Die Urologen der Klinik Favoriten schlagen Alarm: zu viele Patienten, zu wenig Personal.

Foto: APA / Georg Hochmuth

Die Gefährdungsanzeige der Ärzte der Urologie der Klinik Favoriten zeigt, wie sehr am Limit dort seit Monaten gearbeitet werden muss. Ärzte und Patienten sind vom Zustand genervt. Isabella M. etwa. Sie sitzt in der Urologie-Ambulanz der Klinik Favoriten und wartet. Oft dauert es drei Stunden, bis sie aufgerufen wird. Auch wenn sie für einen fixen Termin bestellt wurde.

Vergangenen Oktober wurden bei Frau M. Nierensteine diagnostiziert. Es dauert bis Februar, bis sie einen Termin für die Operation bekommt. Auf die Folge-OP musste Frau M. wieder einen Monat warten. Dazwischen sorgen Nierenkatheter und Harnleiterschiene dafür, dass die Patientin, die ambulant weiterbetreut wird, keine Schmerzen hat.

Hin und her

Bei einem ihrer Ambulanztermine zur Nachbetreuung wird Frau M. gebeten, in die Klinik Ottakring zu wechseln, wo man auf die Behandlung von Steinen spezialisiert sei. Denn Frau M. hat noch immer Steine, die behandelt werden müssen. In Ottakring sitzt Frau M. einige Wochen später und wird weggeschickt. Für heuer seien die OP-Kapazitäten erschöpft. Frau M. wird wieder nach Favoriten geschickt.

Dort schütteln die Ärzte oft nur noch den Kopf. DER STANDARD findet Personen, die ihr Schweigen brechen, aber ungenannt bleiben wollen. Sie berichten von unfassbaren Zuständen. Von Versorgungsengpässen vor allem im OP-Bereich und davon, dass das neue System die Ambulanzen (speziell jene der Urologie) überfüllt. "Wir können die Patienten oft nur akut behandeln", sagt ein Arzt. Komme ein Patient mit einer Kolik, gebe man Schmerzmittel, lege eine Schiene, damit Steine schmerzfrei abgehen können – auf die nötige Operation müssten die Patienten oft Monate warten.

Neue Kompetenzzentren

Schuld daran, so sagt man zum STANDARD, sei die Neuausrichtung der Spitäler. Vor allem in der Urologie hätte es zu viele Einrichtungen gegeben. Die Bildung von Kompetenzzentren – also etwa Ottakring für Steinbehandlung, Favoriten für andere urologische Probleme – sei eine richtige Entscheidung gewesen, heißt es von Medizinern. Aber die Umsetzung der im Vorjahr gestarteten Transformation sei mehr als mangelhaft erfolgt.

Die Urologie in der Rudolfstiftung wurde aufgelöst, "weil der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV, der nun Wiener Gesundheitsverbund heißt, Anm.) das so wollte", sagt ein Arzt. Damit habe beispielsweise die Klinik Favoriten zwar Fachärzte von der Rudolfstiftung bekommen – aber dazu keine Anästhesisten, Pflegefachpersonal oder OP-Kapazitäten. Ohne all das könne man aber nicht im Sinne der Patienten arbeiten. Mitten in dieser Transformation kam die Pandemie, und mit dem einsetzenden Chaos sei "über die Personalvertretungen hinweg entschieden worden", wird gesagt.

All das hat dazu geführt, dass die Belegschaft der Urologie der Klinik Favoriten im Juli eine Gefährdungsanzeige eingebracht hat, über die die "Kronen Zeitung" nun berichtete. Darin sprechen die Ärzte die Versorgungsnotlage an, vor allem bei Stein- und Tumorpatienten. "Die Zustände sind nicht mehr tragbar", heißt es.

Auf Gefährdungsanzeigen werde "selbstverständlich reagiert", und es würden "Maßnahmen gesetzt", sagt ein Sprecher des Wiener Gesundheitsverbunds zum STANDARD, der auch versucht zu kalmieren. Eine Gefährdungsanzeige sei ein übliches Instrument, wenn es zu vorübergehenden Engpässen komme. Es stünde jeder Abteilung eines Spitals zu, diese einzubringen.

Maßnahmen gesetzt

Es handle sich in aller Regel "um temporäre und nicht um dauerhafte Situationen", so der Sprecher, der auf die zuletzt vielen Krankenstände durch Omikron und auf die Urlaubszeit verweist. Im aktuellen Fall habe es bereits Gespräche mit der ärztlichen Direktion gegeben, die OP-Kapazitäten seien um einen zusätzlichen OP-Tag pro Woche erhöht und die Kooperation mit der Klinik Ottakring intensiviert worden. Ob dieses Versprechen in der Praxis hält, wird Frau M. herausfinden. Bei ihrem letzten Ambulanzbesuch in Favoriten wurde ihr erklärt, man sei für sie nicht mehr zuständig. Steinzentrum sei jetzt eben Ottakring. Das Gefühl, dass niemand sie als Patientin haben will, sorgt bei Frau M. für Unwohlsein. Schließlich geht es in der Medizin auch um Vertrauen.

Die Opposition in Wien schäumt ob der Gefährdungsanzeige. Diese zeige, "dass die Gesundheitspolitik der Wiener SPÖ lebensgefährdend ist", hält der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp fest. "Derartige Zustände sind untragbar", sagt auch ÖVP-Gesundheitssprecherin Ingrid Korosec. Die aufgezeigten Missstände in Kliniken des Wiener Gesundheitsverbundes müssten so schnell wie möglich behoben werden.

"In die Neustrukturierung der Urologie waren die Fachabteilungen involviert", sagt der Sprecher des Wiener Gesundheitsverbunds. Nun müssten sich Abläufe neu finden und die Teams sich eben einarbeiten. (Bettina Pfluger, 21.8.2022)