Es wird einem immer wieder die Geschichte auf die Nase gebunden, dass das Design des Kipferls nach der Zweiten Wiener Türkenbelagerung 1683 – haben die sich eigentlich jemals dafür entschuldigt? – kreiert wurde, um den türkischen Halbmond zu verhöhnen. Abgesehen davon, dass das auch nicht die feine Art wäre: Es stimmt eh nicht.

Foto: Getty Images/iStockphoto
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Ein politisches und ideologisches Minenfeld, am Ende werden neben Vanillekipferlbröseln jede Menge verwundete Seelen zurückbleiben! Aber aus der Nummer komme ich nicht mehr raus, also backen wir den Stier bei den Hörnchen. Verzeihen Sie, das musste sein. Es wird nicht bei dieser einen Entschuldigung bleiben.

Backen war für mich immer eine seltsame Aktivität, etwas für Omis, Weicheier oder für Leute, die gerne alles abwiegen, messen und ihr sonstiges Leben perfekt schubladiert haben und niemals falsch parken. Das ist natürlich ein Zitat, ich würde so etwas nie sagen. Bei den Fortschritten, die unsere aufgeklärte Gesellschaft inzwischen gemacht hat, bin ich auch fast sicher, dass das 2007 erschienene Buch, in dem dieser Satz steht und in dem ich "Mandelplätzchen", aber keine Vanillekipferln gefunden habe, zumindest an US-Universitäten schon auf dem Index steht.

Geh bitte!

Wiglaf Droste, Nikolaus Heidelbach und Vincent Klink verletzen in "Weihnachten in Wort und Bild" massiv die Gefühle von christlichen Weihnachtszelebranten und -zelebrantinnen. Nichts ist ihnen heilig, nicht einmal das Backen! Und jetzt komme auch noch ich daher und fahre den Osmanen und Osmaninnen mit dem Stellwagen ins Gesicht: Ihr wollt das Kipferl nach Wien gebracht haben? Geh bitte!

Im Ernst, immer wieder wird einem die Geschichte auf die Nase gebunden, dass das Design des Kipferls nach der Zweiten Wiener Türkenbelagerung 1683 – haben die sich eigentlich jemals dafür entschuldigt? – kreiert wurde, um den türkischen Halbmond zu verhöhnen. Abgesehen davon, dass das auch nicht die feine Art wäre: Es stimmt eh nicht.

Die Enden des Stangerls eindrehen

Bei näherer Überlegung könnte man von selbst draufkommen, dass es keiner Beinahe-Eroberung von Wien durch Kara Mustafa Pascha bedurfte, damit die Wiener und Wienerinnen auf die Idee kamen, die beiden Enden eines Stangerls einzudrehen, um es etwas hübscher aussehen zu lassen. Dazu braucht es keinen importierten Sichelmond – den man übrigens auch in Wien ab und zu am Himmel hat, der also keine exotische Erscheinung ist.

Nein, die Existenz des Kipferls, sowohl die Form als auch der Name, ist natürlich schon viel früher belegt. Lassen wir einmal historische Darstellungen – wie jene aus dem Hortus deliciarum, aus der Zeit des 1190 bei einem Badeunfall in der (heutigen) Südosttürkei umgekommenen Friedrich I. Barbarossa – und konzentrieren wir uns auf Wien. Der Chronist Jans Enenkel, der 100 Jahre nach dem rotbärtigen Kaiser starb, erwähnt anlässlich des Einzugs von Leopold VI. zu Weihnachten in Wien, dass die "pecken" (Bäcker) dem Herzog "chipfen" brachten. Eben!

Der frustrierte reitende Bote

Um 1700 taucht das "Kipfl" als Spezialität einer Mödlinger Bäckerei auf. Dorthin wird vom Hof in Wien sogar ein "reüttend Poth" (reitender Bote) zum Einkaufen geschickt, der aber keine mehr oder nur noch solche bekommt, die "zimblich schwarz" waren. Was zu einer Beschwerde führte, der wir diesen Beleg verdanken.

Zugegeben, wie diese Kipferln genau aussahen, ist nicht so sicher. Der Prediger Abraham a Sancta Clara, der etwa zu der Zeit – 1709 – verstarb, erwähnte tatsächlich lange, kurze, krumme und gerade. In späteren Kochbüchern ist noch die Rede von "krummen Kipfeln", das bedeutet wohl, dass es auch nicht-krumme gegeben haben wird. Später ist aber völlig klar, was mit der Form gemeint ist, sie wird nicht mehr näher erläutert. Sichel.

Es bleibt hochpolitisch

Und da ist eben auch noch die Sache mit der Etymologie: Ist der lateinische "cippus" noch ein Pfahl, so ist der althochdeutsche und der mittelhochdeutsche "Kipf" der Begriff für die Wagenrunge, den "Wagenkipf". Googeln Sie – wie ich – "Wangenrunge", sie ist heute als "gemeine Figur" der Heraldik bekannt: Da sehen Sie sozusagen einen Querschnitt eines Wagens von vorne betrachtet, die Ladefläche unten, und rechts und links nach oben weisende Stangen, die die Ladung am Abrutschen hindern sollen. Nicht mollig rund wie ein heutiges Kipferl, sondern eckig. Aber auf alle Fälle gebogen und nicht gerade.

So, jetzt hätten wir die Frage geklärt und den Türken und Türkinnen diesen großen kulturellen Beitrag, aber gleichzeitig die Umvolkung der Wiener Backwaren abgesprochen. Damit begeben wir uns aber noch lange nicht auf sicheres Gelände. Die Sache bleibt hochpolitisch: Die Fragen "Nüsse oder Mandeln" sowie "vegan oder tierisches Fett" stehen an.

Mandel-Nüsse-Problematik

Apropos Tier. Vor ein paar Jahren hätte ich diese Anekdote noch unschuldigen Herzens erzählt, jetzt weiß ich, was ich riskiere. Früher nannte man vegane Vanillekipferln nicht vegan, sondern "mit Margarine gemacht", und das war nicht nett gemeint. Es gab ein Hundsviech in unserer Bekanntschaft, dem wurden Proben des von netten Menschen mit guter Absicht ins Haus gebrachten Weihnachtsgebäcks zum Verkosten verabreicht. Die mit Margarine hergestellten Kekserln spuckte er aus. Da wussten die Beschenkten, woran sie waren. Die mit Butter fraß er. Was mit den übrig gebliebenen Margarinekeksen passierte, weiß ich nicht, vielleicht wurden sie weitergeschenkt. Wieder ist eine Entschuldigung fällig: Bitte, es ist Jahrzehnte her! Heute würden wir den Hund entsprechend rügen.

Das wäre somit auch abgehakt, weiter zur Mandel-Nüsse-Problematik. Die ist etwas weniger brisant, weil quasi von den Umständen diktiert. Ich glaube, man kann behaupten, dass in den bürgerlichen Wiener Kochbüchern die Mandel dominiert. Dass Mandeln teurer – und im Umfeld von zwei Weltkriegen zeitweise ein rares Gut – waren, liegt auf der Hand.

Mit Korona-Kaffee-Ersatz

In meiner "Guten Küche" aus der "Bibliothek der Illustrierten Kronen-Zeitung", deren erste Seite von einem mit Doppeladler verzierten Inserat eingenommen wird – "Durchhalten! Sie sparen, ohne sich Abbruch zu tun, wenn Sie zum Kaffee Korona-Kaffee-Ersatz verwenden ..." –, gibt es gleich vier Vanillekipferl-Rezepte: mit Mandeln, mit Nüssen (Walnüssen), mit Haselnüssen, mit oder ohne Dotter im Teig. Was man eben hatte. Auf dem österreichischen Land werden es vielleicht auch heute noch öfter Nüsse sein, weil die eben da sind.

Der Dotter taucht ab und zu in Rezepten auf, auch in der "Wiener Küche" des Ehepaars Hess, das immerhin eine Kochschule leitete: Mein Exemplar ist 1949 erschienen, alle Speisen führen auch ihre französisches Bezeichnungen – Croissants à la vanille –, ein kleines Glossar für die "reichsdeutschen Haushalte" gibt es aber auch noch. Und ein Rezept mit "mandelreicherem Teig". Je größer der Mandel- und Butteranteil gemessen am Mehl ist, desto mehr wächst die Zerfallsgefahr. Ein Ei zum Zusammenhalten reinklatschen muss man aber trotzdem nicht.

Frage der Sozialisierung

Meine Antwort auf die Frage nach dem "besten" Rezept wird nicht immer, aber sehr oft stimmen: jenes, mit dem Sie sozialisiert wurden. Aber wenn wir mit dem Wort "klassisch" herumwerfen, bedeutet das: Mehl, Butter, Staubzucker, Mandeln. Birgit Deisting, unsere STANDARD-Meisterbäckerin, hat unter den mir vorliegenden Rezepten den größten Mandelanteil: Auf 375 Gramm Mehl nimmt sie 200 g Mandeln, das übersteigt das sonst übliche Drittel deutlich. Birgit nimmt außerdem 250 g Butter – da ist der Schnitt bei anderen höher – und 125 g Zucker, das ist wiederum ein bisschen mehr als in anderen Rezepten. Und die berühmte Prise Salz.

In meinem Familienrezept kommen auf 300 g Mehl 100 g Mandel, 250 g Butter und 70 g Zucker. Birgit gibt auch schon Vanillezucker in die Masse, meist kommt der aber erst in den Staubzucker zum Wuzeln. Übrigens liegt der Verdacht nahe, dass die Erfindung des künstlichen Vanillins 1874, weil billiger, die Popularität des Vanillekipferls befeuert hat.

Die Herstellung ist wie bei jedem Mürbteig:_Die Butter muss kalt genug sein; schnell arbeiten und den in Folie verpackten Teig wieder kaltstellen. Rollen daraus formen, von denen die Teigmengen für die einzelnen Kipferln abgezwackt werden. Je kleiner, desto feiner! Aber durch den Zuckermantel, der ihnen noch verpasst wird, gilt natürlich auch: je kleiner, desto süßer! Auf einem mit Backpapier ausgelegten Blech ins vorgeheizte (manche sagen 200, andere 180 Grad) Rohr, bis die Kipferlspitzen leicht gebräunt sind. Und beim Wenden in der Zuckermischung aufpassen: Gute Vanillekipferln sind eine zerbrechliche Ware. (Gudrun Harrer, 19.12.2021)

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Backversuch: Das (umstrittene) Vanillekipferl

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Anfänger am Werk: Welches ist das beste Vanillekipferl-Rezept?