Oft, leicht und schnell sind wir von anderen oder von kleinen Problemen genervt. Wie wenn die Gattin sagt, dass der oberste Knopf zugmacht ghört. Aber diesmal wage ich zu hinterfragen, ob ich nicht auch manchmal nerve.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Was macht ein STANDARD-Journalist, wenn er am Abend einfach nicht mehr kann? Wenn ihm heute einfach alles zu viel war? Er liest die Postings im STANDARD. So mache ich das zumindest. Nicht die Postings zu den eigenen Geschichten, das wäre der Entspannung ja wenig dienlich. Da muss man sich schon auf die Suche nach den Schätzen machen, wenn man sich gut unterhalten will. Der Corona-Ticker ist da oft eine gute Anlaufstelle, aber auch die Montagsfrage unlängst: "Welche Verhaltensweisen Fremder können Sie nur schwer ertragen?" hat mir schöne Stunden geschenkt. In mehr als 2600 Kommentaren lassen sich da die Userinnen und User über ihre Mitmenschen aus.

Tschik und Müll als Aufreger

In vielen Kommentaren habe ich mich wiedergefunden. Zum Beispiel als sich mehrere Leute darüber beschwert haben, wie achtlos andere den Müll auf die Straße werfen oder Tschik aus dem Autofenster schnippen. Und es gibt ein paar Menschen, die wie ich, wenn es geht, das Klumpat der anderen, beim Spazierengehen wieder aufheben und dann entsorgen. Schu grantig, aber dennoch.

Es gab auch jede Menge Amüsantes. Etwa "Elien" die oder den stört, wenn jemand seinen Laptop mit dem Kinderwagen spazieren führt. Oder "Baal Kagan" mit dem Kommentar: € 9.98 – "ich hab's klein", brachte mich zum Schmunzeln. Und selbst Tage später las ich mich noch durchs Forum.

Silent Zone

Etwa als ich auf dem Weg nach Salzburg im Ruhebereich-Wagen der ÖBB saß (während hinter mir zwei – verzeihen Sie mir, dass ich mich da immer noch nicht verbal im Griff habe – Vollidioten lauthals ihr trostloses Eheleben ausbreiteten, statt einfach die Klappe zu halten) und ich justament den Kommentar von "solemare" las: "Wenn im Ruhewaggon des Zuges laut geredet oder telefoniert wird." 60-mal grün, fünfmal rot. Letzteres vermutlich die beiden Idioten, die ganz sicher mehrere Accounts zum Rotstricheln haben.

Aber irgendwann beim Lesen der vielen Kommentare fiel mir ein, dass vermutlich auch ich den anderen mörderisch am Nerv geh. Also machte ich die Umkehrung und begann vor der eigenen Tür zu kehren. Und es dauerte genau nicht einmal eine Sekunde, bis ich fündig wurde.

Meine genervte Frau

Es war ein herrlicher Frühlingsnachmittag. Meine Frau lud ein paar Freundinnen zu uns ein. Weil ich jetzt aber nicht so der Gesellschaftsmensch bin und immer ein bisserl fremdle, hab ich mich dem Smalltalk entzogen, indem ich vorzog, für die Damen zu kochen. Dass ich mich in der Küche verstecke, ist vermutlich schon das Erste, was andere an mir nervt. Als es nach dem Servieren aber keine Ausrede mehr gab, mich zu verstecken, riss ich den Kasperl runter, unterhielt die Damen mit mehr und viel öfter vermutlich auch weniger geistreichen Witzen und Anekdoten – nur nix Persönliches ... Und dann der Knaller.

Eine der Damen setzte sich auf, schaute meine Frau an und meinte: "Du hast echt ein Glück. Ein Mann, der kochen kann und der witzig ist." Meine Frau setzte sich nicht auf, um zu sagen: "Ja, die ersten zwei Wochen ist das eh okay, aber danach fangen die immer gleichen Schmäh ziemlich zu nerven an." Da kann man sich jetzt einreden, dass das alles nicht so wild sein kann, wenn sie nach den ersten beiden kurzweiligen Wochen noch vierzehn Jahre angehängt hat – aber man muss schon sehr selbstbewusst sein, um nicht zu merken, dass man nervt.

Der Lustige

Wenn ich meine lustigsten Antworten auf blöde Mails, die ich bekomme – oder noch besser, auf Anfragen über meine Angebote auf Wiederverkaufsplattformen – auf die ich sehr stolz bin –, meiner Frau vorlese, dann habe ich oft Angst, dass ihr die Augen stecken bleiben könnten. Wenn Sie verstehen, was ich meine.

Mein Veganismus nervt manche – obwohl ich davon überzeugt bin, dass ich ihn nicht vor mir hertrage. Soll jeder, wie er will, ist meine Einstellung. Aber wenn ich bei der Grillerei das Fleisch dankend ablehne und mich über den Salat hermache, dann merk ich schon, dass das andere ziemlich anzipft. Jetzt geh ich halt nicht mehr zu solchen Grillereien. Und nun sind die Leut genervt, weil ich ihre Einladungen immer unter fadenscheinigen Gründen absage. Manchmal kannst nicht gwinnen.

Die genervte Kollegin

Sie erkennen an der unnötigen Länge des Artikels vielleicht schon, dass ich mich in einen Strudel geschrieben habe. Das blieb jetzt auch der Kollegin, die mir genau gegenübersitzt, nicht verborgen. Sie wollte wissen, woran ich arbeite. Unnötig zu erwähnen, dass sie mir sofort mit weiterem Material aushelfen konnte. Sie erinnerte mich an eine Geschichte, die wir einst zusammen verfasst haben.

Wir waren beide voller Begeisterung an dem Thema, schrieben unabhängig voneinander unsere Sachen nieder – und als wir es zusammenfügen sollten, kam es zum Inferno. "Damals bist du mir so am Nerv gegangen", schreit sie mich fast an. Schön, die alten Gefühle sind immer noch da. "Du kannst einfach nicht gut mit anderen Ideen umgehen, blockst Einwände ab, und Kritik verträgst du gar nicht. Wenn wer was an deinen Texten aussetzt, bist du sofort beleidigt."

Offenes Theater

Sie spricht lauter, als ich meine, dass es der Situation angemessen ist. Kolleginnen und Kollegen von zehn Tischen weiter drehen sich zu uns um. Manche schmunzeln. Einer hat sich grad verschluckt. Ich merke, wie ich rot werde. Verlegen scrolle ich in meinem E-Mail-Postfach herum und sage sowas wie "Danke, ja, das ist ein Punkt. Könnt ich mitnehmen." Und dann bleib ich bei der E-Mail hängen, die in der Situation grad die Blödeste ist, die man sich in dem Moment vorstellen kann.

Wir haben noch einmal eine Geschichte zusammen gemacht. Wir haben uns Friede, Freude und veganen Eierkuchen geschworen. Wir haben die Geschichte gemacht, ohne uns zu streiten. Ich habe mich an die andere Zusammenarbeit erinnert und im Zweifel einfach nachgegeben, mich nie durchgesetzt, nie auf meinem Standpunkt beharrt. Und in der depperten E-Mail steht jetzt, dass wir mit genau der Gschicht für EINEN JOURNALISTENPREIS NOMINIERT SIND. Himmelfix.

Teamwork

Aber jetzt unter uns. Was hab ich zu verlieren? Wenn wir gewinnen, gewinnen wir beide. Wenn wir nicht gewinnen, dann wird es nicht an den zwei Beistrichen liegen, die ich in der Geschichte gemacht habe und die das Lektorat dann von dort, wo ich sie hingesetzt hab, an die richtige Stelle verpflanzt hat. Ich bin fein raus. Aber das ist noch nicht das Ende. Neiiiiin.

Weil die Zusammenarbeit zuletzt so gut geklappt hat, konnte ich die liebe Kollegin davon überzeugen, dass wir im Frühling wieder ein gemeinsames Werk angehen. Eine Tandem-Fahrrad-Geschichte. Wir nehmen mein Tandem, machen einen gemeinsame Ausflug und berichten davon. Hab ich Ihnen eigentlich schon davon erzählt, dass diese Kollegin Tandemfahren mehr hasst als einen Typen, der mit Kritik an seiner Arbeit nicht umgehen kann? Wenn Sie also im April, Mai nix mehr von mir lesen – dann hab ich beim Fahren wohl doch ein Alzerl zu viel genervt. Aber machen Sie sich keine Sorgen, machen Sie sich lieber Gedanken.

Gedanken darüber, womit Sie Ihre Mitmenschen nerven. Ich warat total neugierig, was dabei herauskommt. Sie wissen ja, Ihre Postings und Kommentare versüßen mir den Abend nach einem harten Arbeitstag.

Wie gehen Sie mit Kritik um?

Sehen Sie Ihre eigenen Schwächen ein, oder sind nur alle anderen schlicht Trottl? Arbeiten Sie an Ihren Schwächen, an den Eigenschaften, die andere nerven? Und haben Sie jemals einen Mitmenschen gefragt, was ihn an Ihnen nervt? Haben Sie eine ehrliche Antwort bekommen? (Guido Gluschitsch, 15.11.2021)