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Warteschlange vor der Impfstation auf der Rubén-Dumot-Rennstrecke in Capiata, Juli 2021. Dass viele Zuwanderer die Schutzimpfung verweigern, stößt bei der Bevölkerung auf Unverständnis.

Foto: AP/Jorge Saenz

Als im Februar 2021 die ersten 4.000 Dosen Sputnik-Impfstoff geliefert wurden, begaben sich Verteidigungsminister Máximo Díaz Cáceres, Notfallminister Joaquin Roa, der damalige Gesundheitsminister Julio Mazzoleni und Luftfahrtdirektor Félix Kanazawa (von links) zum Flughafen.

Foto: imago /EFE/Nathalia Aguilar

Die Auswanderung nach Lateinamerika hat eine lange Tradition. Hier fanden wegen ihres Religionsbekenntnisses verfolgte deutsche Mennoniten, australische Kommunisten, Anhänger russischer Endzeitkulte oder nach dem Zweiten Weltkrieg Nazikriegsverbrecher Zuflucht.

Seit dem Corona-Ausbruch machen einen Gutteil der Neuankömmlinge in Paraguay Europäer aus, die hoffen, durch die Emigration den Gesetzen zur Pandemiebekämpfung zu entkommen. Da viele mit einem Touristenvisum einreisen, sind aktuelle Zahlen schwer zu eruieren. Anfragen des STANDARD bei der paraguayischen Migrationsbehörde und der Botschaft in Wien blieben unbeantwortet.

Bekannt ist, dass im Jahr 2019 vier deutsche Staatsbürger ihren Hauptwohnsitz in die paraguayische Provinz Caazapá verlegten, 2021 waren es schon 101. Dort befindet sich das "Grüne Paradies". Die Siedlung soll laut Angaben ihres Gründers, des Österreichers Erwin Annau, auf 16 Quadratkilometern über 4.000 Menschen beherbergen.

Der Baufortschritt des "Paraiso Verde" auf Satellitenbildern.
DER STANDARD

Juan Buker, der Chef der Betreiberfirma Reljuv S.A., verwehrt sich gegenüber der paraguayischen Zeitung "ABC" gegen den Vorwurf, es handle sich um eine Impfgegnergemeinschaft. Dies sei gar nicht möglich, weil die Siedlung bereits 2016 gegründet wurde. Allerdings räumt er ein, dass der Großteil der Bewohner die Schutzimpfung ablehnt.

In einem 2018 veröffentlichten Interview mit dem deutschsprachigen paraguayischen Wochenblatt erklärte Annau, seine Kundschaft habe sich für die Auswanderung nach Paraguay entschieden, weil "es hier weniger Handystrahlen" gebe und sie Bürokratie, "die unkontrollierte Migration nach Europa" sowie "die drückende Steuerlast" und "die nach Ansicht von vielen Menschen vorhandenen Wettermanipulationen" ablehnten. Erst auf Platz fünf folgte damals "die Zwangsimpfung von Kleinkindern".

Esoteriker und Reichsbürger

Mittlerweile haben sich zahlreiche Mitglieder der Esoteriker-Szene nach Paraguay abgesetzt. So nennt Helmut Pilhar, der 1995 einige Bekanntheit erlangte, weil er seiner damals sechsjährigen Tochter Olivia die lebensrettende Krebsbehandlung verweigert hatte, auf seiner Website eine Kontaktadresse in Villarrica, Paraguay.

Auf der Weihnachtsfeier des "Grünen Paradieses" hielt im Vorjahr der der Reichsbürgerszene nahestehende Tanzlehrer und Heilpraktiker Hans Peter Reinhardt, der sich selbst "Peter Freiherr von Liechtenstein" nennt, eine Ansprache, in der er erklärte, dunkle Mächte versuchten, das eigentlich nordische Winterfest durch den Weihnachtsmann zu ersetzen, dessen englischer Name "Santa Claus" in Wirklichkeit "Satan's Claws", also "die Klauen Satans" bedeute.

Politiker besuchten die Kolonie

Die Siedler bemühen sich, Einfluss auf Paraguays Innenpolitik zu nehmen. Im Vorjahr statteten Santiago Peña, damals Präsidentschaftskandidat der rechten Colorado-Partei, und Ex-Präsident Horacio Cartes der Kolonie Besuche ab, eine Delegation der Kolonisten sprach im Gesundheitsministerium vor.

Die Einheimischen sind über die deutschen und österreichischen Zuwanderer nicht wirklich erfreut: "Oft erzählen uns diese Menschen, dass sie auf der Flucht sind vor den strengen Covid-Maßnahmen in Deutschland. Und vor allem wollen sie sich nicht impfen lassen gegen Corona. Das macht mir als Bürgermeister natürlich Sorgen", sagte Enrique Hahn, der Bürgermeister der 20.000-Einwohner-Stadt Hohenau, der "Süddeutschen Zeitung".

Die medizinische Versorgung der Kolonisten im "Grünen Paradies" sollen ein italienischstämmiger Arzt und zwei Heilpraktiker übernehmen. Auf schnelle Hilfe von außerhalb können sie nicht zählen: Das Spital der nächstgelegenen Stadt Villarrica verfügt über keine Intensivstation und hat nur ein Rettungsauto.

Auswärtiges Amt warnt

Dafür beschäftigt die Kolonie laut Annaus Angaben acht Rechtsanwälte und zwei Wirtschaftsprüferinnen. Da der Großteil der deutschen Einwanderer die Landessprache nicht beherrscht, sind sie auf solche Dienstleistungen angewiesen. Das deutsche Außenministerium rät, Immobilien in Paraguay nur nach sorgfältiger Prüfung zu erwerben, da es immer wieder vorkomme, dass Grundstücke mehrfach verkauft werden. Abgeraten wird davon, Anteile an landwirtschaftlichen Kolonien zu erwerben, die nicht durch konkrete Landtitel belegt sind.

Seit Mitte Jänner verlangt Paraguay bei der Einreise eine Corona-Schutzimpfung mit mindestens zwei Dosen. Mehr als ein Dutzend Ausländer ohne vollständigen Impfschutz seien bei ihrer Ankunft bereits abgewiesen und in ihre Heimatländer zurückgeschickt worden, sagte die Leiterin der Einwanderungsbehörde, María de los Ángeles Arriola, der Zeitung "ABC". Darunter waren auch sechs Deutsche.

Proteste gegen langsame Impfung

In dem Sieben-Millionen-Einwohner-Land haben bisher lediglich 43 Prozent der Bevölkerung zwei Impfdosen erhalten. Im März des Vorjahres, als die Neuinfektionen einen Rekordwert erreichten, kam es wegen des schleppenden Impffortschritts zu Ausschreitungen, Gesundheitsminister Julio Mazzoleni musste zurücktreten, die Regierung versprach, mehr Medikamente und Impfstoffe zu besorgen.

Trotzdem wird auf Websites, die potenzielle Auswanderer ansprechen wollen, behauptet, die paraguayische Verfassung mache die Einführung einer Impfpflicht unmöglich. Dass in deren Artikel 68 steht, dass sich "jede Person medizinischen Maßnahmen unterziehen muss, die vom Gesetz vorgeschrieben werden, solange dies nicht der menschlichen Würde widerspricht", verschweigen sie. (Bert Eder, 11.2.2022)