Der Bereich der Metascience zielt unter anderem auf methodische Verbesserungen im Wissenschaftsbetrieb sowie auf eine bessere Vernetzung internationaler Forschungsgruppen ab.

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Wettbewerbssituationen beeinflussen moralisches Verhalten, wie Studien zeigen. Wie dieser Zusammenhang genau aussieht, darüber ist man sich bis heute jedoch uneins. Schadet der Wettbewerb der Moral, oder verbessert er moralisches Verhalten?

Internationale Wissenschaftsteams versuchen nun auf neue Weise, diese Forschungsfragen anzugehen. Michael Kirchler, Felix Holzmeister und Jürgen Huber vom Institut für Banken und Finanzen der Universität Innsbruck haben gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Stockholm School of Economics und der Vrije Universiteit Amsterdam 46 Forscherteams weltweit nach Antworten gefragt. Sie alle haben ein eigenes Experiment gestaltet, das aus ihrer Sicht die besten Erkenntnisaussichten zur Frage nach dem Einfluss von Wettbewerb auf moralisches Verhalten hat. Kirchler und Kollegen sind nun dabei, die verschiedenen Ansätze zu aggregieren, die Daten auszuwerten und eine umfassende wissenschaftliche Aussage abzuleiten.

Bei dieser Vorgehensweise, bei der Forschungsergebnisse in einer wissenschaftlichen Community per Crowd-Sourcing-Prinzip gewonnen werden, spricht Kirchler von einem Many-Designs-Ansatz. "Der Wissenstransfer unter Forschenden hat sich durch die Digitalisierung zwar gebessert", sagt Kirchler, dennoch würden viele Teams isoliert arbeiten, weshalb es oft Jahre dauere, bis ein weiteres Team ein Ergebnis aufgreife. Instrumente wie der Many-Designs-Ansatz bergen hier das Potenzial, den wissenschaftlichen Dialog zu beschleunigen und die Qualität der Ergebnisse stark zu verbessern.

Transparente Forschung

Diese Ausgestaltung des Studiendesigns ist Teil einer Entwicklung, die unter dem Begriff Metascience zusammengefasst wird. "Dabei geht es um eine ganze Reihe von Maßnahmen, die die Wissenschaft transparenter, offener und besser nachvollziehbar machen", sagt Kirchler. "Das fängt bei simplen Dingen an – etwa dass man Experimente besser protokolliert, dass die Datensätze vollständig veröffentlicht werden oder dass ein Pre-Analysis-Plan vorab veröffentlicht wird, was nachträgliche Anpassungen des Studiendesigns und der Auswertungstechniken unterbindet."

Zudem sollen Nullergebnisse, also wenn eine postulierte These durch eine Studie nicht bestätigt werden konnte, ebenfalls veröffentlicht werden.

Gleichzeitig gehen die Metascience-Überlegungen in Richtung methodischer Verbesserungen, um Forschungsgruppen besser zu vernetzen und ihre Expertisen systematisch zu bündeln. Damit soll auch besser reflektiert werden, auf welche Weise Wissen generiert wird.

Entscheidungen im Gehirn

"Der Prozess hin zu einer Qualitätssicherung dieser Art wurde bereits in den 2000er-Jahren in Bereich der medizinischen Forschung stark angestoßen", erklärt Kirchler den Ursprung der Metascience-Bewegung. "Im Hintergrund stand die Erfahrung, dass Replikationsstudien ein Ergebnis oft nicht mit derselben Effektgröße bestätigen konnten."

Auch in der Psychologie wurden die neuen Methoden bald zum Thema, die experimentelle Wirtschaftsforschung beschäftigt sich seit etwa Mitte der 2010er-Jahre damit. Die Innsbrucker Forscher forschen seit 2014 in Metascience-Projekten. "Vor allem dort, wo Probleme sehr unübersichtlich strukturiert sein können – etwa wenn es um die Erforschung des menschlichen Verhaltens geht –, sind die Methoden gewinnbringend", sagt Kirchler.

Anders als beim aktuellen Projekt zu Wettbewerb und Moral gaben die Innsbrucker Forscher in Vorgängerprojekten teilnehmenden Arbeitsgruppen sowohl Datensätze als auch dazugehörende Hypothesen mit auf den Weg. Gemeinsam mit internationalen Kollegen organisierten Kirchler und sein Team etwa eine Studie, für die sie 110 Probanden per MRT-Scan untersuchen ließen, um zu dokumentieren, wie sich das Treffen von Entscheidungen im Gehirn abbildet.

Dieser Datensatz nebst neun aufbauenden Hypothesen – etwa zur Frage, wie sich eine Risikoentscheidung auf die neuronalen Vorgänge im präfrontalen Kortex auswirkt – wurde 70 Forschungsgruppen weltweit übergeben. Die im Fachjournal "Nature" publizierte Auswertung aller Ergebnisse zeigte ein heterogenes Bild: "Bei fünf Hypothesen finden wir eine sehr große Unstimmigkeit unter den Teams, bei den vier weiteren sind die Ergebnisse dagegen relativ einheitlich", sagt Kirchler. "Das ist für die Forschungscommunity deshalb spannend, weil sie Unsicherheiten aufzeigen und Diskussionen über verbesserte Auswertungsmethoden anstoßen."

Arbeitsweisen hinterfragen

Ein ähnliches Studiendesign wurde für die Analyse von Finanzdaten erprobt. Im Projekt "Finance Crowd Analysis Project" (Fincap) schickten die Forscher einen Datensatz aus 720 Millionen Einzeltransaktionen des Wertpapierindex Euro Stoxx 50 Future an 168 Forscherteams, dazu sechs Hypothesen, die etwa die Veränderung des Kundenanteils am Gesamthandelsvolumen betreffen. Die Gruppen durften miteinander nicht kommunizieren, aber es gab ein mehrstufiges Verfahren mit Gutachterrunden, in denen beispielsweise die Ergebnisse bewertet und an die Teams zurückgespielt wurden.

Auch hier gab es eine "unheimliche Breite und Streuung bei den Ergebnissen", berichtet Kirchler. Zum einen ist das den Fragestellungen geschuldet: "Je vager die Hypothese formuliert ist, desto breiter ist auch die Streuung. Wohlstrukturiertere Forschungsfragen waren hier besser." Zum anderen liegt die Heterogenität der Ergebnisse in der Komplexität der Big-Data-Auswertungen begründet: "Im Zuge der Auswertungen müssen viele Entscheidungen getroffen werden, etwa wie man die große Menge an Daten zusammenfasst oder mit Ausreißern umgeht."

Keine zwei Teams hätten deshalb die Analysefragen identisch abgehandelt. "Die Ergebnisse sind dementsprechend unterschiedlich, keine aber per se richtig oder falsch." Für Kirchler ist klar, dass die Metascience-Ansätze in den Wissenschaften künftig eine große Rolle spielen werden. "Die hohe Zahl an Forschungsteams, die sich für die Projekte gewinnen ließen, ist ein Zeichen für den Pioniergeist in diesem Bereich und zeigt, wie sehr die Wissenschaft bereit ist, ihre Herangehensweise selbst zu hinterfragen und zu verbessern." (Alois Pumhösel, 3.4.2022)