Berater kommen! Oft löst diese Ankündigung in Belegschaften einiges Unbehagen aus. Geht es ohne Beraterschaft nicht? Sind Berater unnötig? Sind Sie nur Rechtfertigung für Führung? Oder sind das alles Vorurteile?

STANDARD: Sie meinen, Berater sind manchmal nicht nötig. Wieso?

Burow: Ich habe langjährige Erfahrungen mit der Organisationsentwicklung. Beispielsweise denken wir da mit großen Gruppen aller Beschäftigten über betriebliche Optimierungs- und Entwicklungsmaßnahmen nach. Mich beeindruckt immer wieder die intuitive Fähigkeit der Mitarbeitenden, betriebliche Probleme zu erfassen und sie auch zu begründen. Das heißt doch, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen sich mit all dem auseinander, was sie an ihren Arbeitsplätzen erleben, sie machen sich Gedanken über richtig oder falsch und darüber, wie was besser gemacht werden könnte.

STANDARD: Und das wird zu wenig genutzt?

Burow: Sowohl als auch. Jedes Unternehmen sucht nach Möglichkeiten, die Aufwand-Ertrag-Relation zu verbessern. In der Mehrzahl der Unternehmen sind Beraterleistungen deshalb heute ein nicht unbeträchtlicher Kostenfaktor. Berater werden quasi automatisiert engagiert, wenn irgendwo im Unternehmen der Schuh drückt, Prozesse optimiert werden müssen. Aus meiner Erfahrung wird dabei oft vorschnell gehandelt. Übersehen wird, dass sich überall in den Firmen laufend kleine Analyseprozesse auf der Grundlage von fachlichem Wissen einerseits und praktischem Erfahrungswissen andererseits vollziehen. Das heißt: Es gibt innerbetrieblich immerhin schon vielfache Überlegungen, wie das, was heute gemacht wird, morgen besser gemacht werden könnte. In jedem Unternehmen gibt es sozusagen organisationsinterne Hausapotheken, mit deren Hilfe schon einiges verändernd zu bewirken wäre.

Mit den internen Hausapotheken der Firmen wäre schon einiges zu bewirken, sagt Olaf-Axel Burow, Experte für Organisationsentwicklung.
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STANDARD: Lassen Sie doch mal die Katze aus dem Sack!

Burow: In der weltweit vernetzten, arbeitsteiligen, von vielfachen wechselseitigen Abhängigkeiten geprägten Wirtschaft ist der betriebliche Rückgriff auf externes Fachwissen unumgänglich. Wie Menschen haben auch Unternehmen mit durchaus hellwacher Belegschaft ihre blinden Flecken, die nur der kritische Blick von außen offenlegen kann. Es gibt also unter verschiedenen Gesichtspunkten gute Gründe, Berater zu engagieren. Absolut kein guter Grund aber ist das quasi automatisierte Beraterengagement aus dem persönlichen Wunsch heraus, sich abzusichern und sich mit einer eigenen Entscheidung nicht in die Nesseln zu setzen oder sich bei börsennotierten Unternehmen nach außen hin den Anstrich zeitgemäßen Handelns zu geben.

STANDARD: Ist das ein Seitenhieb auf die Qualität von Führungskräften?

Burow: Mehr ein Seitenhieb auf die eingerissene Organisationskultur. Tatsache ist doch: Was mittlerweile von Führungskräften gefordert wird, übertrifft alles Bisherige. Und vor allen Dingen, in welcher Zeit die Realisierung dieser Forderungen erwartet wird. Kaum ist eine Führungsposition neu besetzt, sollen auch schon vorzeigbare Ergebnisse präsentiert werden. Faktisch ist das unmöglich, praktisch wird das Nichteintreffen des Unmöglichen als glücklos dargestellt – und die so als glücklos etikettierten Führungskräfte dürfen sich nach einem neuen Job umsehen. Diesen vorgeblich Glücklosen wurde überhaupt nicht die Zeit eingeräumt, sich erstens mit ihrer neuen Umgebung, zweitens mit dem von ihnen nun zu bewältigenden Aufgabenbereich und drittens mit dem ihnen attachierten Personal vertraut zu machen. Dabei bestimmt die Qualität der Einarbeitung maßgeblich die Qualität der weiteren fachlichen wie führenden Performance.

STANDARD: Rasch Berater zu engagieren ist auch im Hinblick darauf kritisch zu sehen?

Burow: Manchmal erinnert mich das an ein Suchtverhalten. Die Droge "Berater" kann der Beruhigung dienen und die Illusion nähren, dem einzig richtigen Wegweiser zu folgen, aber sie kann Binsenweisheiten, die innerbetrieblich missachtet werden, nicht ersetzen. Hinzu kommt, dass meist alle Unternehmen diesem vermeintlich einzig richtigen Wegweiser "Berater" folgen und dabei ihre unverwechselbare Individualität verlieren. Eine Unternehmensführung, die ausschließlich in den Kriterien des zeitgeistig Richtigen und des schnellen Erfolgs denkt, schafft charakterlose Unternehmen im Sinne von mangelnder kultureller Identität und innerer Stabilität des Unternehmens. Der Vorwurf, den sich die moderne Unternehmensführung gefallen lassen muss, ist, dass sie Menschen verschleißt, indem sie sie in die Frustration treibt, weil sie mit einer zurückweisenden Acht- und auch Lieblosigkeit zugunsten externer Berater übersieht, welch beachtliche Innovationsfähigkeit im eigenen Betrieb vorhanden ist.

STANDARD: Worauf führen Sie das zurück?

Burow: Führungskräfte haben einfach nicht mehr die Zeit und auch nicht die innere Ruhe, sich ihren Leuten zu widmen, sich mit ihnen zu besprechen, sie nach ihrer Meinung zu fragen, ihren Rat einzuholen. Das führt dazu, dass sie vielfach überhaupt nicht wissen, welche Kapazitäten sie in ihrem Bereich haben. Führungskräfte sind heute Gehetzte: gehetzt von den an sie gestellten Anforderungen und gehetzt von dem Prozedere zeitraubender Meeting- und Sitzungsprozeduren, die zu ihrem eigentlichen Arbeitsplatz beziehungsweise Aufenthaltsort geworden sind. Und natürlich Gehetzte der an sie gestellten Erwartungen. Ganz abgesehen davon, dass Führungskräfte aufgrund der Zwangsjacke, in der sie stecken, faktisch dazu gezwungen sind, vorgegebene Entscheidungen zu vollstrecken anstatt überlegte eigene Entscheidungen zu treffen und in Kooperation mit ihren Leuten auszuführen.

STANDARD: Frustration statt Inspiration?

Burow: Die Wurzel des Missmuts in vielen Unternehmen liegt zu einem Gutteil in der permanent geschürten innerbetrieblichen Atemlosigkeit und zum anderen in den Konzepten, die den Unternehmen von den Beratern übergestülpt werden. Kurz, in der dadurch versauten betrieblichen Umgangskultur. Wenn es auch um die innere Kündigung still geworden ist, darf das doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Betriebsangehörige, vorrangig in den größeren Unternehmen, mehr Mitläufer als Mitarbeiter sind. Engagement wird zwar gefordert, aber es wird nicht gepflegt. Zusammen mit der Beratergläubigkeit sehe ich in dieser Tatsache einen eklatanten Fehler der derzeitigen Unternehmensführung. (Hartmut Volk, 28.1.2022)