Angesichts der dramatischen Ereignisse in Kasachstan sind die internationalen Reaktionen aufschlussreich. Die offiziellen Russland- Freunde verhalten sich wohlwollend; die akademischen oder wirtschaftlich interessierten Putin-Versteher loben die neu entdeckte Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit als "Friedensmacht", und die langjährigen und fürstlich honorierten Berater des plötzlich versunkenen Langzeitdiktators Nursultan Nasarbajew schweigen entweder wie der britische Ex-Premier Tony Blair oder kommentieren das Drama mit unübertrefflichem Zynismus wie Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer, der "nicht wissen möchte, was passiert, wenn man in Österreich den Benzinpreis verdoppelt". Ein wohl ungeheuerlicher Vergleich zwischen einer aus den Fugen geratenen zentralasiatischen Diktatur und einem demokratischen Rechtsstaat mit funktionierender Marktwirtschaft.

Der russische Präsident Wladimir Putin.
Foto: imago images/SNA

Was in dem neuntgrößten rohstoffreichen Land der Welt genau geschehen ist, bleibt nach wie vor verworren. Der schnelle Hilferuf des Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew an Russland fiel zeitlich mit der Verhaftung des Nasarbajew-Vertrauten, Geheimdienstchef Karim Massimow, der zweimal Ministerpräsident gewesen ist, zusammen. Nicht die angeblich "im Ausland ausgebildeten Terroristen", sondern die Weiterungen eines Machtkampfs innerhalb der Elite um das Erbe des 81-jährigen Herrschers dürften den Protesten wegen der Verdoppelung des Treibstoffpreises einen systemgefährdenden Auftrieb verliehen haben.

Moskauer Kuratel

Die weltpolitische Bedeutung der undurchsichtigen Vorgänge in Kasachstan muss klar gesehen werden. Russisches Militär war oder ist in Georgien, Bergkarabach und den zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken bis in Syrien und Libyen aktiv. Die blitzschnelle Entsendung von Truppen nach Kasachstan zeigt die Entschlossenheit des seit zwanzig Jahren herrschenden Wladimir Putin, eine zweite Ukraine im "nahen Ausland" nicht zuzulassen und gefährdeten Autokraten wie im Falle Lukaschenkos in Belarus und Tokajews in Kasachstan auch militärisch beizustehen. Die wankenden Regime wird er dadurch noch stärker unter Moskauer Kuratel stellen, als die Kasachen oder die Belarussen das je wollten. Der US-amerikanische Außenminister Antony Blinken, durch seinen familiären Hintergrund auch guter Kenner Osteuropas, sprach kürzlich die Gefahr unverblümt aus: "Sind die Russen einmal in deinem Haus, ist es oft schwierig, sie wieder loszuwerden."

Die weithin sichtbare "brüderliche Hilfe" von Putin, für die sich der bedrängte Tokajew sofort bei ihm überschwänglich bedankte, soll auch als ein Signal der Abschreckung an die aufsässigen Ukrainer und ihre Nato-Schirmherren am Vorabend der entscheidenden Verhandlungen zwischen Washington und Moskau über eine verschleierte Neuauflage Jaltas wirken.

Als Fußnote sollte man sich an die Scharen von stets großzügig bezahlten politischen, publizistischen und akademischen Lobbyisten im Westen erinnern, die dazu beigetragen haben, dass das unfassbar korrupte Nasarbajew-Regime während vieler Jahre als ein stabiler und lukrativer Partner – ohne Rücksicht auf die Repression – betrachtet wurde. (Paul Lendvai, 11.1.2022)