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Anreizsysteme installieren, damit die Leute endlich tun, was die Firma will? So einfach klappt das nicht.

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Uri Gneezy von der University of California in San Diego und Aldo Rustichini von der University of Minnesota haben vor 20 Jahren weltweit Aufsehen erregt mit einer Studie über einen israelischen Kindergarten, dessen Angestellte darunter litten, dass Eltern ihre Kinder häufig zu spät abholten. Da man kleine Kinder im Alter von unter sechs Jahren nach dem eigentlichen Dienstschluss nicht einfach auf die Straße stellen kann, sondern natürlich warten muss, bis die Eltern ihre Kinder abholen, entschloss sich die Kindergartenleitung, eine Strafzahlung (in sozial verträglicher Höhe) für verspätetes Abholen einzuführen.

Die Überlegung dahinter war einfach: Wenn es teuer wird, die eigenen Kinder zu spät abzuholen, dann würden die Eltern rechtzeitig kommen. Gneezy und Rustichini erhielten Zugang zu den Daten über die Pünktlichkeit der Eltern vor und nach der Einführung der Strafzahlung – und siehe da, die Effekte der Strafzahlung waren ganz andere als erwartet. Sobald Eltern für das zu späte Abholen ihrer Kinder zahlen mussten, kamen sie noch häufiger zu spät, und die Dauer der Verspätung nahm darüber hinaus auch noch zu. Als Reaktion darauf wurde die Strafzahlung wieder abgeschafft. Aber da hatten sich viele Eltern schon daran gewöhnt, ihre Kinder später abzuholen, sodass sich aus Sicht des Kindergartens keine Besserung mehr einstellte.

Mehr Geld, mehr Fehltage

Die Verantwortlichen einer deutschen Handelskette hätten die Studie von Gneezy und Rustichini besser lesen sollen, bevor sie durch monetäre Anreize versuchten, die Häufigkeit von Absenzen bei ihren Lehrlingen zu reduzieren. Viele Unternehmen kennen das Problem, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer wieder (nicht urlaubsbedingt) fehlen. Ob dann aber jemand "krank feiert" oder wirklich nicht arbeitsfähig ist, lässt sich nur schwer überprüfen.

Da die betreffende Handelskette mit den Fehlzeiten ihrer Lehrlinge unzufrieden war, führte sie ein Anreizsystem ein, um diese Fehlzeiten zu vermeiden. Für jeden Monat ohne Fehltage (abgesehen von Urlaubstagen) erhielten Lehrlinge einen Bonuspunkt. Das Anreizsystem wurde für ein Jahr eingeführt, und am Ende wurden die Bonuspunkte bei einer Gruppe von Lehrlingen in Bonuszahlungen von bis zu 240 Euro umgewandelt und bei einer anderen Gruppe in maximal vier zusätzliche Urlaubstage. Dirk Sliwka von der Universität zu Köln konnte gemeinsam mit Koautoren die Folgen dieses Anreizsystems evaluieren. Dabei zeigte sich, dass die Bonuszahlungen für weniger Fehlzeiten zu mehr Fehlzeiten führten, und zwar um fast fünf Arbeitstage mehr pro Jahr. Die zusätzlichen Urlaubstage für weniger Absenzen hatten keine Auswirkungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, jedoch waren sie für die Handelskette trotzdem kostspielig, weil sie mehr Urlaubstage bezahlte.

Aber warum?

Sliwka und sein Team wollten dann besser verstehen, warum die Bonuszahlungen zu mehr Fehlzeiten führten. Anhand von aufwendig zusammengestellten Fragebogen konnten sie feststellen, dass die Bonuszahlungen die Arbeitsmoral veränderten. Während es vor der Einführung der Bonuszahlungen als soziale Norm galt, regelmäßig zur Arbeit zu erscheinen, haben die Bonuszahlungen diese Norm aufgeweicht.

Jetzt galt es bei den Lehrlingen plötzlich als legitim, auch einmal nicht zur Arbeit zu erscheinen, denn schließlich würde man damit ja nur auf einen Teil der Bonuszahlungen verzichten. Sinngemäß tauschten einige Lehrlinge also ihre Bonuszahlung gegen einen Tag blaumachen. Die an sich gutgemeinte Einführung eines Anreizsystems hatte also einen negativen Effekt auf die Arbeitsmoral. Dass solche Anreizsysteme in Form von Bonuszahlungen unerwartete und unerwünschte Nebenwirkungen haben können, ist kein Einzelfall. (Matthias Sutter, 20.4.2022)