche nach Geduld beim Ausbessern.

Ein Blick in das Programm Artec Studio Professional: Die einzelnen Scans werden mithilfe von platzierten Punkten zueinander ausgerichtet.
Foto: Anna Haider

Grünverfärbung

Auch die Grünfärbung des Schädels wird im 3D-Modell visualisiert. Diese ist über viele Jahre durch Korrosionsprodukte der beiliegenden Bronze-Schmuckstücke entstanden. Dieselben Schritte werden mit dem Kopfschmuck wiederholt. Nachdem die beiden 3D-Modelle fertiggestellt sind, werden sie im 3D-Programm Blender nachbearbeitet und zueinander positioniert.

Ankunft im 3D-Museum

Weiter geht es zur Internetplattform Sketchfab, auf der das 3D-Museum des Naturhistorischen Museums beheimatet ist. Hier werden die fertigen 3D-Modelle hochgeladen und noch finale Einstellungen wie beispielsweise die Lichtstimmung verfeinert. Anschließend werden Infoboxen platziert: Durch das Anklicken der erscheinenden Zahlensymbole auf den Modellen kann in der Folge Wissenswertes zu den Objekten abgerufen werden. Damit ist nach vielen Stunden Arbeit ein Neuzugang im 3D-Museum anzutreffen und kann somit virtuell besucht werden.

Das fertige 3D-Modell des Schädels aus dem Gräberfeld von Franzhausen sowie der Kopfputz aus Hafnerbach im 3D-Museum des Naturhistorischen Museums auf Sketchfab.

Im Gegensatz zur klassischen Präsentation in den Ausstellungsräumen können die 3D-Objekte im 3D-Museum von allen Seiten betrachtet werden, von jedem Ort der Erde aus. (Viola Winkler, Anna Haider, Karina Grömer, Andreas Kroh, 23.9.2021)