Viel Asphalt, wenig Grün: Brüssel steht in den Rankings zu Stickstoffdioxidbelastung und mangelnden Grünflächen nicht gut da.
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Wo wollen Menschen in Europa leben? Diese Entscheidung ist natürlich eine persönliche, Länder und Regionen haben unterschiedliche Vor- und Nachteile – von der Leistbarkeit bis zum Wetter, vom kulturellen bis hin zum politischen Angebot. Auch gesundheitliche Aspekte spielen eine Rolle und fließen durchaus in weltweite Rankings zu lebenswerten Städten mit ein. Eine Vorreiterrolle hat Wien inne. In Ermangelung neuer Mercer-Studien 2020 und 2021 bleibt die Hauptstadt hier Titelverteidigerin, während sie im "Economist"-Ranking den Spitzenplatz verlor. Das lag wie bei vielen anderen europäischen Städten unter anderem an den Belastungen der Covid-19-Pandemie für das kulturelle Angebot und das Gesundheitssystem.

Am Forschungsinstitut ISGlobal, dem Barcelona-Institut für globale Gesundheit, liegt der Fokus bei europäischen Städten und ihrer Gesundheitsbelastung. Auf einer Website stellt die Einrichtung ihre Rankingergebnisse zusammen, die auf Studien basieren. Ein Top-Platz bedeutet hier allerdings besonders schlechte Bedingungen. In Sachen Luftverschmutzung liegen bei kleinsten Feinstaubpartikeln (PM2,5) Städte in Norditalien, im Osten Tschechiens und im Süden Polens vorne. Brescia ist auf Platz eins, gefolgt von Bergamo.

Kein Durchatmen in Madrid, Paris und Brüssel

In diesen industriell schwer belasteten Regionen ist die absolute Feinstaubmenge im Jahresdurchschnitt relativ hoch. Bei der Bewertung geht es aber etwa auch um die Sterblichkeit in diesem Zusammenhang und darum, wie viele frühzeitige Todesfälle jährlich vermeidbar wären, wenn die Städte sich an die bisher geltenden WHO-Empfehlungen zu den maximalen Grenzwerten hielten, die kürzlich verschärft wurden.

Das Ranking zur Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) zeigt mehr Haupt- und Großstädte. Hinter Madrid (1), Antwerpen (2) und Turin (3) liegen Paris (4), Mailand (5), Barcelona (6) und auf Platz 8 Brüssel. Am anderen Ende der Skalen zur Luftverschmutzung, die 858 Städte berücksichtigt, finden sich vor allem skandinavische Regionen. Für Österreich schneidet Salzburg am besten ab und liegt bei Feinstaub und NO2 im grünen Bereich. Schlechter kann man in Wien und Linz durchatmen.

Gesünder in Grünanlagen

Neu ist allerdings die Bewertung in Zusammenhang mit den Grünflächen, die sich in einer Stadt befinden. Die entsprechende Studie veröffentlichte das Forschungsteam kürzlich im Fachjournal "The Lancet Planetary Health". Berechnet wurde ein Vegetationsindex, der das Ausmaß an Grünflächen wie Parks und Gärten sowie Straßenbegrünung durch Bäume angibt. Dafür wurden Satellitenbilder (aus den Jahren 2015 und 2012) als Grundlage benutzt.

Wie lässt sich aber beispielsweise der Anteil der Grünflächen und der Zugang zu ihnen mit der Sterblichkeit in Zusammenhang setzen? Generell zeigen zahlreiche Studien, dass Wiesen, Parks und andere Grünanlagen einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben. Menschen, die einen guten Zugang zu Grünanlagen in Städten haben und sich häufiger in diesen aufhalten, haben im Durchschnitt eine höhere Lebenserwartung, seltener Herz-Kreislauf-Erkrankungen und weniger psychische Probleme. Sogar die kognitiven Fähigkeiten von Kindern und älteren Menschen sind besser.

Das alles hängt damit zusammen, dass sich Menschen in Parks häufiger sportlich betätigen und im Freundeskreis oder unter Nachbarn treffen. Bäume und andere Pflanzen sorgen aber auch dafür, dass Kohlenstoffdioxid (CO2) gebunden und Sauerstoff (O2) produziert wird. Grünanlagen sind vor allem in Städten Inseln, die zu einer Verringerung von Luftverschmutzung, aber auch von Hitze und Lärm beitragen (sofern man Fahrzeuglärm nicht der Klangkulisse spielender Kinder vorzieht).

Triest auf Platz eins

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, dass sich höchstens 300 Meter von jedem Wohngebäude entfernt eine Grünfläche in der Größenordnung von mindestens 0,5 Hektar befinden sollte. Das entspricht beispielsweise einer quadratischen Fläche, die an einer Seite etwas mehr als 70 Meter lang ist. Die Empfehlung kombinierte das Forschungsteam mit Daten aus großen Metaanalysen und den Satellitendaten, um die Informationen in ihre Rangliste mit 866 Städten zu übersetzen.

Hier liegen wieder zwei italienische Städte vorne: Triest auf Platz eins, gefolgt von Turin, wo 92 Prozent der Bevölkerung keinen guten Zugang zu Grünflächen im Sinne der WHO-Empfehlung haben. In Turin ließen sich auch geschätzt 546 frühzeitige Todesfälle vermeiden, wenn die empfohlene Nähe zu Bäumen, Büschen und Wiesen für die ganze Stadtbevölkerung eingehalten würde. Dahinter folgt die Stadtregion Blackpool (Großbritannien), die spanische Stadt Gijón und wiederum Brüssel (Belgien). Besonders gut stehen auf dieser Liste kleinere Städte in Portugal und Spanien da.

Blau statt grün

Viele Städte mit einer diesbezüglich hohen Sterblichkeit liegen in Griechenland, Osteuropa, im Baltikum und in Italien. Hauptstädte sind wieder einmal besonders stark betroffen, neben Brüssel sind das vor allem Kopenhagen, Budapest, Athen und Riga. Dabei zeigt sich aber auch, dass etwa die Nähe zu Gewässern nicht berücksichtigt wurde, die in mancherlei Hinsicht zu den rein grünen Erholungseffekten beiträgt. Städte am Meer bieten durch Strände zusätzliche Erholungsräume. Flüsse und Teiche können etwa Pufferzonen zwischen dicht bebauten Gebieten eine wichtige Rolle einnehmen.

Die österreichischen Städte schneiden allesamt nicht ideal ab. Wiederum ist Salzburg national weit vorne, aber diesmal im gelben und nicht im grünen Bereich, europaweit auf Platz 404. Klagenfurt rangiert auf Platz 265, im roten Bereich liegen Innsbruck (170), Linz (134), Graz (111) und vor allem Wien, das Platz 69 einnimmt. In Wien ließen sich den Berechnungen zufolge 464 frühzeitige Todesfälle vermeiden, wenn alle in empfohlener Nähe zu Grünflächen leben würden. Besser sehen die österreichischen Werte auch dann aus, wenn man anstelle des Vegetationsindikators jene Fläche für den Vergleich heranzieht, die offiziell als Grünfläche deklariert wird – dies beinhaltet jedoch nur öffentliche Grünräume.

43.000 verfrühte Todesfälle

Allgemein leben in den europäischen Städten 62 Prozent der Bevölkerung in Gegenden, die verhältnismäßig wenige oder kleine Grünflächen aufweisen, also nicht der WHO-Empfehlung entsprechen. Daraus ergeben sich knapp 43.000 verfrühte Todesfälle pro Jahr. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Grünflächen in den europäischen Städten sehr ungleich verteilt sind", sagt Evelise Pereira, Hauptautorin der Studie.

Es gibt aber klarerweise nicht nur Unterschiede zwischen den verschiedenen Städten, sondern auch innerhalb einer Stadt – mit Vierteln und Grätzeln, in denen kaum für Grün gesorgt wird. "Zu oft befinden sich Grünflächen nicht in der Nähe der Orte, wo die Menschen leben, und die Leute kommen nicht in den Genuss der gesundheitlichen Vorteile", sagt Pereira.

Entsprechend sollte in europäischen Städten die Begrünung weiterhin auf der To-do-Liste stehen, wie auch der betreuende Studienautor Mark Nieuwenhuijsen betont: "Unsere Studie zeigt, dass es wichtig ist, dass Grünanlagen gut zugänglich und in der Nähe von Wohngebieten sind." Um Städte grüner zu machen, müssten auch begrünte Dächer und Wände mehr Raum bekommen, sagt der Forscher. "Andere Maßnahmen sind das Umleiten von Verkehr und generell das Aufgraben von Asphaltflächen, die durch Grünflächen, grüne Korridore, Straßenbäume und Miniparks ersetzt werden sollten."

Im Kleinen können auch die Bewohnerinnen und Bewohner zu Verbesserungen beitragen, wie das Institut online im Sektor "What can you do?" aufzeigt. Neben dem Vermeiden von Fahrzeugen, die Kraftstoff verbrauchen, und dem Begärtnern eigener Flächen kann man sich etwa aktivistisch einbringen und den Kontakt zu lokalen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern suchen. (red, 11.10.2021)