In Russland darf das Wort "Krieg" nicht verwendet werden. Auch Tiktoker werden zur Propaganda-Verbreitung eingesetzt.

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Den Informationskrieg in der westlichen Welt hat Russland nach der Ukraine-Invasion längst verloren. Im eigenen Land werden aber alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Krieg gegen den Nachbarstaat zu rechtfertigen. Das zeigt sich auch auf Tiktok. In einer koordinierten Kampagne wurden zahlreiche bekannte Influencerinnen und Influencer mit Millionen von Fans angeworben, um die Regierungspropaganda Russlands unter die Follower zu bringen.

Dutzende wortidente Beiträge

Die unter anderem von ukrainischen Bloggerinnen veröffentlichten Zusammenschnitte, in denen die Clips übereinandergelegt wurden, zeichnen ein gruseliges Bild. Die Jugendlichen sagen teilweise wortgleich die selben Sätze auf und verbreiten das von Wladimir Putin in die Welt gesetzte falsche Narrativ, die ukrainische Nazi-Führung habe in den aufständischen Regionen in der Ostukraine einen Genozid gegen die russisch-sprechende Bevölkerung verübt.

"Blut ist in Donbas seit acht Jahren vergossen worden", lautet einer der Sätze, der offenbar per Skript an die Tiktok-Influencer verteilt wurde. Einen Beweis für die koordinierte Vorgangsweise fand der Nachrichtenblog Vice. Er stieß bei seinen Recherchen unter anderem auf einen Telegram-Kanal, über den hochrangige russische Social-Media-Stars mit teilweise über einer Million Fans für bezahlte Kampagnen angeworben und genau instruiert werden.

Telegram-Kanal wirbt Social-Media-Stars an

Wer hinter dem vor einigen Monaten ins Leben gerufenen Kanal steckt und die Jugendlichen für ihre Kampagnen bezahlt, ist unbekannt. Vice gegenüber gab sich der anonyme Channel-Betreiber als Journalist aus, brach nach kurzer Zeit aber den Kontakt ab. Die Vorgaben für die Tiktoker waren genau: Wann und vor welchem Hintergrund was genau zu sagen ist, welche Hashtags und Musik zur Untermalung verwendet und wann genau das Video gepostet werden soll. Bezahlt wurde offenbar nach Reichweite und erreichten Interaktionen.

Während die erste Kampagne knapp nach der Invasion gestartet wurde, gab es vor einigen Tagen einen erneuten Aufruf. Dieses Mal ging es darum, Videos auf Tiktok zu posten, in denen der nationale Zusammenhalt beschworen werden soll. Unterlegt sollte das ganze werden mit Ausschnitten einer Putin-Rede. Neben genauen Anweisungen, welche Emojis verwendet werden sollen, wurde auch eine Anleitung mitgeliefert, wie die aktuelle Tiktok-Sperre von neuen russischen Inhalten umgangen werden kann.

Nach der Vice-Recherche dürften die Verantwortlichen allerdings kalte Füße bekommen haben. Kurz nach der Kontaktaufnahme durch die Journalisten wurde der neuerliche Aufruf und diverse andere Inhalte gelöscht. Zumindest ein Influencer mit knapp einer halben Million Follower hat die Anweisungen bereits in die Tat umgesetzt und einen Beitrag nach den Vorgaben veröffentlicht.

Auch Weißes Haus umgarnt Influencer

Welch wichtige Rolle Tiktok in der öffentlichen Meinung zugeschrieben wird, wurde zuletzt auch in den USA deutlich. Das Weiße Haus bat 30 der wichtigsten Influencerinnen zu einem virtuellen Briefing, in dem die Social-Media-Bekanntheiten über den US-Standpunkt und Maßnahmen gegen die Russland-Invasion informiert wurden. Da Tiktok eine besonders wichige Quelle für Ukraine-Updates sei, wolle man als verlässliche Informationen teilen.

Bei manchen der Tiktoker kam das Ganze allerdings weniger gut an. Jules Suzdaltsev, der Betreiber des Tiktok-Accounts "Good Morning Bad News", gab laut Washington Post an, das ganze habe sich wie eine Presseveranstaltung für Kindergartenkinder angefühlt. Andere äußerten Kritik, dass die Sichtweise sehr selektiv gewesen und kritische Fragen – etwa zur früheren Involvierung der USA in diverse Konflikte – kein Thema gewesen seien. (Martin Stepanek, 12.03.2022)