Mit dem Kauf des fünftgrößten Spielepublishers katapultiert sich Microsoft auf Platz zwei in der Branche, knapp hinter Sony.

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Es war eine Meldung, die am Dienstagnachmittag für offene Münder sorgte: Microsoft, das in seiner Spielesparte unter anderem die Konsolen der Marke Xbox anbietet und gemessen an der Marktkapitalisierung das zweitgrößte Unternehmen der Welt ist, kauft einen der größten Gaming-Publisher der Welt, Activision-Blizzard, für 68,7 Milliarden Dollar. Es ist die größte Übernahme in der Geschichte des Konzerns. Damit holt sich der Windows-Macher nicht nur wertvolle Marken wie Call of Duty, Diablo, World of Warcraft und das beliebte Handyspiel Candy Crush, sondern auch einen Haufen Activision-interner Probleme ins Haus – und zementiert gleichzeitig gegenüber der Konkurrenz, wie die Zukunft der Branche nach Ansicht der Redmonder aussehen soll.

Riesige Branche mit großen Namen ...

Ende vergangenen Jahres hieß es seitens der Analysten von Juniper Research, dass die Gamingbranche im vergangenen Jahr 155 Milliarden Dollar Umsatz generiert habe, für das Jahr 2025 wird ein Umsatz von 260 Milliarden Dollar prognostiziert. Zum Vergleich: Selbst vor der Pandemie, im Jahr 2019, machte die US-Filmindustrie nur 101 Milliarden Dollar weltweiten Umsatz – das galt damals als Rekordjahr. Und die Musikindustrie machte laut jüngsten Zahlen des Branchenverbands IFPI im Jahr 2020 einen globalen Umsatz von 21,6 Milliarden Dollar.

Entsprechend treten hier die Schwergewichte gegeneinander an. Angeführt wird das Ranking der größten Unternehmen der Branche von Sony, das vor allem für die Playstation 5 bekannt ist, die sich wiederum deutlich besser als Microsofts Xbox-Konsolen verkaufen dürfte. Auf Platz zwei des Rankings folgt das 1998 gegründete chinesische Unternehmen Tencent: Der Mischkonzern generiert seinen Umsatz im Gamingbereich unter anderem mit Handyspielen wie Honor of Kings.

Zu Activision-Blizzard gehört auch King, das mit sehr erfolgreichen Mobile Games wie "Candy Crush Saga" eine wichtige Expertise in den Microsoft-Konzern trägt.
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Mit der Übernahme von Activision-Blizzard wird Microsoft laut Eigenangabe zum drittgrößten Spieleunternehmen der Welt avancieren und somit das japanische Unternehmen Nintendo überholen. Activison-Blizzard hat rund 10.000 Angestellte und rund 400 Millionen aktive User. Im Jahr 2020 machte Activision-Blizzard knapp 8,1 Milliarden Dollar Umsatz. Davon entfielen 1,19 Milliarden Dollar allein auf das Handyspiel Candy Crush, das von rund 250 Millionen Menschen mindestens einmal pro Monat gespielt wird.

... und großen Deals

Die Schwergewichte der Branche verschieben ihre Unternehmensanteile gefühlt in einer ähnlichen Regelmäßigkeit wie einst die Sokoban-Spielfigur die virtuellen Lagerkisten. So hatte Microsoft bereits im vergangen Jahr für Aufsehen gesorgt, als man den Publisher Zenimax Media (Doom, The Elder Scrolls) für 7,5 Milliarden Dollar kaufte – im Vergleich zum jüngsten Deal ein Schnäppchen. Überhaupt muss an dieser Stelle betont werden: Es handelt sich um den größten bekannten Zukauf in Microsofts Firmengeschichte. Für Nokia hatte Microsoft 2013 7,2 Milliarden Dollar gezahlt, Skype gab es 2011 für 8,5 Milliarden, Linkedin kaufte man im Jahr 2016 für 26,2 Milliarden Dollar.

Bereits im Jahr 2014 übernahm Microsoft für 2,5 Milliarden Dollar den "Minecraft"-Entwickler Mojang.
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Doch auch andere Konzerne bringen sich durch Zukäufe in Stellung – wobei der 12,7 Milliarden schwere Verkauf von Farmville-Entwickler Zynga Anfang 2022 durch den Videospielkonzern Take-Two nun ebenfalls vergleichsweise klein wirkt. Öfters auf Einkaufstour ist auch der Mischkonzern Tencent, der im wachsenden Gamingmarkt ebenfalls viel Potenzial sehen dürfte: So zahlte man zuerst 400 Millionen Dollar für 93 Prozent Anteil am League of Legends-Macher Riot Games und stockte den Anteil später für einen nicht näher genannten Betrag auf 100 Prozent auf. Auch an Epic (Fortnite) und Ubisoft (Assassin's Creed) sind die Chinesen beteiligt. Wobei keine der geflossenen Investmentsummen an das heranreicht, was Microsoft nun für Activision-Blizzard gezahlt hat.

Wunderwaffe Game Pass

Doch was will Microsoft mit diesem und dem Zenimax-Deal des Vorjahrs überhaupt bezwecken? Warum steckt man so viel Geld in die Software, während Konkurrent Sony bei den Hardwareverkäufen offensichtlich noch die Nase vorne hat? Um diese Fragen zu beantworten, muss man das Konzept des Game Pass verstehen.

Im Jahr 2017 gestartet, ist der Abo-Dienst, der gern als "Netflix für Games" bezeichnet wird, eine sichere Einnahmequelle für den US-Konzern. Als Xbox- oder PC-Spieler wählt man aus einem wachsenden Pool an Spielen, darunter viele Klassiker, aber auch viele brandneue Games. Dafür zahlt man eine monatliche Abogebühr, die je nach Tarif bei etwa zehn Euro liegt. Rund 23 Millionen Menschen nutzen den Service laut Microsoft derzeit – Tendenz steigend.

Mit der Übernahme von neuen Studios wie Activision-Blizzard füllt sich auch der Spielekatalog im Game Pass. Von Fall zu Fall kann der US-Konzern jetzt entscheiden, ob Nachfolger zu Spielen wie World of Warcraft oder Diablo exklusiv für die Xbox und den PC erscheinen, oder auch, ob diese sofort nach Erscheinen in den Game Pass wandern und damit den Abo-Service attraktiver gestalten.

Frontalangriff auf den Klassenbesten

Speziell im Kampf gegen den Hauptkonkurrenten Sony versetzt man sich so in eine erhabene Position. Als Beispiel kann hier die erfolgreiche Shooter-Marke Call of Duty gelten. Der Millionenseller verkaufte sich zuletzt für Sony-Konsolen mehr als doppelt so gut wie für die aktuellen Xbox-Geräte.

Sowohl Netflix als auch Apple verfügen ebenfalls über Gaming-Abos. Kooperationen mit etablierten Publishern sind vielleicht nicht nötig, aber auch nicht ausgeschlossen.
Foto: Netflix

Ein neues Call of Duty könnte nun zeitexklusiv für die Xbox erscheinen, um Playstation-Besitzer ins eigene Lager zu ziehen. Für die eingeschworene Sony-Fangemeinde könnte der Titel dann ein paar Wochen oder Monate später auch für die Playstation erscheinen und so Microsoft zusätzlichen Gewinn einbringen.

Wettlauf der Abo-Riesen

Doch Microsoft ist nicht alleine mit der Strategie, Games gegen eine monatliche Gebühr im Abo anzubieten. Wie erfolgreich Abo-Dienste im Gaming sein können, zeigt unter anderen Apple. Schon lange ist Gaming das umsatzstärkste Segment im App-Store – auch angetrieben durch den hauseigenen Abo-Dienst Apple Arcade.

Netflix schaufelt seit vergangenem Jahr ebenfalls Spiele in seinen Streamingdienst, um hier neue Zielgruppen zu erreichen. Oder, einfach gesagt: Das "Netflix für Gaming" will Netflix selbst sein.

Branchenprimus Sony

Vorerst ändern die Bestrebungen der Konkurrenz allerdings noch nichts daran, dass Sony die Nummer eins im Bereich Gaming ist. In den letzten Jahren ging man vor allem den Weg, den zuvor Nintendo schon erfolgreich beschritten hat: starke Exklusivtitel. Egal ob God of War, Gran Turismo oder neue Marken wie Ghost of Tsushima – man hat verstanden, mit welcher Art von Games man die eigene Zielgruppe bei der Stange hält.

Dazu ist Sony bisher der einzige Konsolenhersteller, der auch im Bereich Virtual Reality sehr erfolgreich mitspielt. Einzig der Game Pass scheint Sony Sorgenfalten auf die Stirn zu zaubern, häufen sich doch Gerüchte, dass Sony bald einen ähnlichen Dienst starten wird. Das wirft Fragen auf, gibt es doch mit "Playstation Now" bereits einen solchen Service, der jedoch sowohl von der Quantität als auch von der Qualität nicht mit dem Game Pass mithalten kann. Bisher hat Sony etwa darauf verzichtet, eigene Titel ab Tag eins in seinen Abo-Service zu werfen, und auch PC-Spieler mussten bisher lange auf Portierungen warten. Letzteres könnte man ebenfalls optimieren und so neue Zielgruppen ansprechen.

Den Kauf eines Publishers, wie das Microsoft regelmäßig vormacht, kann man vonseiten Sonys wohl ausschließen – das war zumindest bisher nicht der Weg der Japaner. Viel wahrscheinlicher ist es, dass man weiterhin Studios enger an sich bindet, etwa die Dark Souls-Macher From Software, oder Exklusivdeals mit anderen japanischen Firmen plant, etwa Square Enix (Final Fantasy) oder Capcom (Resident Evil).

Auch große Kooperationen außerhalb der Gamingbranche werden wohl mitbedacht. Im Juli vergangenen Jahres wurden Hinweise auf eine mögliche Partnerschaft mit Netflix entdeckt, die aber von Sony nie kommentiert wurden. Nicht vergessen sollte man, dass Sony auch über andere Sparten verfügt, etwa TV-Geräte und eigene Filmproduktionen. So kündigte der Konzern auf der CES an, dass man mit der neuesten Bravia-Reihe einen Dienst namens "Bravia Core" starten möchte, einen eigenen Streamingservice für die hauseigenen Fernseher. Ob es hier am Ende auch eine Playstation-App geben wird, über die man bekannte Games völlig unabhängig von einer Konsole wird streamen können, bleibt abzuwarten.

Microsoft-CEO Nadella freut sich öffentlich über den Deal.

Zu guter Letzt scheint sich auch die Lizenzierung eigener Marken für die große Leinwand als gangbarer Weg abzuzeichnen. Uncharted, die beliebte Action-Spieleserie, feiert bereits in wenigen Wochen ihr Kinodebüt. Die Serie Last of Us, zum gleichnamigen Sony-Spiel, soll noch in diesem Jahr auf HBO erscheinen.

Sexismusskandale und die New World of Work

Ergänzend zu diesem nach wie vor starken Konkurrenten steht Microsoft vor einem ganz anderen Problem im Rahmen der Übernahme: Man holt sich ein Unternehmen mit äußerst schwieriger Betriebskultur unter das eigene Dach. So muss sich zwar auch Microsoft, das sich selbst gerne mit der "New World of Work" schmückt, mit Sexismusskandalen rund um Gründer Bill Gates auseinandersetzen – bei Activision-Blizzard läuft es aber wahrlich nicht besser.

Viele Jahre lang litten Frauen beim Videospieleriesen unter misogynen Vorgesetzten, Belästigung und teils schweren Übergriffen. Umstände, wegen derer der Konzern sich im Juni 2021 eine Klage der kalifornischen Behörden eingefangen hat. Auch der amtierende Firmenchef Robert "Bobby" Kotick soll nicht nur übergriffiges Verhalten an den Tag gelegt und unter anderem einer Ex-Mitarbeiterin mit Ermordung gedroht haben, sondern laut Unterlagen und entgegen eigenen Aussagen von vielen Vorfällen gewusst haben.

Neben Sony hatte sich deshalb auch Microsoft zeitnah besorgt über diese Entwicklungen geäußert. Deshalb ist es fraglich, ob trotz der aktuellen Zusage von Microsoft, dass Kotick als CEO im Amt bleiben werde, dieser nicht doch nach Abschluss der Übernahme durch eine andere Person ausgetauscht wird.

Mit Activision-Blizzard holt sich Microsoft ein Unternehmen unter das eigene Dach, das im vergangenen Jahr wegen diverser Skandale schwere Zeiten durchstehen musste.
Foto: DAVID MCNEW

Hinzu kommt ein recht interessanter Lohnvergleich, stand doch das exorbitant hohe Gehalt von CEO Kotick im Rahmen der Skandale mehrmals zur Debatte. Laut einem aktuellen Bericht verdiente er im Jahr 2020 insgesamt – also inklusive diverser Boni und Aktienoptionen – 154.613.318 Dollar. Das ist ironischerweise etwa das Dreifache vom Gehalt seines künftigen Chefs Satya Nadella: Das Jahreseinkommen des Microsoft-CEOs liegt Medienberichten zufolge bei knapp 50 Millionen Dollar. Zwar wurde Koticks Gehalt im vergangenen Jahr radikal gekürzt, Anspruch auf diverse Boni hat er aber weiterhin.

Potenzial, die Karten neu zu mischen

Trotz dieser Herausforderungen ist klar: dieser Deal ist einer, für den Microsoft weit mehr Geld in die Hand genommen hat als für so manche Übernahme in der Vergangenheit – und der das Potenzial hat, die Karten in der größten Unterhaltungsbranche der Welt neu zu mischen.

Bedingung dafür ist freilich, dass auch die Wettbewerbsbehörden grünes Licht geben – nicht zuletzt weil derzeit Facebooks Übernahmen von Instagram (2012, eine Milliarde Dollar) und Whatsapp (2014, 19 Milliarden Dollar) auf dem Prüfstand stehen und somit ein entsprechendes Licht auf die Einkaufstouren der Tech-Konzerne werfen. (Alexander Amon, Stefan Mey, 19.1.2021)