Der Hunger nach Öl und Gas hat das Niveau von vor der Pandemie erreicht. Die acht großen Konzerne wollen in den nächsten Jahren mehr als 200 Explorationsprojekte umsetzen. Das gefährdet das Pariser Klimaziel.

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Die Energieabhängigkeit von Europa, der Klimawandel, das Erreichen der Klimaziele, der Umstieg auf erneuerbare Energiequellen. Alles große Themen, die dringend angegangen werden müssen. Doch Taten hierzu fehlen oft.

Im Fokus dieser Debatte sind freilich auch die großen Öl- und Gaskonzerne, stehen sie doch für die fossilen Energiequellen, von denen man sich eigentlich losschlagen möchte. Ihr Wandel schreitet aber nicht schnell voran. Trotz einer Reihe neuer Netto-Null-Verpflichtungen über die vergangenen zwei Jahre erfüllen die Klimaversprechen der großen US-amerikanischen und europäischen Öl- und Gasunternehmen immer noch nicht das Mindestmaß, um mit dem Pariser Abkommen im Einklang zu sein.

Desillusionierende Ergebnisse

"Die Klimazusagen und -pläne der großen Öl- und Gasunternehmen scheinen darauf ausgelegt zu sein, zu desinformieren und abzulenken, statt die Klimakrise ernsthaft anzugehen", sagt David Tong, Hauptautor der aktuellen Studie "Big Oil Reality Check", die am Dienstag veröffentlicht wurde. Die Studie wurde von Oil Change International (OCI) aus den USA erstellt, die deutsche NGO Urgewald und mehr als 35 weitere Organisationen weltweit waren daran beteiligt.

"Unsere Studie zeigt, dass nicht einmal einer der acht untersuchten Konzerne auch nur annähernd dabei ist, sein Geschäft auf die Erfordernisse von 1,5 Grad auszurichten", sagt Tong. Analysiert wurden die jüngsten Klimazusagen von BP, Chevron, Eni, Equinor, Exxon Mobil, Repsol, Shell und Total Energies anhand von zehn Mindestkriterien für die Einhaltung der im Pariser Klimaabkommen festgelegten 1,5 Grad.

Die ernüchternde Conclusio: Statt Eindämmungsplänen liegen Expansionsvorhaben auf dem Tisch. Die Klimabedrohung, die von den kurzfristigen Expansionsplänen der acht Branchenriesen im Bereich der Öl- und Gasförderung ausgeht, steht laut der Studie klar im Widerspruch zu der Schlussfolgerung der Internationalen Energieagentur (IEA), dass für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels nach 2021 keine neuen Öl- und Gasvorkommen mehr erschlossen werden dürfen.

200 neue Projekte

Der Studie zufolge planen die großen Öl- und Gaskonzerne aber mehr als 200 Expansionsprojekte, die zwischen 2022 und 2025 genehmigt werden sollen und bei tatsächlicher Durchführung zusätzliche 8,6 Milliarden Tonnen Emissionen verursachen würden. Dies entspreche laut Urgewald den Emissionen von 77 neuen Kohlekraftwerken – über die Lebensdauer betrachtet. Eine erst in der Vorwoche veröffentlichte Studie ergab zudem: Allein die Verbrennung von Öl, Gas und Kohle aus bereits in Betrieb befindlichen Feldern und Minen wird das verbleibende CO2-Budget für 1,5 Grad bei weitem überschreiten.

Die nun veröffentlichte Studie von Oil Change International kommt auch zu dem Schluss, dass die wenigen Öl- und Gasunternehmen, die einen Rückgang der Gesamtproduktion bis 2030 prognostizieren, die Strategie zu verfolgen scheinen, ihre schmutzigen Anlagen zu verkaufen, damit andere Unternehmen sie weiter ausbeuten können, anstatt sie abzubauen und zu schließen. Die Klimazusagen und -pläne aller acht Unternehmen werden insgesamt als höchst unzureichend eingestuft, wobei dies am stärksten auf Chevron und Exxon Mobil zutrifft.

Nachfrage auf Vor-Pandemie-Niveau

"Die weltweite Ölnachfrage ist wieder auf das Niveau von vor der Pandemie gestiegen. Darüber hinaus sind die Ölpreise auf Rekordhöhe als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine, was den großen Öl- und Gasunternehmen Rekordgewinne beschert", sagt Nils Bartsch, Leiter des Bereichs Öl- und Gas-Research bei Urgewald. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigten jedoch, dass es dringend notwendig sei, die Expansion der Öl- und Gasindustrie zu beenden und einen raschen, kontrollierten Rückgang der fossilen Brennstoffe herbeizuführen.

Erst im März haben Mitarbeiter des im Jahr 2000 gegründeten Forschungsverbunds Tyndall Centre for Climate Change Research einen Bericht veröffentlicht, in dem sie zu dem Schluss kommen, dass die wohlhabendsten Nationen die Öl- und Gasförderung bis 2034 einstellen müssen, um eine 50-prozentige Chance zu wahren, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Der jüngste Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt, dass die weltweiten Emissionen fossiler Brennstoffe – an denen Öl und Gas den größten Anteil haben – sofort zurückgehen müssen, um die Chance zu wahren, die globale Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten.

Investoren und Regierungen müssen zusammenarbeiten

"Den Unternehmen, die am meisten zur Klimakrise beigetragen haben, kann man nicht zutrauen, dass sie ihr sinnvoll begegnen", sagt Tong. Die großen Öl- und Gasunternehmen werden ihren eigenen Niedergang nicht in den Griff bekommen. Investoren und Regierungen müssten sich engagieren und dabei helfen, aus dem instabilen "Boom-Bust-Zyklus" der fossilen Energiewirtschaft auszubrechen. (Bettina Pfluger, 25.5.2022)