Mischplattform mit Front- (Clio/Zoe) und Heckantrieb (Twingo): Renault hat alles ausprobiert, sich auch die heckantriebsbasierten Konzepte VWs und Hyundais angesehen – und einen anderen Weg eingeschlagen bei der eigenen Elektroplattform CMF-EV. Denn die ist frontantriebsbasiert, alle Technik inklusive Thermomanagement – Wärmepumpe ist Serie – außer der unterflur verbauten Batterie verbirgt sich vorne unter der Motorhaube. Und weil kein Platz verschenkt wird mit einem Frunk, bleibt der Wagen hübsch kompakt.

Renault bleibt beim ersten Fahrzeug auf der rein elektrischen Plattform beim Namen Mégane, um damit die millionenfache bisherige Klientel behutsam in die Zukunft zu lotsen.
Foto: Renault

Ergebnis ist, anders als bei VW und Hyundai, keine ausgewogene 50:50-Achslastbalance, sondern eher 60:40 vorne-hinten. Wird sich etwas kopfschwer anfühlen, dachten wir vor den ersten in Andalusien veranstalteten Presseprobefahrten, aber denkste: Fährt sich schön ausgewogen, der Mégane der demnächst gegenwärtigen Zukunft. Leichtfüßiger als der direkte Gegner VW ID.3. Das mag auch daran liegen, dass der Franzose über den Daumen gepeilt 100 Kilo weniger wiegt. Weil nämlich die von LG Chem aus Koberwitz bei Breslau zugelieferte Batterie, stets schwerster Brocken eines E-Mobils, mit elf Zentimetern Dicke ein rekordverdächtiger Flachmann ist – bei vergleichsweiser Leichtigkeit des Seins: 394 kg wiegt die größere der beiden, die mit 60 kWh Nettokapazität, was eine maximale Reichweite von 470 km (beim 96-kW-Motor) ermöglicht.

Ach ja, um das auch gleich abzuhaken: Beim Akku-Motor-Angebot setzt Renault auf 2+2-Taktik, die kleinere Batterie ist eine mit 40 kWh (300 km Reichweite), und die vom Hersteller selbst entwickelten und in Cléon gefertigten E-Motoren leisten 96 und 160 Kilowatt.

Foto: Stockinger

Ein Werbespot zeigt den Mégane, der den geschmeidigen Zusatz E-Tech Electric führt, in Umgebung etlicher Reitpferde. Womöglich ein Reflex auf die berühmte, in Europa langsam in Erfüllung gehende Prophezeiung Kaiser Wilhelms II.: "Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd."

Bis es so weit ist, bemüht Renault sich redlich, die angestammte Mégane-Klientel (und reichlich neue) mitzunehmen in die E-Ära. Der alte wird noch drei Jahre gebaut, auch um "unterschiedliche Nutzungsprofile" abzudecken. Denn anders als Peugeot beim 308 bringt Renault elektrisch keinen Kombi mehr.

Zurück zu den Testfahrten. Da wurde im Hinterland von Marbella eine passende Route ausgewählt, um das fahrdynamische Potenzial ausloten zu können, kurvenreich und kaum befahren. Folgende Beobachtungen dabei: Sicht nach hinten suboptimal, weil Heckscheibe nur schmaler Sehschlitz. Lenkung superdirekt, 12:1 übersetzt, kein Kurbeln und Übergreifen mehr. Zur bemerkenswerten Agilität trägt auch die Mehrlenker-Hinterachse bei.

Innen gibt’s ein ergonomisches Cockpit – und eine überraschend hochwertige Materialauswahl.
Foto: Stockinger

Langer Radstand und tiefer Schwerpunkt bewirken satte Abrolleigenschaften, komfortabel im Basismodus, kerniger bei Sport, und weil es innen richtig leise zugeht, hört man bei höherem Tempo maximal den Wind über die Seitenspiegel streiche(l)n. Der Mégane kann nicht nur kommod, er entpuppt sich auf Abfrage auch als Spaßgenerator. Da lässt man sich nicht lumpen – und ist auf den Verbrauch gespannt.

134 Kilometer betrug die Strecke rauf zum Convento de la Magdalena, 88 wieder retour, 102 Restreichweite bei einem Verbrauch von letztlich 18,4 kWh / 100 km errechnete der Bordcomputer – das wären 324 km real versus 450 genormt. Auch in dem Kapitel punktet der Renault, zumal bei angemessenem Fahrprofil viel mehr an Reichweite drin ist.

Grafik: Der Standard

Rekuperiert wird in vier per Wippen am Lenkrad anwählbaren Stufen, wobei selbst die "schärfste" weit weg ist vom Einpedalbetrieb. Bedienung? Übersichtlich und logisch, aber speziell bei Materialauswahl und -anmutung lässt der Franzose den ID.3 hinter sich: Da wartet keine Hartplastikwüste, sondern geschmackvolle Einrichtung inklusive Echtholz. Und das Cockpit ist, wie heute üblich, im Bösendorfer-Stil gehalten: Klavierlack-Look.

Beim Navi hat Renault – auch wenn das natürlich anders kommuniziert wird, als Kooperation nämlich – bei Google eine Kapitulationserklärung unterschrieben und sieht sich als ersten Anbieter, der seine Klientel mit Google Maps und Assistant werken lässt. Software-Updates kommen über die Luft: OTA.

Der Mégane E-Tech Electric ist ein Schicksalsauto. Das Ding muss flutschen, sonst gehen à la longue womöglich die elektrischen Lichter aus bei Renault. Wie sich in der Realität zeigt, besteht kein Grund zur Sorge – mit diesem Fahrzeug ist den Franzosen ein Volltreffer gelungen. Elektrisch geht also auch mit Esprit. (Andreas Stockinger, 23.2.2022)