Um ein Auto kennenzulernen, macht man am besten eines: einsteigen und losfahren. Wir tun dies anlässlich der Fahrpräsentation des Dacia Jogger an der Côte d’Azur. Noch während wir den Startknopf suchen, finden und drücken, drängt sich eine olfaktorische Begrüßung in die Wahrnehmung – Duftnote "Plastic Bertrand" (originell, gell?). Liegt an dem überragend vielen Hartplastik in diesem Auto. Die Kundinnen jederlei Geschlechts wird das nicht weiter stören.

20 cm Bodenfreiheit ermächtigen den Jogger auch ein wenig zum Geländelauf, auf Schotterwegen jedenfalls. Mehr ist mangels Allrad nicht drin. Auf der Straße fährt sich der größte Dacia aller Zeiten recht komfortabel.
Foto: @Greg

Nächster Eindruck: Das ist ein überraschend komfortables Fahrzeug. Was habe ich mir gestern bei der Pressekonferenz notiert? 2,9 Meter Radstand. Länge läuft, das gilt auch im Billigauto. Dass die Wangen der Sitze zu weich sind, um richtig Seitenhalt zu geben, geschenkt – dass das kein Auto für Raserinnen ist, braucht nicht weiter betont zu werden. Familienkutsche!

Wir schalten – und zwar ausschließlich – manuell in sechs Gängen, ein gut abgestimmtes Getriebe, und der Motor schnurrt dazu, wie es die halbierten Reihensechszylinder nun mal tun. Auch das habe ich mir gestern Abend noch notiert: ganz neue Downsizing-Maschine von Renault, die im Jogger erstmals zum Serieneinsatz kommt. Spurtfreudig bei überschaubarem Verbrauch, 5,6 bis 5,7 l / 100 km laut Normtestzyklus, bei mir stehen nach dem ersten Ausritt 6,3 im Bordcomputer.

Dreizylinder bauen ist nicht jederfrau Sache. Viele dieser Aggregate, wie jene des VW-Konzers, sind alles andere als eine Offenbarung im Zielkonflikt Verbrauch/Leistung. Die alte Crux: Frägt man ein wenig die Leistung ab, werden sie durstig. Die in jüngster Zeit immer beliebter werdende Methode, dem mittels 48-Volt-Mildhybrid Abhilfe zu schaffen, wirkt oft auch nur homöopathisch.

Foto: @Greg

Jedenfalls, Dreizylinder. Ford beispielsweise beherrscht das Thema recht gut – bei den Turbos, nicht bei den Saugern –, BMW/Mini auch, und eben: Renault. Die nigelnagelneue Maschine verhilft dem Jogger zu namensadäquaten Dauerlauf-Eigenschaften, Sprints zwischendurch sind ebenfalls möglich, man muss nicht bei jedem Überholvorgang zittern, ob sich das ausgeht.

Wie der Einliterturbo sich im voll besetzen und -ladenen Zustand verhält, lässt sich angesichts coronabedingten Einzelaufenthalts im Auto noch nicht sagen, aber damit wären wir bei Konzept und Inhalten.

Dacia ist ja sozusagen der Reclam-Verlag unter den Fahrzeugfirmen. Klassiker zum kleinen Preis dem Volke zugänglich machen – Klassiker der individuellen Fortbewegung vulgo Automobil in diesem Falle halt.

Der Jogger, der letztlich Lodgy, Dokker und Logan MCV ersetzt, obwohl der Hersteller sich standhaft weigert, das offiziell so zu sehen, basiert auf der CMF-B-Plattform von Renault-Nissan. Als Erster ward Renaults Clio drauf gesichtet; Kleinwagen im Viermeterplusformat. Mit seinen Abmessungen – 4,55 m Länge bedeuten auch: Größter Dacia aller Zeiten – positioniert sich der Jogger aber eine ganze Klasse höher.

Bescheidenheit und Zier

Größte Datsche aus dem Land der Daker, könnte man auch sagen: bescheidene Hütte, schmuck ausstaffiert und hergerichtet. Mit fünf oder sieben Sitzplätzen. Mit viel Platz und Staufächern – obwohl: Die Türfächer sind eher schmal geraten. Erwähnenswert sind auch schlaue Lösungen wie die Dachreling, die mit wenigen Handgriffen in einen Dachträger verwandelt werden kann.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Richtig: Cockpit wie im Sandero.
Foto: @Greg

Die Bestuhlung folgt dem antiken griechischen Theater-Muster: jede Reihe ein bisschen höher als die davor. Im Siebensitzer bedeutet das bei den hintersten Fauteuils naturgemäß Einschränkungen beim Sitzkomfort, auf kurzen Strecken sind sie aber auch Erwachsenen zumutbar. Das nur je zehn Kilo wiegenden Gestühl ist rasch ausgebaut, der Einbau ist auch nicht viel schwieriger, will aber theatralisch erlernt sein.

Optisch setzt der Jogger auf den Absatzturbo SUV-Optik, kann nicht schaden, da und dort rustikale Attribute des Genres zu applizieren, an den Radkästen, an den Stoßfängern, und mit 20 cm Bodenfreiheit trägt man auch dem Schotterwegeinsatz in diversen Märkten Rechnung, in denen dieser MinivanSUVkastenwagen zum Einsatz kommt.

Damit man sieht, wie rigoros die Rumänen an den der Klientel zumutbaren Kampfpreis herangehen: Allradantrieb. Der optische Auftritt und die erwähnte Bodenfreiheit würden einen solchen durchaus nahelegen, auch technisch wäre er problemlos realisierbar. Aber. Die Kosten, die in der Entwicklung anfielen, argumentiert Dacia, müssten letztlich dann auch jene tragen, die sich für Frontantrieb entscheiden. Neinnein, diese Leute mögen dann bitteschön zum SUV Duster greifen.

Grafik: Der Standard

Der gleichermaßen begründete Einsatzverzicht gilt für Doppelkupplungsgetriebe und Schiebetüren, doch dort mag auch ein klein wenig die Überlegung mitgespielt haben, dass der Jogger hausintern dem Renault Kangoo möglichst wenig Konkurrenz machen soll. Deshalb gibt es ihn auch nicht als Nutzfahrzeug.

Und haben Sie den Knick an der B-Säule entdeckt? Škoda Roomster!, werden manche rufen. Richtig, bei dem war es 2006 ähnlich. Beim Jogger ergibt sich eine Vierzentimeterstufe, und wieder spielt Kostenersparnis eine Rolle: Praktisch der ganze Vorderwagen inklusive Türen und Cockpit stammt vom Sandero, erst ab der B-Säule ändert sich das. Die Pforten hinten sollten möglichst breit werden, um den Einstieg in die dritte Sitzreihe nicht zur Verrenktortur zu machen: Ist immer noch nicht lustig, aber es geht.

Nochmals kurz zum äußeren Erscheinungsbild. Manches hinten erinnert frappant an eine nordische Automarke: breite Schultern, Haifischflossen-Leuchtengrafik. Womöglich haben die einen Volvo-Designer gekidnappt, nach Transsilvanien auf Draculas Törzburg entführt und unter Folter Gestaltungsgeheimnisse entrissen. Das Ergebnis kann sich jedenfalls sehen lassen, der schmucke Jogger ist weit, weit weg vom ästhetischen Desaster des ersten Neuzeit-Dacias, des Logan. (Andreas Stockinger, 17.2.2022)