Nirmal Purja stand auf dem Gipfel des K2 – das aber wohl mit einem weniger frischen Ausdruck.

Foto: NIMSDAI/RED BULL CONTENT POOL

Nirmal Purja ist der einzige Mensch, der es im Winter ohne künstlichen Sauerstoff auf den Gipfel des K2 geschafft hat. Purja war neben Mingma Gyalje Sherpa der Kopf des gemeinsamen nepalesischen Teams, das den "Savage Mountain" vergangenes Jahr zum ersten Mal im Winter bestieg. Im dritten und vorletzten Teil der Miniserie spricht der 38-jährige Ex-Elitesoldat über die Nacht des Gipfelsturms, Lebensgefahr beim Abstieg und den menschlichen Körper als Handy-Akku. Die Geschichte über Triumph und Drama auf dem Berg finden Sie hier, das Interview mit Bergwetterflüsterer Karl Gabl hier.

(Hinweis zur Transparenz: Das Interview wurde bereits vergangenes Jahr geführt.)

STANDARD: Wie war es, in der Nacht des Gipfelsturms aufzuwachen?

Purja: Wir sind um Mitternacht aufgestanden und haben angefangen, Wasser zu kochen. Es war so kalt, dass es eine Stunde gedauert hat, einen Liter Wasser zu schmelzen. Als wir losgegangen sind, war es sehr kalt. Aber den Berg zu verlassen, ohne es auf den Gipfel geschafft zu haben, das war für mich keine Option. Ich war voll positiver Energie. Ich hatte nur eine Sorge: Ab Camp 3 haben meine Teammitglieder Sauerstoff verwendet. Sie sind ohne Sauerstoff schon übermenschlich, mit Sauerstoff sind sie dann überübermenschlich. Ich habe mich gefragt, ob ich da ohne Sauerstoff mithalten kann. Aber ich habe es hingekriegt.

STANDARD: Hat diese "positive Energie" bis zum Gipfel gehalten?

Purja: Ja, musste sie. Wenn die anderen zu einem aufschauen, muss man stark sein.

STANDARD: Ich habe Zitate von mehreren Ihrer Kollegen gelesen, laut denen die Gruppe beinahe umgedreht wäre, wenn Sie sie nicht noch einmal motiviert hätten. Stimmt das?

Purja: Niemand weiß wirklich, ob das passiert wäre, und wir werden es nie herausfinden. Ich werde da nicht spekulieren. Sie haben mich klettern gesehen, manchmal sprechen Handlungen lauter als Worte. Sie haben gesehen, wie ich ohne Sauerstoff geklettert bin, und gesagt: Wir müssen ihn unterstützen. Das hat wahrscheinlich einige motiviert.

Die vielen Interviewanfragen nach der Winter-Erstbesteigung waren laut Purja "etwas überwältigend".
Foto: Farooq NAEEM / AFP

STANDARD: Was war der schwierigste Moment während des Gipfelsturms?

Purja: Es gab zwei Momente, physisch und psychisch. Ich wollte ohne Sauerstoff klettern, das heißt normalerweise, dass man eine Nacht auf C4 schläft (zur Akklimatisierung, Anm. d. Red). Ich hatte nur auf C2 geschlafen. Als wir die Fixseile bis knapp unter C3 befestigten, hatte ich schon leichte Erfrierungen an drei Fingern. Wenn man ohne Sauerstoff klettert, kühlt man noch mehr aus; der Körper braucht ihn, um warm zu bleiben. Und dann, als wir zum Gipfel gestartet sind … wir sind um zwei Uhr los, es war etwas Wind, maximal 45 km/h. Oh, meine Güte, es war so kalt! Ehrlich, "next level" kalt. Das war der Punkt, an dem die anderen ans Umdrehen gedacht haben. Ich habe extra fest gegen das Eis getreten, um die Füße aufzuwärmen.

STANDARD: Wie fühlt es sich an, da oben zu stehen?

Purja: Da gemeinsam hinaufzusteigen und die Hymne zu singen, das war ein sehr emotionaler Moment. Ehrlich gesagt war uns die Aussicht völlig egal, wir waren so in einer Blase. Und die Art … ohne Egoismus diese Message von Einheit zu demonstrieren: Diesen Moment werde ich nie wieder im Leben haben.

STANDARD: Wie würden Sie jemandem, der sich noch nie mit Bergsteigen beschäftigt hat, die größten Gefahren des K2 erklären?

Purja: Der K2 ist der zweithöchste Berg der Welt, nur ein paar hundert Meter kleiner als der Everest. Er ist super steil, und du kletterst mit Steigeisen auf blauem Eis. Dann sind es so viele Steine – sobald man auf diesen klettert, gibt es Steinschlag. Ab 7.000 Metern ringst du nach jedem Schritt um Luft. Und dann bist du der Kälte ausgesetzt, bis zu minus 65 Grad. Und der Wind! Und du hast den schwersten Rucksack des Planeten.

STANDARD: In Ihrem Instagram-Post über das vom Wind davongewehte Material in Camp 2 haben Sie geschrieben, dass Ihr Paragleit-Equipment verloren gegangen war. Auf dem K2?

Purja: Es ist nicht Paragleiten, es ist Speedflying, ein kleinerer Schirm. Ich wäre definitiv geflogen, der Wind hätte gepasst.

STANDARD: Vom Gipfel?

Purja: Vom Gipfel, ja.

Bei den Feierlichkeiten in Skardu.
Foto: Aamir QURESHI / AFP

STANDARD: Gab es während des Kletterns eine Situation, die gefährlich war?

Purja: Na ja, der ganze Berg ist gefährlich. Die Felsbrocken haben uns bombardiert wie Artillerie. Ich hatte meinen Helm beim ersten Klettern verloren, also musste ich den Steinen ausweichen. Beim Flaschenhals hast du diesen riesigen Sérac über deinem Kopf. Es ist ein beängstigendes Gefühl, das schüchtert dich ein.

STANDARD: Wenn man da raufgeht – bekommt der Berg eine Persönlichkeit? Fühlt es sich an, als würde er einen einmal mögen und einmal nicht?

Purja: Nein. Ich unterschätze nie einen Berg. Beim Abstieg mussten wir uns manchmal niederknien, um sicher zu sein. Es war so windig. Um diese Expedition zu überstehen, muss man sich sein Leben verdienen. So hat es sich angefühlt.

STANDARD: Inwiefern ist der K2 im Winter anders als im Sommer?

Purja: Im Sommer kann ich vom Basislager direkt zum Gipfel gehen. Wenn man das im Winter macht, ist es schon harte Arbeit, nur bis Camp 3 zu kommen. Wenn du dein iPhone im Warmen verwendest, hält der Akku ewig, in Norwegen machst du ein Foto, und der Akku ist leer. So ist es auch mit unserem Körper: Im Sommer ist er funktional, aber im Winter verbraucht man die Energie schnell. Das beeinflusst alle Bewegungen. Und im Sommer klettert man meistens auf Schnee, im Winter auf blauem Eis.

STANDARD: Ist Eis nicht zumindest vorhersehbarer?

Purja: Aber es ist anstrengend. Deine Waden brennen, und du befestigst Fixseile mit 35 Kilo Rucksack.

STANDARD: Wie viel hat Ihrem Team das Ganze gekostet?

Purja: Wenn man die Filmcrew und ihr ganzes Equipment wegrechnet, waren es mehr als 200.000 Dollar. (Interview: Martin Schauhuber, 4.2.2022)