Süß, aber verheerend: Auf 200 Millionen Tiere wird die Kaninchenpopulation in Australien heute geschätzt. Die erfolgreichen Einwanderer sind ein enormes ökologisches Problem.
Foto: imago images/Ardea

Australien beherbergt eine einzigartige Tierwelt. Lange isoliert vom Rest der Welt, entwickelten sich auf dem fünften Kontinent zahlreiche endemische Arten, die sonst nirgends vorkommen. In den vergangenen Jahrhunderten tauchten allerdings immer mehr eingeschleppte Spezies auf, die teilweise für enorme ökologische Probleme sorgten: Die rasante Ausbreitung von Katzen, Füchsen oder der Aga-Kröte drängte viele heimische Arten an den Rand des Aussterbens. Auf eine besonders katastrophale Bilanz kann ein langohriger Einwanderer aus Europa zurückblicken: das Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus).

Im 18. Jahrhundert wurden die ersten Kaninchen von Kolonisten nach Australien gebracht – und vermehrten sich in diesem neuen Lebensraum im wahrsten Sinne des Wortes wie die Karnickel: Im Lauf des 19. Jahrhunderts eroberten die Tiere ein Gebiet, das etwa 13-mal so groß war wie ihr ursprünglicher europäischer Lebensraum, kein anderes eingeschlepptes Säugetier konnte sich je so schnell ausbreiten. Die Folgen sind, trotz mitunter brachialer Gegenmaßnahmen, bis heute dramatisch: Durch ihre schiere Zahl setzen die gefräßigen Vertreter der Hasenfamilie nicht nur der australischen Pflanzenwelt und Landwirtschaft massiv zu und zerstören durch ihre Bautätigkeit ganze Landstriche. Sie verdrängen auch heimische Säuger wie den Kaninchennasenbeutler (Macrotis lagotis).

Folgenreicher Weihnachtstag

Dass Kaninchen von europäischen Siedlern etliche Male nach Australien gebracht worden sind, ist gut dokumentiert. Wo aber die massenhafte Ausbreitung der Tiere begonnen hat, ob sie auf eine einzige oder mehrere Einfuhren zurückgeht und woher die "Pionierkaninchen" stammten, war lange unklar. Ein internationales Forschungsteam hat nun in historisch-genetischer Detektivarbeit aufgedeckt, wann und wo genau das australische Kaninchenproblem seinen Anfang nahm. Das Ergebnis, das diese Woche im Fachblatt "PNAS" veröffentlicht wurde, ist überraschend präzise: Der Beginn der hoppelnden Öko-Katastrophe lässt sich auf den 25. Dezember 1859 datieren.

An diesem Tag lief die Lightning im Hafen von Melbourne ein, an Bord befand sich eine folgenreiche Fracht: 24 Wildkaninchen für den wohlhabenden englischen Siedler Thomas Austin, der die Tiere zur Jagd auf seinem Anwesen nahe Geelong in Victoria ansiedelte.

Kängurus wundern sich schon lange nicht mehr über die Anwesenheit von Kaninchen.
Foto: imago images/Ardea

Wie schnell die Dinge dort ihren Lauf nahmen, war schon bald in Regionalzeitungen zu lesen: Die Zahl der "Austin rabbits" sei bereits auf mehrere tausend Tiere angewachsen, hieß es in einem Bericht von 1862. Drei Jahre später brüstete sich Austin damit, dass bei Jagden auf seinem Anwesen schon an die 20.000 Kaninchen erlegt worden seien. Aufhalten ließen sich die Tiere freilich durch Bejagung längst nicht mehr, wie das Team um Joel Alves von der University of Oxford nun nachgewiesen hat: Obwohl Austins 24 Tiere bei weitem nicht die ersten Kaninchen waren, die Australien erreichten, geht die beispiellose Kanincheninvasion auf sie zurück.

Englische Abstammung

Für ihre Studie untersuchte das Forschungsteam historische Aufzeichnungen und analysierte genetische Daten von 187 Kaninchen, die in Australien, Tasmanien und Neuseeland gesammelt worden waren. Untersucht wurde auch die DNA einiger Tiere aus Großbritannien und Frankreich, um der Ursprungspopulation auf die Spur zu kommen. Wie Alves und Kollegen berichten, gehen so gut wie alle australischen Kaninchen auf gemeinsame Vorfahren zurück, nur zwei lokale Populationen in der Nähe von Sydney stammen von anderen Tieren ab. Das genetische Epizentrum der unüberblickbaren australischen Kaninchenschar, die heute auf rund 200 Millionen Tiere geschätzt wird, konnten die Forschenden in Victoria verorten, in der Nähe von Austins Anwesen. Je weiter sich die Kaninchen entfernten, desto geringer wurde die genetische Vielfalt der Population.

Trotz rigoroser Maßnahmen bleiben die Langohren ein Problem.
Foto: imago images/FLPA/Neil Bowman

Zudem fanden sich Hinweise auf eine Abstammung der invasiven Population von Tieren aus dem Südwesten Englands, ein weiteres starkes Indiz: Dort, in der Grafschaft Somerset, hatte Austins Familie jene 24 Tiere gefangen, die schließlich nach Australien verschifft wurden. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass trotz der zahlreichen Einschleppungen in Australien eine einzige Einfuhr diese verheerende biologische Invasion ausgelöst hat, deren Auswirkungen noch heute zu spüren sind", sagte Alves.

Genetischer Vorteil, kritischer Zeitpunkt

Warum aber konnten sich die englischen Kaninchen so erfolgreich ausbreiten, dass weder rigorose Tötungsaktionen, ein Anfang des 20. Jahrhunderts errichteter 3.000 Kilometer langer Schutzzaun, noch die absichtliche Verbreitung der Kaninchenpest, einer für Haus- und Wildkaninchen meist tödlichen Virenkrankheit, das Problem eindämmen konnten?

Ein Kaninchenbau in Westaustralien.
Foto: imago images/Auscape \ UIG

Alves und Kollegen vermuten, dass Austins Kaninchen im Vergleich zu bereits früher eingeschleppten Tieren über einen genetischen Vorteil verfügten: Sie konnten sich schneller an das trockene und halbtrockene Klima anpassen. Dazu kommt, je nach Perspektive, Glück oder Pech: Sie kamen just zu einer Zeit, als große Areale des Outback in Weideland umgewandelt wurden und damit günstige Voraussetzungen für die Ausbreitung herrschten.

Die Ergebnisse seien auch mit Blick auf künftige biologische Invasionen, die die Artenvielfalt gefährden, wichtig, sagte Alves. "Wenn man sie verhindern will, muss man verstehen, wie sie funktionieren. Die Geschichte der australischen Kaninchen erinnert auch daran, dass die Handlungen einer einzigen Person oder einer kleinen Personengruppe verheerende Auswirkungen auf die Umwelt haben können." (David Rennert, 24.8.2022)