Die Dockarbeiter vom Hafen Felixstowe sind nicht die Einzigen im Ausstand, auch in etlichen anderen Branchen wird gestreikt.

Foto: Reuters / Toby Melville

In Großbritannien reißt die Kette von Streiks in unterschiedlichen Branchen nicht ab. Nach mehreren Warnstreiks bei der Eisenbahn gingen zu Wochenbeginn die Bediensteten des weitaus größten Containerhafens der Insel in den Ausstand. Gerichtsanwälte wollen ihre bisher tageweise begrenzte Arbeitsverweigerung von Anfang September ohne zeitliche Begrenzung ausweiten. Auch im öffentlichen Dienst ist vielerorts von Streiks die Rede. Der konservative Verkehrsminister Grant Shapps drohte damit, den Eisenbahnern das Angebot der Arbeitgeber aufzuzwingen. Die Favoritin auf Boris Johnsons Nachfolge im Amt des Premierministers, Außenministerin Liz Truss, spricht von einer Verschärfung der ohnehin harten Gewerkschaftsgesetzgebung.

Normalerweise bewältigt der Nordseehafen von Felixstowe (Grafschaft Suffolk) täglich rund 10.000 Container, 40 Prozent des mit den Stahlbehältern abgewickelten Handels der siebtgrößten Volkswirtschaft der Welt. Diese Woche dürfte das Volumen deutlich geringer ausfallen: Im Streit um Lohn und Arbeitsbedingungen mit dem Hafenbesitzer CK Hutchison verweigern 1900 Dockarbeiter die Arbeit. Das Angebot der Betreiberfirma liegt bei einer Lohnerhöhung um sieben Prozent sowie einem einmaligen Bonus von 500 Pfund, das entspricht 591 Euro; die Mitglieder der Gewerkschaft Unite verweisen auf die letztjährige Erhöhung von 1,8 Prozent und fordern eine größere Gehaltsanpassung. Demnächst dürften ihnen die Kollegen im Hafen von Liverpool in den Arbeitskampf folgen.

Teure Lebensmittel

Der nationalen Statistikbehörde ONS zufolge lag die Inflation zuletzt bei 10,1 Prozent, für Lebensmittel zahlen die Briten oft ein Fünftel mehr als vor Jahresfrist. In wenigen Tagen stehen zudem massive Preiserhöhungen von bis zu 40 Prozent bei Strom und Gas bevor. Am Montag erschreckte die Investmentbank Citi das Land mit einer Prognose von 18,6 Prozent Verteuerung im kommenden Jahr. Dementsprechend rüsten sich viele Gewerkschaften für harte Auseinandersetzungen. "Nach mehr als zehn Jahren Gehaltsstagnation spüren viele Millionen Menschen die dauernde Teuerung am eigenen Leib", begründet Frances O’Grady, Chefin des Dachverbandes TUC, die auf Krawall gebürstete Stimmung im Land.

Vergangene Woche haben erneut die Eisenbahner mit eintägigen Warnstreiks auf ihren Tarifkonflikt mit den privatisierten Unternehmen und der konservativen Regierung aufmerksam gemacht. Erst im Juni hatte das Land den größten Eisenbahnerstreik seit 30 Jahren erlebt; er brachte die Verkehrsinfrastruktur auf der Insel weitgehend zum Erliegen. Die Eisenbahnergewerkschaften RMT, TSSA und Aslef gelten als besonders schlagkräftig. In der Hauptstadt London gehören der RMT die meisten Fahrer von U-Bahn-Zügen an; im Rest des Landes vertritt sie vor allem Schaffner sowie Wartungs- und Reinigungspersonal.

Einstweilen liegen Angebot und Forderung weit auseinander: Die Manager der privatisierten, aber am Tropf der Regierung hängenden Betreiberfirmen haben zwei Prozent Gehaltserhöhung sowie bei Zustimmung zu Jobkürzungen ein weiteres Prozent angekündigt; RMT-Boss Mick Lynch will bei sieben bis acht Prozent abschließen und wehrt sich gegen die Streichung von Arbeitsplätzen.

Loch im Uni-Pensionsfonds

Wie die Bahnreisenden sind auch die Studierenden an den 145, teils hochangesehenen Universitäten des Landes seit Jahren an Streiks gewöhnt. Neben der zunehmenden Proletarisierung des Sektors durch kurzfristige Verträge und Hungerlöhne geht es dabei um die Beschneidung der zukünftigen Pensionen für rund 200.000 Beschäftigte. Damit soll ein angebliches Defizit im Uni-Pensionsfonds USS ausgeglichen werden. Dabei wies der Fonds im Wert von umgerechnet 91,1 Mrd. Euro zuletzt ein Plus von 2,1 Mrd. Euro auf. Erbittert sind viele Professorinnen und Dozenten zudem darüber, dass das Uni-Führungspersonal häufig hohe Boni einsteckt und in ziemlich luxuriösen Dienstwohnungen lebt.

Die zuständige Gewerkschaft UCU hat nun für kommenden Monat eine Urabstimmung angekündigt. Auch die mächtigen Lehrergewerkschaften sowie die für das Krankenhauspersonal zuständige Unite erwägen Arbeitskämpfe. Nach jahrelangen Einbußen im Realeinkommen, so die Argumentation, seien die jetzt vorgeschlagenen Lohnerhöhungen nicht annähernd genug. Schulen sind an gelegentliche Warnstreiks gewöhnt. Hingegen wäre ein zeitlich unbegrenzter Ausstand der Krankenschwestern im ohnehin aufs Äußerste strapazierten nationalen Gesundheitswesen NHS beispiellos und dürfte die Regierung vor eine schwere Bewährungsprobe stellen.

Zum Konflikt kommt es auch zwischen Regierung und jenen Gerichtsanwälten, die als Pflichtverteidiger in Strafprozessen agieren. Deren Gehälter sind seit zehn Jahren mehr und mehr geschrumpft, Job-Anfänger verdienen nach Jus-Studium und Ausbildung kaum mehr als den Mindestlohn. Wenn der für Anfang September angekündigte Streik tatsächlich steige, werde die Situation an den Krongerichten "sehr, sehr schlimm" werden, glaubt die englische Opferbeauftragte Vera Baird. (Sebastian Borger aus London, 23.8.2022)