Das Wiener Entwicklerstudio Mipumi setzt verstärkt auf das Anwerben von Frauen – ein langer Weg, um mehr Diversität in der Branche zu schaffen.

Foto: Mipumi

Begeisterte Mädchen am Controller auf der Game City, Studien, die zeigen, dass rund 50 Prozent aller heimischen Gamer weiblich sind – man sollte tatsächlich meinen, die Hürden für junge Frauen, in der Videospielbranche eine Karriere zu starten, waren noch nie so niedrig wie heute. Schade, dass es sich dabei um einen Trugschluss handelt.

Das bestätigt auch Eline Muijres, die 2019 nach Wien zog, um als Producerin für das Entwicklerstudio Mipumi Games zu arbeiten. Sie zeigt sich gegenüber dem STANDARD enttäuscht von der noch immer von Männern dominierten Branche, macht aber jungen Frauen Mut, den Schritt in die wachsende Industrie zu wagen.

Reingerutscht

Laut aktuellen Zahlen sind in Österreich etwa 14 Prozent der IT-Angestellten Frauen. Gleichzeitig herrscht ein Fachkräftemangel in der Branche. Die Games-Industrie leidet unter einer ähnlichen Quote – wohl auch deshalb, weil vielerorts noch immer mit Programmierarbeit gleichgesetzt, die in Millionen von Codezeilen das nächste "Zelda" versteckt.

"Ich zähle zu den Frauen, die geglaubt haben, man müsse programmieren können, um in der Branche arbeiten zu können", bestätigt Muijres die Vermutung. Sie habe deshalb nie geglaubt, diesen beruflichen Weg einschlagen zu können. Sie habe sich als Kind zwar immer für Videospiele interessiert und später eine Website betrieben, in der sie Spielbesprechungen verfasste, aber in der Games-Entwicklung sah sich Muijres nicht.

Als ihr Netzwerk wuchs und sie mehr Kontakt mit Leuten aus der Branche hatte, bemerkte sie, dass die Spielebranche sehr wohl Verstärkung in anderen Bereichen brauchen konnte, etwa im Marketing oder im Projektmanagement. So begann sie ihre Karriere in ihrem Heimatland Niederlande, indem sie als PR-Verantwortliche ein kleines Entwicklerstudio in den verschiedensten Bereichen betreute: "Das war perfekt für mich, denn ich konnte bei der Schaffung von Videospielen mithelfen und gleichzeitig mehr über den Entwicklungsprozess lernen."

Sich auf solche Zufälle zu verlassen hält Muijres allerdings für riskant. "Wir sollten Mädchen schon im frühen Alter über diese möglichen Wege informieren, denn wenn sie erst spät auf die Idee kommen, im Spielebereich tätig sein zu wollen, dann haben viele junge Burschen schon einen jahrelangen Startvorteil." Das äußere sich auch in Österreich, sieht man sich die derzeitige Personalsituation an. Als stellvertretende Vorsitzende des österreichischen Verbands der Spieleentwickler (PGDA) hat sie im letzten Jahr viel mit den heimischen Studios zu tun gehabt: "Divers ist die österreichische Landschaft keineswegs – die meisten Beschäftigten sind weiße, heterosexuelle Männer. Knapp 60 Prozent der Branche sind zwischen 25 und 34 Jahre jung." Hier gebe es, genau wie im weltweiten Vergleich, Aufholbedarf.

Muijres arbeitet als Producerin beim Wiener Entwicklerstudio Mipumi.
Foto: Eline Muijres

Diversität

Für mehr Diversität in der Branche setzt sich die junge Frau seit etwa vier Jahren ein. Als Vorstandsmitglied der Organisation Games [4Diversity] organisiert sie mit Kolleginnen Game Jams, in denen der Dialog zwischen Spieleentwicklerinnen und in der Szene unterrepräsentierten Gruppen gesucht wird: "Wir bringen die Leute zusammen, um Spiele diverser zu machen." An diesen Wochenenden würden dann auch gleich dazu passende Spiele entstehen, wie es für Game Jams üblich ist. Events in San Francisco, Melbourne und São Paulo hätten bewiesen, dass das Interesse an solchen Themen weltweit vorhanden ist. Bei der Utrecht Canal Pride werde zudem immer ein Videospielbranchen-Boot organisiert, um der Welt zu zeigen, dass die Branche nicht nur aus weißen Männern mit schwarzen T-Shirts besteht.

Für die Qualität der Spiele sei Diversität ohnehin unerlässlich, ist sich Muijres sicher. Um ein großes Publikum zu erreichen, müsse man sichergehen, dass Leute "die Erfahrung genießen und sich mit den Charakteren und der präsentierten Thematik auseinandersetzen wollen". Somit sei es kontraproduktiv, 50 Prozent der Weltbevölkerung von solchen Erfahrungen auszuschließen. "Es macht ebenso wenig Sinn, dass weiterhin ausschließlich weiße Heteromänner Spiele für alle entwickeln." Wolle man eine gute Geschichte erzählen, dann brauche man verschiedene Perspektiven, und das bedeute letztlich eine diverse Gruppe an Menschen.

Es gibt laut Muijres zahlreiche Studien, die beweisen, dass diverse Teams bessere Ergebnisse erzielen als homogene Gruppen: "Ich vergleiche das gerne mit einem Bild, das man entweder einfärbig oder mit der kompletten Farbpalette befüllen kann."

Regina Reisinger war lange als Artist in der Branche, jetzt hat sie ihre eigene Games-Firma.
Foto: Regina Reisinger

Aussichten

Die österreichische Games-Szene bemüht sich laut der Producerin darum, mehr Frauen für die Branche zu begeistern, allerdings sei man sich oft unsicher, wie man das am besten angehen könne. An Ideen mangelt es Muijres nicht. Eine lange, von ihr formulierte Liste beinhaltet etwa ein klares Bekenntnis jeder Firma zu Diversität und Inklusion, inklusive Stellenausschreibungen, ein diverses Managementteam und einen funktionierenden Prozess, um inakzeptables Verhalten in dem Unternehmen melden zu können.

Speziell der letzte Punkt hat in den letzten Jahren für schlechte Stimmung in der Games-Branche gesorgt. Zahlreiche Klagen gegen große Industrievertreter wie Ubisoft oder Activision-Blizzard, darunter Vorwürfe der sexuellen Belästigung und der Diffamierung von weiblichen Angestellten, haben Spuren bei jungen Frauen hinterlassen: "Ich kenne leider viele Frauen, die unter toxischen Arbeitsbedingungen gelitten haben. Sexismus ist ein großes Thema in der Gesellschaft – das ist kein exklusives Problem der Branche." Verantwortliche Personen müssten für ihr Verhalten bestraft werden, um die Industrie für Frauen attraktiver zu machen. Man könne sich nicht auf das Anheuern von Frauen fokussieren – "wir müssen eine Umgebung schaffen, die Frauen zum Bleiben und zur Weiterentwicklung motiviert".

Ähnlich empfindet auch Regina Reisinger, die seit knapp zehn Jahren als Artist in der Branche arbeitet und derzeit beim Indie-Entwickler Microbird Games unter anderem als Mitgründerin agiert. Es ist laut Reisinger wichtig, dass Frauen, die bereits in der Industrie arbeiten, sichtbar sind und die Gelegenheit haben, öffentlich und ehrlich über ihre Arbeit und ihre Erfahrungen zu sprechen: "Das schafft eine Möglichkeit für interessierte junge Frauen, einen realistischen Einblick in die Industrie zu bekommen, und fördert das Bewusstsein, dass in der Branche Platz für sie ist und es einen Bedarf an ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen gibt."

Wie Muijres hatte auch Reisinger die Branche nicht auf dem Radar, wenn es um potenzielle Jobbewerbungen ging. Auf der FH Salzburg entschied sie sich für den Weg Multimedia-Art, wo sie sich auf 3D-Art und Games spezialisierte. Die Liebe zu Games kam zurück, und nach einem Praktikum in Deutschland stand für die junge Künstlerin fest, dass sie in der Branche bleiben wollte. Als Artist modellierte und texturierte sie Charaktere und Umgebungen, gestaltete visuelle Effekte oder animierte Dinge. Als Mitgründerin ihrer eigenen Firma muss sie jetzt neben ihrer künstlerischen Arbeit auch viele Managementaufgaben übernehmen, etwa Pipelines für die Projektarbeit schaffen oder sich um generelle Bedürfnisse der Firma kümmern.

Mipumi bietet anlässlich des Weltfrauentags derzeit an, Portfolios von Frauen verlässlich durchzusehen und Feedback zu geben.

Motivieren

Nach einer Dekade in der Spieleentwicklung ist Reisinger noch immer sehr froh über ihre Berufswahl: "Die Arbeit in der Games-Branche ist extrem abwechslungsreich, kreativ und bietet einen ständigen Austausch mit anderen Leuten innerhalb und außerhalb des eigenen Teams." Jungen Frauen könne sie den Schritt in die Branche empfehlen, auch wenn man sich auf diverse Hürden einstellen müsse. Es gebe wenige stabile Arbeitsverhältnisse, und eine ständige Weiterbildung sei unerlässlich. Dennoch, wer den Weg gerne einschlagen möchte, der solle das unbedingt tun: "Je mehr unterschiedliche Leute in der Branche zusammenarbeiten, desto besser für die ganze Industrie."

Auch Muijres appelliert an junge Frauen, sich in der Games-Industrie zu engagieren: "Mein Tipp wäre, eine Ausbildung oder eine Berufung zu finden, die auch in anderen Branchen einen Job ermöglicht." In Österreich sei die Games-Industrie noch immer sehr klein, und wie in so vielen kreativen Branchen sei der Andrang groß. Interessierte Mädchen und Frauen sollten sich in jedem Fall nach aktuellen Initiativen umschauen, die Frauen auf dem Weg unterstützen, etwa Mentorenprogramme oder auch Coding-Kurse: "So kann jede für sich eine mehrere Aspekte abwiegende Entscheidung treffen und sich die Unterstützung holen, die man für einen guten Start benötigt." (Alexander Amon, 10.3.2022)