Wer schon einmal auf Tuchfühlung mit einem Kea gegangen ist, vergisst diese Begegnung wohl nicht so schnell. Die in Neuseeland verbreiteten Vögel haben einen Hang dazu, alles zu klauen, was nicht niet- und nagelfest ist. Als gefiederte neugierige Nasen montieren sie mitunter sogar Antennen von Mietautos ab. Aber was sagen dieses Geschick und diese Neugier über die geistigen Kapazitäten der Keas aus?

Antworten auf diese Frage versucht der Biologe und Kognitionsforscher Ludwig Huber zu finden. Dabei ist es keine leichte Aufgabe, die sich Huber in seinem neuen Buch "Das rationale Tier" (Suhrkamp-Verlag, 2021) gestellt hat. Immerhin geht es um die Frage, inwieweit Tiere sich rational verhalten können und – noch ambitionierter – inwieweit sie ein Bewusstsein haben. Huber, der selbst unter anderem mit Tauben, Keas, Weißbüschelaffen und Hunden gearbeitet hat beziehungsweise arbeitet, nähert sich dem Problem mittels eines "Sextetts tierischer Intelligenz".

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Neugierig und vorwitzig zeigen sich Keas in ihrem Verhalten. Die auch Bergpapageien genannten Vögel zählen zu jenen Arten, die Werkzeuge herstellen und nutzen können.
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Planen und Gedanken lesen

Zu diesen Merkmalen gehören die Herstellung von Werkzeug sowie das Verständnis für Kausalität, daneben Planung, episodisches Gedächtnis, Metakognition und Gedankenlesen. Mit Metakognition ist dabei die Fähigkeit gemeint, zu wissen, was man weiß beziehungsweise nicht weiß, während "Gedankenlesen" in diesem Zusammenhang bedeutet, sich Gedanken über die Gedanken anderer machen zu können, auch bekannt als "Theorie des Geistes".

Nun ist die Vorstellung, dass solche Leistungen allein dem Menschen zu eigen sind, zwar in den letzten Jahrzehnten – gerade auch durch die Arbeiten von Kognitionsbiologen wie Huber und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – gehörig ins Wanken geraten. Der Idee vom mehr oder weniger vernunftbegabten Tier weht jedoch nach wie vor aus einigen Richtungen ein steifer Wind entgegen. Davon abgesehen, ist es auch Hubers eigener Anspruch, die geistigen Leistungen von Tieren wissenschaftlich fundiert und zweifelsfrei zu dokumentieren.

Denn wie Huber selbst schreibt: "Plausibilität ist das eine, der Nachweis das andere". Dementsprechend breiten Raum widmet er Gegenargumenten, wie sie etwa von manchen Psychologinnen und Psychologen ins Feld geführt werden. Diese laufen, salopp gesagt, gewöhnlich darauf hinaus, dass Tiere jedes auch noch so klug wirkende Verhalten letzten Endes mithilfe basaler Mechanismen, wie angeborener Verhaltensweisen oder Konditionierung, bewerkstelligen.

Intelligenz oder Instinkt

Diese Annahmen entkräftet Huber mit Ernsthaftigkeit und Geduld. Die Nachweise tierischer Intelligenz, die der Autor anführt, stammen teilweise aus Freilandbeobachtungen, häufiger kommen sie aber aus extrem durchdachten Experimenten. Aus beiden Feldern bringt der Biologe und Kognitionsforscher eine Vielzahl von Beispielen, die den jeweiligen Bereich seines Sextetts der tierischen Intelligenz untermauern.

Die Beispiele reichen von Schimpansen, die Speere für die Jagd herstellen, über Geradschnabel-Krähen, die ein passendes Werkzeug für den nächsten Einsatz aufbewahren, und Delfine, die auf die Geste "Tu etwas, was du noch nie getan hast" richtig reagieren, bis zu Raben, die beim Futterverstecken darauf achten, welcher ihrer Artgenossen sie dabei hätte beobachten können. Darüber hinaus sind die gezeigten Beispiele mannigfaltig und umfassen verschiedenste Arten, teilweise sogar wirbellose Tiere. Besonders einprägsam ist dabei der Schimpanse Santino in einem schwedischen Zoo, der die Besucher gern mit Steinen bewarf.

Zu diesem Zweck errichtete Santino jeden Morgen kleine Haufen davon, die er später als Wurfgeschoße verwendete. Diverse Versuche des Zoopersonals, diese Aktion zu unterbinden, hintertrieb der Schimpanse jedoch immer wieder erfolgreich: unter anderem, indem er die bereitgelegten Steine unter Heuhaufen versteckte.

Die Frage, inwieweit Tiere über Sprache verfügen, behandelt Huber in einem eigenen Kapitel. Hier kommen neben den "üblichen Verdächtigen" wie dem Bonobo Kanzi und dem Graupapagei Alex auch weniger bekannte Arten zur Sprache. Etwa die Campbell-Meerkatzen und ihre komplexe Kommunikation: Sie kombinieren verschiedene Warnrufe mit verschiedenen Sequenzen und können so drohende Gefahren situationsspezifisch mitteilen.

Ethischer Umgang

Zu guter Letzt wagt sich Huber an die Frage, ob Tiere nun ein Bewusstsein haben oder nicht. Dieser Frage stellt der Biologe und Kognitionsforscher eine detaillierte Erörterung des Begriffes Bewusstsein voran. Bei dessen physischen Grundlagen spannt der Autor den hochinformativen Bogen von uns Menschen bis hin zu den Insekten.

Den Abschluss bildet ein Resümee, in dem Huber keinen Zweifel daran lässt, dass Tiere über mentale Fähigkeiten verfügen, die die Basis für flexibles Verhalten, neuartige Lösungsansätze und Lernen bilden können – eine Schlussfolgerung, der er einen Appell zu einem ethischen Umgang mit Tieren folgen lässt. (Susanne Strnadl, 12.4.2022)