Ein nuklearer Schlagabtausch würde die Erde in Dunkelheit hüllen und die Temperaturen dramatisch sinken lassen.

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Seit 2019 zeigt das Ziffernblatt der Weltuntergangsuhr 100 Sekunden vor zwölf, so nahe am nuklearen Abgrund waren wir nie zuvor in der 73-jährigen Geschichte der Doomsday Clock – das war freilich, bevor Russland die Ukraine angegriffen hat. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass die Zeiger beim nächsten Mal ein paar Striche weiter springen. Namhafte Forschungsinstitute wie das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) warnen eindringlich vor dem raschen Anwachsen der Atomwaffenarsenale und seinen Konsequenzen.

Neun Atommächte

Fünf Staaten sind heute offiziell und vom Atomwaffensperrvertrag (NPT) anerkannt im Besitz von Atomwaffen: USA, Russland, Frankreich, China, Großbritannien. Außerdem verfügen auch Israel, Pakistan, Indien und Nordkorea über solche Waffen, doch sie sind keine Mitgliedsstaaten des NPT. Zusammen kommen diese neun Länder nach Schätzungen der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen auf über etwa 13.400 Sprengköpfe. Rund 4.000 davon sollen einsatzbereit sein, und 1.800 befinden sich in ständiger Alarmbereitschaft und könnten Ziele binnen Minuten erreichen.

Was der Einsatz von Atomwaffen anrichtet, wurde in Hiroshima und Nagasaki drastisch vor Augen geführt. Ein nuklearer Krieg, und sei er auf ein noch so kleines Gebiet beschränkt, würde die menschliche Zivilisation heute zwangsläufig für sehr lange Zeit weit zurückwerfen. Welche Folgen ein atomarer Schlagabtausch für das Weltklima und die Ozeane hätte, hat ein Team von der Louisiana State University nun näher untersucht. Die Kurzfassung: Es wäre der Anbruch einer buchstäblich dunklen, kalten Ära.

Ruß und Rauch in der oberen Atmosphäre

Hauptautorin Cheryl Harrison und ihre Gruppe spielten für ihre im Fachjournal "AGU Advances" veröffentlichte Studie unterschiedliche Atomkriegsszenarien durch – und alle endeten mit einer schwarzen Decke aus Ruß und Rauch in der oberen Atmosphäre, die die Sonne verhüllt. Im ersten Monat nach dem nuklearen Feuersturm würden die globalen Durchschnittstemperaturen um etwa 13 Grad Celsius sinken – eine dramatischere Temperaturveränderung als zu Beginn der letzten Eiszeit. "Es spielt dabei keine Rolle, wer wen bombardiert. Das können Indien und Pakistan oder die Nato und Russland sein. Sobald der Rauch in der oberen Atmosphäre gelangt, breitet er sich über den ganzen Globus aus und betrifft damit alle", sagte Harrison.

Konkret simulierten die Forschenden, was mit den Erdsystemen passieren würde, wenn die USA und Russland 4.400 100-Kilotonnen-Atomwaffen auf Städte und Industriegebiete werfen würden. In einem solchen Szenario verfrachten die Detonationen, besonders aber die nachfolgenden Brände 150 Millionen Tonnen Rauch und Ruß in die obere Atmosphäre.

In einer weiteren Modellvariante ging das Team von einem nuklearen Konflikt zwischen Indien und Pakistan aus, bei dem 500 100-Kilotonnen-Atomsprengköpfe gezündet werden. Auch hier landen immer noch mindestens 50 Millionen Tonnen Qualm und Ruß in der Atmosphäre. Zum Vergleich: Die Atombombe "Little Boy", die Hiroschima zerstörte, hatte eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen TNT, Die Sprengkraft von "Fat Man", der Bombe, die die USA über Nagasaki abgeworfen haben, betrug 21 Kilotonnen.

Vereiste Häfen

Wenn die Lufttemperaturen sinken, werden auch die Ozeane kälter. Selbst Jahre nachdem sich der Rauch wieder verzogen hat, bleiben die Meere deutlich kühler als heute. Der globale Temperatursturz lässt das Meereis um mehr als 15 Millionen Quadratkilometer anwachsen, was einige wichtige Häfen vollkommen blockieren würde, darunter den Hafen von Tianjin in Peking, Kopenhagen und St. Petersburg. Ganz generell dürfte die Schifffahrt in der nördlichen Hemisphäre in weiten Teilen zum Stillstand kommen, was es wiederum sehr schwer macht, Lebensmittel und Versorgungsgüter an ihre Ziele zu transportieren.

Auch auf die Meeresbiologie würde sich der nukleare Winter unweigerlich auswirken. Dem Lichtmangel und dem Temperaturrückgang würden zuallererst die Meeresalgen zum Opfer fallen, sie sind das Fundament der marinen Nahrungsnetze – eine ozeanische Hungersnot und damit der Zusammenbruch der globalen Fischereiindustrien wären unausweichlich.

Folgen für Jahrtausende

Ehe sich die Erde vom Schlimmsten einigermaßen erholt hätte, dürften Jahrzehnte vergehen. Vor allem die Ozeane würden lange an den Veränderungen laborieren. Im angenommenen US-russischen Kriegsszenario dürften wohl Jahrhunderte ins Land ziehen, bevor tiefere Schichten der Ozeane in einen Zustand wie vor dem Atomkrieg zurückkehren. Bis die nuklearen Eiszeit zu Ende geht würde und das arktische Meereis sich wieder zurückgezogen hätte, dauerte es wahrscheinlich sogar Tausende von Jahren.

Die Ergebnisse ihrer Studie würden einmal mehr hervorstreichen, wie eng die globalen Erdsysteme heute miteinander vernetzt sind und wie empfindlich sie auf Störungen durch große Katastrophen wie Vulkanausbrüche, großflächige Waldbrände oder Kriege reagieren, so die Forschenden. "Der aktuelle Krieg in der Ukraine mit Russland und seine Auswirkungen etwa auf die Gaspreise zeigen uns eindringlich, wie anfällig unsere Weltwirtschaft und unsere Lieferketten gegenüber scheinbar regionalen Konflikten sind", sagt Harrison.

"Ein Atomkrieg hat schlimme Folgen für alle. Die Staats- und Regierungschefs der Welt haben bereits in den 1980er-Jahren auf unsere Studien verwiesen, um das nukleare Wettrüsten zu beenden," sagt Co-Autor Alan Robock von der Rutgers University. "Wir hoffen, dass diese neue Studie mehr Nationen dazu ermutigen wird, den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen zu ratifizieren." (tberg, 9.7.2022)