Ein "Abrüsten der Worte von allen Seiten": So lautet die zentrale Botschaft aus Karl Nehammers Antrittsinterview. "Wir müssen aufhören mit dieser Vorwurfskultur", fordert der neue Kanzler und ÖVP-Chef, denn: "Die Zunge ist schärfer als das Schwert."

Doch der Feind steht – um bei Sprichwörtern zu bleiben – mitunter im eigenen Lager. Nimmt Nehammer seine Parole ernst, dann hat er sich ein schlechtes Vorbild ins Innenministerium gesetzt. Als Landesgeschäftsführer der ÖVP in Niederösterreich verkörperte Gerhard Karner einst die Antithese zur verbalen Abrüstung. Statt Händereichen war Niedermachen angesagt.

"Unerträgliche Dummheit", "charakterlose Speibereien", "landesfeindliche Attacken": Das und vieles mehr unterstellte Karner Oppositionspolitikern, die sich erdreistet hatten, Kritik an der ruhmreichen Landespartei zu üben. Die Grünen beschimpfte er als "heimatfremde" Polizistenhasser, die für Kriminelle demonstrierten und "Jagd und Hatz auf Personen" betrieben. Sozialdemokraten waren "Nestbeschmutzer" und "Parteibonzen", die Arbeiter verrieten und "außer parteipolitischem Geschwafel nichts im Kopf" hätten. Wer derart ausfällig wird, braucht die Verrohung in den sozialen Medien nicht zu beklagen. Diese Saat hat Karner selbst gelegt.

Bild nicht mehr verfügbar.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP).
Foto: REUTERS/LEONHARD FOEGER

Beschämender Höhepunkt sind jene Aussagen, die aus dem Juni 2007 überliefert sind. Die niederösterreichische SPÖ "arbeitet mit Herren aus Amerika und Israel gegen das Land", hat Karner im damaligen Landtagswahlkampf laut Austria Presse Agentur (APA) behauptet und dabei "Klimavergifter" am Werk gesehen. Diese Formulierungen transportieren jene unausrottbare Verschwörungstheorie, die sich auch hinter dem beliebten Hinweis auf "gewisse Kreise der Ostküste" verbirgt. Es ist sonnenklar, wen anfällige Adressaten darunter verstehen: das Judentum, das mit seinen schädlichen Umtrieben das brave Österreich untergrabe.

Antisemitische Ressentiments

Damit ist nicht gesagt, dass Karner selbst antisemitische Ressentiments hegte oder hegt. Doch er hat jene Menschen bedient, die das tun. Dass ihm dies – wie der Neo-Minister nun sagt – nicht bewusst war, ist wenig glaubwürdig und schon gar keine Entschuldigung für einen Politiker. Jeder Amtsträger muss wissen, wie diese Anspielungen seit Jahrzehnten funktionieren.

Die erste Reaktion Karners ließ wenig Einsicht erkennen. Es sei halt Wahlkampf gewesen, wiegelte er im Kurier-Interview ab – als ob man da ohne solche Signale nicht auskommen könne. Erst als die jüdische Hochschülerschaft und prominente Intellektuelle seinen Rücktritt forderten, fand der Ressortchef zu mehr Ernsthaftigkeit.

Doch auch der zweite Anlauf reichte nicht, dazu fiel das Bekenntnis gegen Antisemitismus zu allgemein aus. Karner brauchte einen dritten Versuch, eine neuerliche Aussendung an die Apa, um endlich sein Bedauern auszusprechen, allerdings mit relativierendem Zusatz: "Sollten damalige Aussagen missverständlich aufgefasst worden sein". Das gemahnt an eine dieser "Meinentwegen"-Entschuldigungen in der Jörg-Haider-Gedächtnis-Variante.

Es bedarf deutlicherer Worte. Als Anlass bietet sich das angekündigte Treffen mit Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde an. Karner sollte unmissverständlich eingestehen, dass die damalige Aussage ein schwerer Fehler war, und die anderen verleumderischen Ergüsse am besten gleich miteinbeziehen.

Das läge auch im Interesse Nehammers. Für einen Regierungschef, der Brückenbauer sein will, wäre ein Mitstreiter mit einer ungetilgten Hypothek eine Belastung. Es geht um ein Zeichen gegen einen inakzeptablen Politikstil – und damit auch um die Glaubwürdigkeit des neuen Kanzlers. (Gerald John, 13.12.2021)