Die Liegestütz müssen zuerst einmal ohne Zusatzlast sitzen, bevor man sich die Gewichtsweste überzieht.

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Um ihr Training noch ein bisschen anstrengender zu machen, ziehen sich manche warm an. Sie tragen eine Gewichts-Weste beim Laufen oder beim Zirkeltraining, um die Trainings-Intensität zu erhöhen, mehr Kalorien zu verbrennen und Muckis aufzubauen.

Kurz gesagt: Sie wollen in kürzerer Zeit mehr trainieren. "Das ist ein Trend unserer Zeit", sagt der Sportwissenschafter Heinz Kleinöder von der Deutschen Sporthochschule Köln. Aber lohnt sich die Schinderei?

Laufen: lieber nicht

Die Antwort lautet: Es kommt darauf an. Beim Lauftraining bringt eine Gewichtsweste im schlimmsten Fall mehr Schaden als Nutzen. Bei der Bewegung müssen die Gelenke schon unter normalen Bedingungen das Drei- bis Fünffache des Körpergewichts aushalten. Durch die Zusatzlast verlieren die Bewegungsabläufe an Qualität, weil der Muskel die beanspruchten Gelenksstrukturen nicht mehr stabilisieren kann.

Die Folge ist eine Überlastung des Bewegungsapparats, warnt der Sportwissenschafter Michael Koller von der Sportordination in Wien. Noch etwas führt er ins Treffen: Viele Hobbysportlerinnen und Hobbysportler schleppen ohnehin schon das eine oder andere Kilo zu viel mit sich herum. Oft reiche das schon aus, um die Gelenksstruktur zu überlasten. Kollers Fazit: Das Laufen mit Gewichtswesten ist nicht empfehlenswert und "nur für Masochisten geeignet".

Im Spitzensport werde aber sehr wohl mit Widerständen gearbeitet – allerdings nicht mit Gewichtswesten, sondern mit Zugschlitten und Bremsschirmen. Sie wirken als Widerstand in der horizontalen Beschleunigung und bieten einen Kraftausdauer- oder Schnellkraftreiz, ohne dabei den Bewegungsapparat zu belasten.

Sportwissenschafter Kleinöder kennt das Training auch aus dem Tennissport, bei dem der Schläger mit Gewichten ausgestattet wird. Damit werden die Körpersensoren kurzfristig gestört, erklärt er, danach fällt der Aufschlag leichter. Allerdings würden solche Trainingsreize auch nur ganz kurzfristig und kontrolliert gesetzt.

Krafttraining: vielleicht

Häufiger kommen die Zusatz-Gewichte im Kraftsport zum Einsatz. Davon, sich die Weste einfach im Fitnessstudio umzuschnallen und damit von Maschine zu Maschine gehen, rät Kleinöder ab. Auch wer mit Hanteln trainiert, braucht keine zusätzlichen Gewichte.

Sinnvoll kann eine Gewichtsweste aber beim Training mit Eigenkörpergewicht sein, etwa bei Klimmzügen und Push-Ups. Wichtig ist dabei allerdings, dass die Bewegungen ohne Gewicht wirklich sitzen. Das ist gar nicht so leicht: Zumindest Klimmzüge sind schon ohne Gewicht für die meisten Hobbyathletinnen und -athleten eine Herausforderung.

Kleinöder rät bei Klimmzügen mit Zusatz-Gewicht dazu, diese exzentrisch zu machen, sich also ganz langsam und kontrolliert von der Stange sinken zu lassen, bis die Arme gestreckt sind. Damit mache man die Ruhephase zur Arbeitsphase. Zudem sei die Bewegung einfacher, als sich hochzuziehen. "So bereitet man die Muskeln intelligent auf eine schwere Belastung vor", sagt Kleinöder.

Wenig Gewicht

Wer das Training mit Gewichten ausprobieren möchte, sollte jedenfalls sehr bescheiden – also bei ein oder zwei Kilo – starten, und sich langsam nach oben arbeiten. Viele Westen bieten die Möglichkeit, sich mit kleinen Zusatzgewichten, die in den vielen Taschen verstaut werden, auf bis zu 30 Kilo zu steigern. Die Frage eines Käufers, ob man damit denn auch schwimmen gehen kann, stieß auf Amazon aber auf Unverständnis.

Nötig ist eine Weste für ein effektives Training nicht. Sogar Übungen, die man vermeintlich im Schlaf beherrscht, lassen sich schon durch kleine Variationen abändern – und dadurch erschweren. Sportwissenschafter Kleinöder rät zum Beispiel bei der Kniebeuge dazu, diese einmal in Zeitlupe durchzuführen – und mittendrin ein paar Sekunden anzuhalten. Keine Frage: Die Gewichtsweste ist in dem Moment garantiert vergessen. (Franziska Zoidl, 19.11.2021)