Angestellte kennen die Situation: Man macht sich in der Kaffeeküche im Büro einen Kaffee oder Tee, dann kommt Kollege X und erzählt. Vom Wochenendtrip. Von den Kindern. Von der neuen Netflix-Serie. Die hat man selbst schon gesehen, und man hat einiges zu berichten. "Water cooler talk" nennt man in den USA private Gespräche im Büro, weil sie häufig am Wasserspender stattfinden. Schließlich gesellt sich Kollege Y dazu, man plaudert über dies und das, das nächste Meeting, die neue Kollegin, was eben alles im Flurfunk gesendet wird. Doch kaum hat man sich versehen, ist eine halbe Stunde vergangen. Zurück am Platz stellt man fest, dass in der Abwesenheit zehn neue Mails eingetroffen und zwei Anrufe verpasst worden sind. Hatte es nicht im letzten Briefing geheißen, man solle "zielstrebiger" arbeiten?

Kürzlich sorgte eine Studie des amerikanischen Telekommunikationskonzerns Toll Free Forwarding für Aufsehen. Demnach kostet Smalltalk die US-Wirtschaft über 1,5 Billionen Dollar im Jahr. Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt von Spanien. Der durchschnittliche Angestellte, rechneten die Autoren vor, verbringe knapp zwei Stunden pro Tag mit Smalltalk. Legt man den amerikanischen Durchschnittsverdienst zugrunde, kommt man auf rund 11.900 Dollar Produktivitätsausfall im Jahr. Hochgerechnet auf alle US-Betriebe ergibt sich die astronomische Summe von 1,5 Billionen Dollar. Die USA, ein Land der Quasselstrippen? Labert sich eine Nation kollektiv ins wirtschaftliche Verderben?

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Endlich wieder miteinander reden abseits digitaler Meetings. Alles Menschliche wegzurationalisieren trocknet das Schmiermittel der Firma aus.
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Kein Ersatz

Es ist schon seltsam: Da hetzte man im Homeoffice von einer Videokonferenz zur nächsten, starrte stundenlang auf Zoom-Kacheln, und jetzt, wo immer mehr Betriebe in Präsenz zurückkehren und man endlich Zeit für einen Plausch von Angesicht zu Angesicht hat, soll das Ganze schlecht sein? Waren die Angestellten im Lockdown zwischen Homeschooling und Homeoffice wirklich produktiver?

Karrieregurus wollen uns weismachen, dass nur ein fokussierter Mitarbeiter produktiv ist. Lange Mittagspausen, Smalltalk, ja sogar Schlaf sind in dieser Logik unproduktiv. CEOs, die nach dem Aufstehen um vier Uhr morgens gleich die ersten Mails beantworten, brüsten sich mit prallgefüllten Lifehack-Kalendern, im Silicon Valley forschen Start-ups an Nahrungsergänzungsmitteln, die Essen überflüssig machen sollen. Das sei sauberer, gesünder und effektiver. Allein, diese Logik greift zu kurz.

Zwar ist ein Smalltalk schnell betrachtet Zeitverschwendung. Statt am Schreibtisch zu sitzen oder an der Werkbank zu stehen, redet man über Privates. Doch wer jetzt aufschreit und Arbeitszeitbetrug wittert, sollte den aktuellen Stand der Forschung berücksichtigen. Studien haben ergeben, dass Smalltalk positive Emotionen bei Angestellten hervorruft und das allgemeine Wohlbefinden fördert – mag das Thema auch noch so oberflächlich sein. Und glückliche Mitarbeiter, auch das belegen Forschungen, sind produktiver.

Mehr Leistung

Smalltalk ist das Schmiermittel, das eine soziale Organisation wie ein Unternehmen zusammenhält – er macht rund ein Drittel dessen aus, was ein erwachsener Mensch sagt. Versuche, den "water cooler talk" in den virtuellen Raum zu überführen, sind gescheitert – Zufall und Spontaneität lassen sich im Format von Videokonferenzen kaum simulieren.

Laut einer Studie der University of Michigan steigert Smalltalk sogar die Leistungsfähigkeit des Gehirns – und das, obwohl man für den Moment des Gesprächs gedanklich abgelenkt ist. In der Untersuchung sollten die Probanden nach einer zehnminütigen Kennenlernphase einen kognitiven Test absolvieren. Die Versuchsteilnehmer, die sich ohne Vorgaben kennenlernten, schnitten dabei deutlich besser ab als die Probanden, die sich in kompetitiven Denkspielen kennenlernten, und auch besser als die Kontrollgruppe, die den Test ohne die zehnminütige Eingewöhnungsphase absolvierte. Smalltalk ist also auch ein Booster fürs Gehirn. Arbeitsökonomisch gedacht: Die Zeit, die durch Geschwätzigkeit verloren geht, holen die Smalltalker durch Produktivitätsgewinne später wieder auf.

Kreatives Umfeld

Die besten Ideen entstehen ohnehin nicht am Arbeitsplatz oder in Meetings, sondern in einem kreativen Umfeld, wo man es zunächst gar nicht vermuten würde. Der japanische Spieleentwickler und Kultdesigner Shigeru Miyamoto etwa hatte seine Idee für den Spieleklassiker Donkey Kong in der Badewanne. Bevor Nintendo Videospiele auf den Markt brachte, stellte das Unternehmen Spielkarten mit Blumenmotiven (Hanafuda) her. Dafür brauchte man einen Warmwasserboiler, mit dem auch eine Wanne gefüllt wurde. Und die wurde zu Miyamotos bevorzugtem Rückzugsort.

Vielleicht ist dies auch eine Inspirationsquelle für New-Work-Umgebungen: Innenarchitekten könnten eine kleine Bäderlandschaft einrichten – die Ideen würden sicher genauso sprudeln wie beim Wasserspender. (Adrian Lobe, 3.4.2022)