Bei der Behandlung werden bestimmte Lipide und Entzündungsproteine aus dem Blut entfernt, welches dann gereinigt wieder in den Körper der Patienten zurückgeführt wird. (Symbolfoto)

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Atemnot, Fatigue, chronische Erschöpfung, Herzrasen: Es sind nur ein paar der zahlreichen Symptome, die mit einer Long-Covid-Erkrankung einhergehen. Bisher ist für die Wissenschaft nicht klar, was die zahlreichen Beschwerden verursacht, die bei geschätzt einem Zehntel nach einer Corona-Infektion auftreten. Behandlungen für Betroffene sind so vielfältig wie ihre Krankheitsbilder. Doch eine etablierte Therapie für Long Covid gibt es derzeit nicht. In Kliniken werden zur Bekämpfung von Symptomen unter anderem Ergotherapie, Physiotherapie und Verhaltenstherapie eingesetzt.

Viele Erkrankte sind damit unzufrieden und versuchen ihr Glück mit experimentellen Therapiemöglichkeiten. Eine davon ist Apherese, umgangssprachlich auch Blutwäsche genannt. Dabei wird das Blut in einem mehrstufigen und kostspieligen Verfahren durch eine Maschine gefiltert, sozusagen gereinigt. Doch über die Wirksamkeit der Therapie herrscht kein wissenschaftlicher Konsens.

Asad Khan, selbst Arzt, nahm die Behandlung dennoch auf sich. "Ich wäre nicht mehr am Leben, wenn ich meine Behandlung den Long-Covid-Kliniken überlassen hätte. Ich hätte nicht länger warten können", schreibt Khan in einem Kommentar im British Medical Journal (BMJ). Khan berichtet in einem Interview mit der BBC von schweren Symptomen nach einer Corona-Erkrankung im Jahr 2020, darunter unerträgliche Hautausschläge, Gedächtnisverlust, Entzündungen am Herzmuskel, Blaseninkontinenz und so starker Schwindel und Übelkeit, dass er nicht sitzen oder stehen konnte. Zudem habe Khan stark abgenommen und nur in einem abgedunkelten Raum mit Augenbinde und Ohrstöpseln ausharren können. "Es war mir ehrlich gesagt egal, ob ich nach dem Einschlafen nie mehr aufwachen würde", sagt Khan im Interview.

Filterung des Bluts

Ihm hätten einige behandelnde Ärztinnen und Ärzte gesagt, dass seine Probleme psychischer Natur seien. Andere meinten, dass seine Symptome mit der Zeit vergehen würden oder dass man ohne wissenschaftliche Erkenntnisse zur Behandlung von Long Covid nichts für ihn tun könne. Unzufrieden mit seinen Möglichkeiten vor Ort nahm Khan die Reise von England nach Deutschland auf sich.

Das BMJ hatte im Juli einen Bericht zur umstrittenen Therapiemöglichkeit der H.E.L.P.-Apherese (Heparin-induzierte extrakorporale LDL-Präzipitation) veröffentlicht. Diese wird in Europa derzeit nur in wenigen Kliniken in der Schweiz, Deutschland und Zypern bei Long Covid angewandt. Khan entschied sich für die Internistin Beate Jaeger, deren Praxis in Mühlheim an der Ruhr in Deutschland liegt. Dem BMJ zufolge kosteten ihn dort 21 Sitzungen und weitere Interventionen fast 40.000 Pfund (etwa 47.000 Euro). Khan sagt, die Behandlungen hätten ihm geholfen.

Dabei wurde ihm Blut abgenommen und dieses dann in einer Maschine gereinigt, ähnlich wie bei einer Dialyse. Bei dieser speziellen Form der Apherese wird das Blut in Plasma und Blutzellen getrennt. Dann werden aus dem Plasma bestimmte Lipide und Entzündungsproteine entfernt, wie es auf Jaegers Website heißt. Das wieder zusammengeführte, "gereinigte" Blut wird daraufhin in die Patientinnen und Patienten zurückgeführt. Mit einer großen Nadel gelangt das Blut aus der Vene eines Arms in die Maschine und wird gefiltert in die Vene des anderen Arms zurückgeführt. Der Prozess dauert Stunden. Jaeger behauptet auf ihrer Website, dass die Entfernung von Gerinnungs- und Entzündungsparametern die Organdurchblutung verbessere und den Sauerstoffaustausch erleichtere. Laut BMJ hat Jaeger im Jahr 2020 erfahren, dass Long Covid Probleme mit Mikrogerinnseln verursacht. Sie gehe seitdem davon aus, dass diese den zahlreichen Symptomen der Krankheit zugrunde lägen.

Mangelnde Forschung

Die H.E.L.P.-Apherese wird in Deutschland offiziell nicht für Long Covid, sondern unter anderem für Personen mit hohen Fettwerten im Blut indiziert. Zusätzlich zur H.E.L.P.-Apherese bietet Jaeger Long-Covid-Patienten auch Plasmapherese an, die Autoantikörper aus dem Blut filtern soll, und sie verabreicht gerinnungshemmende Medikamente. Die Internistin ist eigenen Angaben zufolge für eine Kontrollstudie zu ihren Methoden, sie könne diese aber nicht finanzieren. Um zu testen, ob die Therapiemöglichkeit wirksam ist, hatte Jaeger eigenen Angaben nach etwa 60 Personen auf eigene Kosten mittels H.E.L.P.-Apherese behandelt. Die Ergebnisse hätten gezeigt, dass diese "extrem erfolgreich" sei, wird Jaeger im BMJ zitiert. Daraufhin fing sie an, Apherese auf Selbstzahlerbasis anzubieten. Mittlerweile habe sie bereits tausende Patienten behandelt und positive Ergebnisse erzielt.

Doch der experimentellen Behandlung stehen manche Fachpersonen skeptisch gegenüber. Robert Ariens, Professor für Gefäßbiologie an der Leeds School of Medicine, sagt im Bericht des BMJ, dass Mikrogerinnsel Biomarker für die Krankheit sein könnten, aber nicht zwangsläufig für die Symptome verantwortlich sind. Er empfinde die experimentelle Behandlung von Patienten mit Long Covid als übereilt. Auch die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGN), die in Deutschland die Richtlinien für Apheresebehandlungen festlegt, steht der H.E.L.P.-Apherese bei Long Covid kritisch gegenüber. In einer Stellungnahme der DGN heißt es, dass keine plausiblen Gründe für die Wirksamkeit der Therapie bei Long Covid vorliegen. Positiver äußert sich die DGN zur Plasmapherese, um Antikörper aus dem Blut zu entfernen, die Jaeger auch durchführt. Allerdings will die Gesellschaft vor einer Empfehlung Kontrollstudien abwarten.

Risiko durch Blutungen

Auch der Leiter der Abteilung für Nephrologie am Allgemeinen Krankenhaus (AKH) in Wien, Rainer Oberbauer, sieht von Apherese bei Long Covid ab. "Die Mehrzahl meiner Kolleginnen und Kollegen ist der Meinung, dass es einer besseren Datenlage durch Studien bedarf", sagt Oberbauer zum STANDARD. Er schließt eine Besserung der Symptome durch den natürlichen Verlauf der Krankheit nicht aus. In Österreich sind keine Kliniken bekannt, die Apherese bei Long-Covid-Patienten anwenden. "Wir bieten das am AKH Wien nicht an, da unserer Meinung nach zu geringe Evidenz eines Nutzens bei einer nicht risikolosen, extrakorporalen Therapie besteht", sagt Oberbauer.

Tatsächlich besteht das Risiko von Blutungen bei gerinnungshemmenden Medikamenten. Diese können von blauen Flecken und Nasenbluten bis hin zu Hirnblutungen reichen. Jaeger betont, ihre Patientinnen und Patienten für mögliche Blutungen zu sensibilisieren und sich bestenfalls mit ihren Hausärztinnen und -ärzten abzusprechen.

Teure Behandlung ohne Wirkung

Doch selbst wenn die Behandlung keine gesundheitlichen Schäden mit sich bringt, können finanzielle Schäden bei ausbleibendem Erfolg drastisch sein. Durch positive Erfahrungsberichte in sozialen Netzwerken erfahren Erkrankte aus ganz Europa von der H.E.L.P.-Apherese und nehmen weite, teure Reisen in Kauf. Laut BMJ bietet auch das "Long Covid Center" auf Zypern Blutwäsche an. Dieses suchte Gitte Boumeester, eine angehende Psychiaterin aus den Niederlanden, auf, nachdem sie in einer Facebook-Gruppe für Long-Covid-Betroffene erstmals von Apherese hörte. Nach zwei Monaten Behandlung für mehr als 11.000 Euro kehrte Boumeester in die Niederlande zurück. Ihre Symptome blieben dem Bericht zufolge unverändert.

Chantal Britt von der Patientenorganisation "Long Covid Schweiz" sagt, einige Erkrankte zu kennen, die ihre Apheresetherapie abbrechen mussten, weil sie diese als zu belastend empfunden hätten. Andere wiederum würden sich nach der Behandlung besser fühlen. "Soweit wir erfahren haben, wurde noch niemand durch die H.E.L.P.-Apherese geheilt, aber eine Mehrheit der Patientinnen und Patienten erfährt eine Linderung ihrer Symptome", sagt Britt dem STANDARD. Dies sei für die Vorsitzende der Patientenorganisation genug, um die Behandlung zu rechtfertigen. Sie begrüßt den Umstand, dass seit kurzem auch in der Schweiz H.E.L.P.-Apherese gegen Long Covid angeboten wird.

Nicht genesen und nicht behandelt

Die Bezeichnung der Apherese als "alternative Behandlung" nennt Britt "zynisch". "Es gibt im Moment keine evidenzbasierte Behandlung von Long Covid, weder offiziell noch alternativ", sagt sie. Mangels Alternativen würden experimentelle Behandlungen in den Foren von "Long Covid Schweiz" täglich diskutiert. Dennoch könnten sich die meisten Betroffenen, die sich an die Patientenorganisation wenden, Apheresebehandlungen nicht leisten, sagt Britt.

Die Verzweiflung der Menschen kann sie nachvollziehen. Sie seien seit zweieinhalb Jahren nicht genesen und nicht behandelt. Obwohl Britt anderer Meinung ist als die Gesellschaft für Nephrologie oder der Nephrologe am AKH, Rainer Oberbauer, plädiert auch sie für eine Kontrollstudie. Die Vorsitzende der Schweizer Patientenorganisation betont, dass es für die Gesellschaft wichtig sei zu wissen, ob experimentelle Behandlungen wie Apherese wirken oder nicht – gerade weil diese bereits angewendet werden. (Isadora Wallnöfer, 27.8.2022)