Telegram ist eine wichtige Informationsquelle für Russinnen und Russen.

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Seit Tag eins des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine werden soziale Medien mit Nachrichten, Videos und Fotos überschwemmt, die die Schrecken des Konflikts offenbaren. Jeder kann dort Postings veröffentlichen und kommentieren. Das bringt einerseits eine Demokratisierung des Informationsflusses mit sich – öffnet andererseits aber Tür und Tor für Fake News und Verschwörungserzählungen. Im Zentrum der Diskussionen findet sich nun ein alter Bekannter wieder: Telegram.

Während sich Menschen im Westen primär auf Twitter, Facebook und Co verlassen, greifen russische und ukrainische Bürgerinnen und Bürger verstärkt zu diesem Messenger. Vor allem Erstere sind auf ihn angewiesen, um trotz gesperrter Mainstreamplattformen und eines neuen Zensurgesetzes verlässliche Informationen zu erhalten.

Chance und Risiko

Die russische Zeitung Nowaja Gaseta erreicht dort inzwischen mehr als 450.000 Menschen, während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Plattform nutzt, um seine Ansprachen mit 1,5 Millionen Abonnentinnen zu teilen. Hinzu kommen unzählige Gruppen und Kanäle unbekannterer Akteurinnen, deren Botschaften auch ohne Verifizierung ein teils massives Publikum haben.

Das birgt ebenjene Gefahren, die sich hierzulande während der Corona-Pandemie abgezeichnet haben: Die Plattform ist wegen mangelnder Inhaltsmoderation Drehscheibe für Desinformation, Verschwörungserzählungen und Gewaltaufrufe. Inzwischen hat sich deshalb sogar Telegram-Gründer Pawel Durow zu Wort gemeldet: "Telegram-Kanäle werden zunehmend zu einer Quelle nicht verifizierter Informationen über Ereignisse in der Ukraine", schrieb er Ende Februar. "Ich empfehle russischen und ukrainischen Nutzern dringend, misstrauisch gegenüber allen Daten zu sein, die derzeit über Telegram verbreitet werden." Im Kontext des Ukraine-Kriegs gesteht Durow damit erstmals ein, wovor Forschende schon seit Jahren warnen.

Hybride Netzwerke

Fehlende Sperren sind allerdings nicht der einzige Grund, warum sich Fake News auf Telegram rasend verbreiten. Grund für den enormen Erfolg ist auch der Aufbau der App, handelt es sich doch um einen Hybrid aus Messenger und Social-Media-Plattform. Ähnlich wie bei konkurrierenden Diensten wie Whatsapp und Signal kann man also private Unterhaltungen führen. Zusätzlich hat man die Möglichkeit, öffentliche Kanäle und Gruppen mit teils hunderttausenden Mitgliedern zu eröffnen. Im Unterschied zu Facebook ist die Kommunikation hier direkter und schneller. Optisch ähneln Kanäle dabei Gruppenchats, was ein Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt und die Unterhaltungen oft emotionaler macht.

Nicht zuletzt werden Gruppen und Kanäle oft mit Inhalten Dritter überflutet. Beiträge können per Knopfdruck geteilt werden, wodurch man auch ungewollt Verschwörungsideologien und Hassrede aufgetischt bekommt.

Wie schnell sich verschiedenste Narrative vermischen können, zeigt ein Blick in deutschsprachige Impfgegner- und "Querdenken"-Gruppen. Seit Kriegsausbruch häuft sich dort neben Desinformation über das Coronavirus vor allem Putin-Propaganda. Bis zur EU-weiten Sperre des Senders waren vor allem Beiträge von RT DE beliebt, der Sender lag auf Platz zwei der meistgeteilten Webseiten, wie Forschende des Institute for Strategic Dialogue (ISD) herausfanden.

In 229 untersuchten Kanälen wurde die Domain de.rt.com demnach 1410 Mal gepostet, die Beiträge erreichten damit knapp 20 Millionen Menschen. Bei der Verbreitung halfen meist Verschwörungsideologen und bekannte Akteure aus dem rechtsextremen Milieu.

Der Druck steigt

Diese Entwicklungen haben inzwischen auch die deutsche Bundesregierung auf den Plan gerufen. Innenministerin Nancy Faeser forderte schon Ende letzten Jahres ein härteres Vorgehen gegen Gewalt und Hetze auf der Plattform. Das Problem dabei: Durchzugreifen ist noch immer sehr schwierig. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Dubai und entzieht sich dem Anwendungsbereich des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes.

Ein ähnliches Problem hat Österreich. Nach Ansicht der Komm Austria, also der österreichischen Regulierungsbehörde für Rundfunk und audiovisuelle Medien, unterliegt Telegram bereits dem hiesigen Kommunikationsplattformen-Gesetz. Das Unternehmen verweigere aber die Zusammenarbeit, heißt es gegenüber dem STANDARD. Man sei jedoch "bemüht, den rechtskonformen Zustand herzustellen".

Dennoch zeigt sich, dass sich langsam, aber sicher etwas in Bewegung zu setzen scheint. Anfang Februar teilte Faeser mit, "Kontakt zur Konzernspitze von Telegram hergestellt" zu haben. Man habe konstruktive Gespräche geführt und wolle den Austausch fortsetzen und intensivieren.

In der Zwischenzeit heißt es bei Informationen zum Ukraine-Krieg aber weiterhin: innehalten und die Vertrauenswürdigkeit einer Quelle überprüfen. Allzu groß ist die Wahrscheinlichkeit, sonst einer Falschmeldung aufzusitzen. (Mickey Manakas, 15.3.2022)