Burgenlandeshauptmann Hans Peter Doskozil bringt Politeinfluss auf ORF-Gremien vor den Verfassungsgerichtshof.

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Der Verfassungsgerichtshof muss sich mit Politeinfluss im ORF beschäftigen. Und vor allem mit der Frage: Ist die politische Besetzung der ORF-Gremien mit jener Unabhängigkeit vereinbar, die ein Verfassungsgesetz und die Menschenrechtskonvention verlangen?

Am Dienstag beschloss die Regierung des Burgenlands den Prüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof (DER STANDARD berichtete am Wochenende von der seit Monaten vorbereiteten Beschwerde).

Der am Dienstag veröffentlichte Antrag auf Normenkontrolle erklärt sich wörtlich so: Die Bundesregierung habe "zu viel Einfluss auf die Bestellung der Aufsichts- und Kontrollorgane des ORF, die eigentlich völlig unabhängig sein sollten". Und das in mehreren Punkten:

  • "Erstens wird der überwiegende Teil sowohl der Mitglieder des Stiftungsrates als auch des Publikumsrates von der Regierung bzw. vom Bundeskanzler bestellt."
  • "Zweitens gibt es keine Regelungen, die Unabhängigkeit und Qualifikation der Mitglieder dieser bedeutenden Gremien sicherstellen."
  • "Drittens gibt es für diese Bestellungen weder ein öffentliches Auswahl- oder Besetzungsverfahren noch gibt es eine Möglichkeit, diese Besetzungen einer unabhängigen gerichtlichen oder behördlichen Kontrolle zu unterziehen."

Türkise Sideletter

All das führe dazu, "dass die Bestellung der genannten Organe des ORF von Parteipolitik dominiert wird". Die Anfang 2022 bekannt gewordenen Sideletter zu den Koalitionsabkommen von ÖVP und FPÖ 2017 und von ÖVP und Grünen 2020 sahen eine Aufteilung der ORF-Gremien zwischen den Regierungsparteien vor. Daraus folge: "Die verfassungsrechtlich gebotene Unabhängigkeit und Regierungsferne ist nicht gegeben."

"Wenn das wichtigste Organ des ORF, der Stiftungsrat, nach dem geltenden Gesetz mehrheitlich von der Regierung besetzt wird, ist die Unabhängigkeit des ORF nicht gewährleistet", ließ Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) zu der Initiative verlauten.

Der Besetzungsschlüssel des obersten ORF-Gremiums, bis 2001 hieß es Gremium ORF-Kuratorium, ist seit der ORF-Novelle 1984 unverändert, damals mit Mehrheit einer SPÖ-FPÖ-Regierung beschlossen. 2001 beließen ÖVP und FPÖ den Mandatsschlüssel im neuen ORF-Gesetz: Neun Mandate Bundesregierung, neun für die Länder, sechs für die Parteien im Nationalrat, fünf für den Betriebsrat und sechs für den ORF-Publikumsrat. Die damals erfundene Publikumswahl von sechs Publikumsräten (per Fax) strichen SPÖ und ÖVP 2014 mitsamt den direkt zu wählenden sechs Mandaten – womit der Kanzler oder der Medienminister seither allein die Mehrheit im Publikumsrat bestimmt.

Doskozil wünschte sich 2021 den langjährigen Chefredakteur im ORF-Landesstudio, Walter Schneeberger, vor dessen Pension als ORF-Landesdirektor; der ÖVP-dominierte Stiftungsrat verlängerte auf Vorschlag des neuen ORF-Generals Roland Weißmann aber Werner Heric als Landesdirektor.

Gegen Stiftungsrat und Publikumsrat

Der Antrag an den Verfassungsgerichtshof richtet sich gegen die gesamte Besetzungsliste des Stiftungsrats. 2003 wies der Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde der Wiener Landesregierung gegen das ORF-Gesetz von ÖVP und FPÖ zurück, das nur die Mandate angriff, die Bundesregierung, Länder, Parteien und Publikumsrat besetzen. Wenn man nur diese Bestimmungen aufhebe, dann würde der ORF-Stiftungsrat alleine aus fünf Betriebsratsvertretern bestehen, argumentierte der Verfassungsgerichtshof 2003.

Das Burgenland wendet sich zudem gegen Regelungen über Funktionsdauer und Abberufung von Stiftungsräten sowie Ausschüsse im Gremium. Weitere Angriffspunkte: Der ORF-Publikumsrat, seine Besetzung und insbesondere die Entscheidung des Bundeskanzlers oder der Medienministerin über die Mehrheit in dem Gremium sowie das Recht des Publikumsrats, sechs Mitglieder in den Stiftungsrat zu entsenden. Dass der Bundeskanzler mit 17 von 30 Mandaten die Mehrheit im Publikumsrat bestimme, sei "verfassungsrechtlich bedenklich", heißt es in dem Antrag.

Armin Wolf und der VfGH-Präsident

ORF-Anchor Armin Wolf hat im Frühjahr in einem Blogeintrag auf die Möglichkeit verwiesen, ein Bundesland könnte die Verfassungsmäßigkeit der ORF-Gremien vom Höchstgericht prüfen lassen, ebenso ein Drittel der Abgeordneten zum Nationalrat.

Der Antrag des Burgenlands auf Normenprüfung verweist rasch und prominent auf einen Fachkommentar des heutigen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, Christoph Grabenwarter, aus 2018 über die Verpflichtung zur Unabhängigkeit der Gremien – auf den sich auch Wolf in seinem Blog bezog. "Diese Pflicht beinhaltet auch die Sicherstellung, dass weder der Staat noch eine andere politische oder anderweitige Gruppe durch deren Repräsentation in beispielsweise den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen zu großen Einfluss auf den Rundfunkveranstalter ausüben kann".

"Offenkundig verfassungswidrig"

Wolf schloss aus Grabenwarters Aussage – "Herrscht in den Organen eine zu große Mehrheit von Vertretern der Regierungspartei(en), wird Artikel 10 EMRK verletzt." – sehr bestimmt: Der Stiftungsrat sei "offenkundig verfassungswidrig" zusammengesetzt, weil die Menschenrechtskonvention in Österreich ja im Verfassungsrang steht.

Grabenwarter bezog sich in dem Fachbeitrag auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über Moldawien und seinen Rundfunk und sagte später in einem Interview mit Ö1, Moldawien und ORF seien "nicht 1:1" vergleichbar. Mit Verweis auf mögliche Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof wollte er sich inhaltlich aber nicht weiter dazu äußern.

Der Antrag des Burgenlands verweist auf eine Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts aus 2014, wonach höchstens ein Drittel der Mitglieder deutscher öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten staatlich oder staatsnah besetzt werden dürften. In Deutschland leiten Höchstgerichte aus dem Staatsgrundgesetz ausdrücklich das Gebot der Staatsferne ab. Dabei gebe es "frappante" Ähnlichkeiten der ORF-Gremien und des Politeinflusses dort mit den ZDF-Gremien, die das deutsche Höchstgericht aufgehoben hat.

"Jedenfalls unvereinbar mit der Unabhängigkeit"

Der Antrag räumt ein: "Zwar hat der (österreichische) VfGH in seiner bisherigen Rechtsprechung weder die Staatsferne noch die – weiter gehende – Staatsfreiheit als Erfordernis an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk festgelegt. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gebotenen Unabhängigkeit der Organe besteht jedoch nach Ansicht der Burgenländischen Landesregierung ein reduziertes Gebot der Staatsferne auch für den Rundfunk iSd BVG-Rundfunk." Im Antrag heißt es dazu weiter: "Jedenfalls unvereinbar mit dem Gebot der Unabhängigkeit der Organe iSd BVG-Rundfunk ist hingegen eine Dominanz der Regierung in den Aufsichts- und Kontrollgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks."

"Untrügliches Indiz"

Als Indiz für Politeinfluss verweist der Antrag des Burgenlands auch auf Fraktionen im Stiftungsrat, sogenannte "Freundeskreise": "Diese (partei-)politischen Zusammenschlüsse von Stiftungsräten sind Indiz dafür, dass die Willensbildung im Stiftungsrat keineswegs unabhängig sondern von parteipolitischen Überlegungen und parteipolitischer Koordination geleitet ist."

Die Sideletter über Besetzungen im ORF und seinen Gremien zwischen ÖVP und FPÖ und später ÖVP und Grünen – die eigentlich laut Gesetz dem unabhängigen Stiftungsrat vorbehalten seien – seien ein "untrügliches Indiz, dass die gegenwärtigen Regeln nicht geeignet sind, die vom Bundesverfassungsgesetz Rundfunk geforderte Unabhängigkeit zu gewährleisten", heißt es in dem Antrag der Burgenländischen Landesregierung.

Artikel 10 der Menschenrechtskonvention über freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit reiche es schon aus, "dass die Regeln der Bestellung keine ausreichenden Schutzmaßnahmen gegen politischen Überhang bieten", heißt es in dem Antrag: "Nur im Fall der (...) vom Zentralbetriebsrat (in den Stiftungsrat) zu bestellenden Personen ist gewährleistet, dass diese Personen nicht durch eine politische Partei bestellt werden."

Die 2001 von ÖVP und FPÖ eingeführte Politikerklausel reiche nicht als solche Schutzmaßnahme, findet der Antrag. Die Klausel verbietet politischen Funktionsträgern und Parteimitarbeiter bis zu vier Jahre nach ihrer politischen Tätigkeit, Mitglied des Stiftungsrats zu werden.

Turrini, Obonya, Ostrowski beschwerten sich ebenfalls

Gegen Politeinfluss im ORF richtet sich auch eine Publikumsbeschwerde, die etwa Peter Turrini, Cornelius Obonya, Michael Ostrowski, Heide Schmidt unterzeichneten und Barbara Frischmuth, Elfriede Jelinek, Michael Köhlmeier, Hubsi Kramar, Chris Lohner, Marlene Streeruwitz, Wolfgang Murnberger unterstützen. Der Presseclub Concordia und der für sie tätige Jurist Walter Strobl haben die Beschwerde ausgearbeitet und organisiert. Die Beschwerde richtet sich an die Medienbehörde KommAustria, sie zielt aber im weiteren Instanzenzug ebenfalls auf eine Entscheidung eines Höchstgerichts. (fid, 28.6.2022)