Der verstärkte Abbau roter Blutzellen kann für Müdigkeit und Atemnot sorgen. Wie und weshalb die Anämie im All auftritt, ist noch nicht genau geklärt. Mit den Mondphasen dürfte sie allerdings nicht zusammenhängen.
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Bis die ersten Menschen einen Fuß auf den Planeten Mars setzen, dürfte es noch eine ganze Weile dauern – in den kommenden Jahren ist zunächst wieder einmal der Mond an der Reihe (frühestens 2025). Abgesehen von technischen sowie rechtlichen und ethischen Hürden spielen dabei auch Sorgen um die Gesundheit eine Rolle, denn eine Reise ins All ist körperlich belastend.

Der menschliche Organismus ist klarerweise an die Schwerkraft auf der Erde gewöhnt, Schwerelosigkeit ist entsprechend irritierend bis belastend. Koordination, Immunsystem, Knochen und sogar das Gehirn werden geschwächt, Muskeln abgebaut. Um dem teilweise entgegenzuwirken, müssen Astronautinnen und Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS regelmäßig ihre Ausdauer und Kraft trainieren.

Weltraumanämie

Eine wichtige Veränderung im All betrifft zudem das Kreislaufsystem. Körperflüssigkeiten verlagern sich in die obere Körperhälfte, das Blut zirkuliert nicht mehr wie gewohnt. Das sorgt unter anderem dafür, dass die Blutpumpe, das Herz, auf Dauer schrumpft. Und es gibt Hinweise auf eine sogenannte Weltraumanämie, also darauf, dass in der Schwerelosigkeit die Anzahl der roten Blutkörperchen zurückgeht. Nicht unwichtig, immerhin sind diese Erythrozyten dafür verantwortlich, Sauerstoff im Körper zu verteilen.

Vor fünf Jahren analysierte ein Forschungsteam Blutproben von 31 ISS-Reisenden – sie wurden ihnen mehrmals vor, während und nach dem Aufenthalt entnommen. Es schlussfolgerte aus den Daten, dass vor allem die Umgewöhnungsphasen problematisch seien, also nach dem Start und nach der Rückkehr. Die Zusammensetzung des Blutes werde dann zwar kurzfristig gestört, der Körper gewöhne sich aber mit der Zeit an die ungewohnte Blutverlagerung und reguliere auch das Niveau der roten Blutzellen, vermuteten die Fachleute.

Abbauprodukte in Blut und Luft

Eine aktuelle Studie deutet allerdings darauf hin, dass die Blutkörperchen während des gesamten Aufenthalts im All stärker abgebaut wurden. Die Forschungsgruppe der Universität Ottawa in Kanada analysierte Blut- und Atemproben von 14 Astronautinnen und Astronauten, die mindestens vier Monate auf der ISS verbrachten, wie das Team im Fachmagazin "Nature Medicine" schreibt.

Rote Blutkörperchen haben eine natürliche Lebensdauer von etwa 120 Tagen, durch Stress und Krankheiten können sie sich aber auch früher auflösen. Dabei wird etwa der Blutfarbstoff Hämoglobin freigesetzt, aber auch Kohlenmonoxid (CO). Diese und andere Abbauprodukte lassen sich in Blut und Atemluft messen.

Der kanadische Astronaut David Saint-Jacques gab für die Studie Atemluft- und Blutproben ab.
Foto: Nasa

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigten, dass die Zahl der Abbauprodukte im Weltall im Vergleich zur Situation vor dem Flug anhaltend erhöht war. Daraus schließt die Forschungsgruppe, dass beim Aufenthalt auf der ISS die roten Blutkörperchen der Getesteten um 54 Prozent stärker dezimiert wurden als auf der Erde. Während hier pro Sekunde in einem Körper zwei Millionen Erythrozyten abgebaut werden, sind es im Weltraum drei Millionen, errechnete die Gruppe. Bei ihrer Ankunft zurück auf der Erde galten fünf Astronauten medizinisch als anämisch.

Gefährdung von Missionszielen

Und mehr noch: Während sich die Werte drei bis vier Monate nach Missionsende halbwegs erholten, dürften die Beteiligten noch nach einem Jahr vermehrt rote Blutzellen abbauen (um etwa 30 Prozent). Der längerfristige Trip in der Erdumlaufbahn scheint also langfristige Konsequenzen zu haben. Vermutlich wird die Produktion roter Blutzellen im All stärker angeregt, um den Verlust zu kompensieren – sonst müssten Astronautinnen und Astronauten mit erheblicheren gesundheitlichen Problemen kämpfen.

"Glücklicherweise ist es im Weltraum kein größeres Problem, wenn man weniger rote Blutkörperchen hat, da der Körper schwerelos ist", sagt Studienleiter und Arzt Guy Trudel. "Aber bei der Landung auf der Erde – und potenziell auf anderen Planeten oder Monden – beeinflusst eine Anämie die Energie, Ausdauer und Stärke und kann Missionsziele gefährden."

Auf der Raumstation und im Bett

Denn vor allem bei der Rückkehr zur Schwerkraft machen sich die Effekte der Blutarmut bemerkbar. Menschen mit einem niedrigen Niveau an roten Blutzellen sind schneller erschöpft und können in Atemnot geraten. Das betrifft aber nicht nur die wenigen Raumfahrerinnen und Raumfahrer, sondern auch Personen, die über längere Zeit im (Kranken-)Bett bleiben müssen.

Auch dabei reguliert der Körper die Produktion der Blutkörperchen. Wie und warum dies im Detail abläuft, ist aber noch unklar. "Wenn wir herausfinden können, was genau diese Anämie verursacht, dann kann sie potenziell behandelt und verhindert werden – sowohl bei Astronauten als auch bei Patienten hier auf der Erde", sagt Trudel.

Risiken eines Langzeitaufenthalts

Wenn der lange Aufenthalt in Schwerelosigkeit eine große Rolle spielt, dürfte das Problem bei einer Reise zum Mond weniger ausgeprägt sein, weil es sich dabei vergleichsweise um einen Kurztrip handelt. Zumindest bei der Apollo-11-Mission 1969 erreichten Neil Armstrong, Edwin Aldrin und Michael Collins die Mondumlaufbahn innerhalb von drei Tagen.

Der Weg zum Mars würde hingegen mit den aktuellen technischen Möglichkeiten etwa sieben bis neun Monate dauern. Dabei gäbe es allerdings noch mindestens ein weiteres gesundheitliches Problem mit massiven Auswirkungen zu lösen: Wie schützt man Astronautinnen und Astronauten am besten vor der aggressiven kosmischen Strahlung, die Alterungsprozesse vorantreibt und das Krebsrisiko erhöht? (Julia Sica, 21.1.2022)