Um eine unscheinbare Haustür in Wien-Ottakring ranken sich viele Geschichten. Sie handeln von einer Moschee extremer Salafisten und deren Anhängern, aber auch von der Ohnmacht der Behörden, deren Umtriebe zu stoppen.

Nachdem der Jihadist K. F. am 2. November 2020 in Wien vier Menschen ermordet und zahlreiche andere verletzt hatte, herrschte in Ministerien, Verfassungsschutz und Polizei hektische Betriebsamkeit. Und es fiel ein Name, der schon in früheren Terrorermittlungen eine große Rolle gespielt hatte: jener der Melit-Ibrahim-Moschee. K. F. soll zu den Besuchern gezählt haben, ebenso wie andere Austrojihadisten vor ihm. Der damalige Innenminister Karl Nehammer und Kultusministerin Susanne Raab (beide ÖVP) nehmen den Anschlag in Wien zum Anlass, den hinter der Moschee stehenden Verein aufzulösen.

"Je sektenhafter und abgeschlossener, desto legaler"

Anderthalb Jahre später liegt dieses Vorhaben in Trümmern. Das Verwaltungsgericht hob schon im März den Bescheid auf, der die angebliche "Hinterhofmoschee" verbieten sollte, wie Recherchen des STANDARD zeigen. Und dieser Spruch könnte weitreichende Folgen haben, arbeitet er doch mit einer bemerkenswerten Logik, wie der Politologe und Islamexperte Thomas Schmidinger analysiert. Für ihn heißt das Urteil: "Je sektenhafter und abgeschlossener solche Vereine agieren, desto legaler ist es."

Woran liegt das? Das Verwaltungsgericht hat sich mit grundsätzlichen Fragen beschäftigt; nicht mit dem Inhalt der Predigten oder den Verbindungen zum Terroranschlag in Wien. Das liegt aber mehr am Auflösungsbescheid der Wiener Vereinspolizei, der sich erst gar nicht darauf bezogen hatte. Entscheidend war, ob der Verein seine Statuten überschritten und unrechtmäßig ein Gebetshaus betrieben hat. Und da habe der Verein nun "anschaulich" dargelegt, "dass tatsächlich ein umfassendes Vereinsleben stattfindet, welches auch das Gebet umfassen kann", heißt es in der Entscheidung, die dem STANDARD vorliegt.

Im Zuge eines "langjährigen Sicherheitsdialogs" sei auch der Zutritt zur Moschee verändert worden, wie ausgeführt wird. Diesen hätten zuletzt nur noch Vereinsmitglieder gehabt. Laut einem mutmaßlichen Kontaktmann des späteren Attentäters K. F. hatte man dafür einen Zugangscode gebraucht. "Es liegt somit dahingehend kein Gotteshaus vor, welches eine uneingeschränkte Religionsausübung im Sinne der islamischen Glaubenslehre zulässt", schlussfolgert das Gericht. Daher könne auch "keinesfalls" von einer öffentlich zugänglichen Moschee gesprochen werden. Was für Experten als Alarmsignal gilt, wird vom Verwaltungsgericht also zugunsten der "Moschee" ausgelegt.

Fakt ist, dass neben K. F. zahlreiche weitere spätere Terroristen die landläufig als "Ebu Mohamed" bekannte Moschee besucht haben: Da wäre gerüchteweise etwa Mohammed M., der Anschläge während der Fußball-EM 2008 in Österreich plante, später nach Syrien ausreiste und dort als IS-Kämpfer lebte und vermutlich auch starb. Oder Lorenz K., mehrfach verurteilter Terrorist, der Bombenanschläge vorhatte.

Blieb für Außenstehende stets unscheinbar: die ehemalige Melit-Ibrahim-Moschee in Wien-Ottakring.
Foto: Der Standard

"Was man der Leitung der Moschee vorwerfen muss, ist, dass sie keine Firewall zwischen sich und dem Terrorismus aufgebaut hat", sagt Schmidinger, der die Moschee für einen wissenschatlichen Bericht über Radikalisierung besucht hat. "Ob es Absicht war, dem IS Leute in die Arme zu treiben, oder zu einem bestimmten Grad Naivität, ist eine andere Frage, aber die Moschee hat nichts Nachvollziehbares getan, um sie zurückzuhalten." In der Melit-Ibrahim-Moschee beteten über lange Zeit Islamisten aus dem takfiristischen Milieu, die laut dem Islamwissenschafter Guido Steinberg selbst so ziemlich alle Muslime außerhalb ihrer Gruppe als "Ungläubige" ansehen und nach der Einschätzung Schmidingers den Jihadisten des IS weltanschaulich nahestehen.

Das spielte in jenem Verfahren keine Rolle. Die "Quantität religiöser Handlungen" in der Moschee sei aus Sicht des Gerichts kein Problem, denn es sei "Allgemeingut, dass in der islamischen Welt die Religionsausübung einen weit größeren Teil des Alltagslebens einnimmt, als es in der profanen, laisierten 'westlichen' Welt der Fall ist". Aus der Entscheidung: "In dieser, der 'westlichen' Welt, betrug der kanonische Teil bis noch in das 20. Jahrhundert auch einen bestimmenden Teil des täglichen Lebens, was heute aus der Alltagserfahrung nicht mehr nachvollziehbar ist. Dies gegenseitige Befremden mag auch die belangte Behörde zu ihrer Beurteilung der Vereinsaktivitäten veranlasst haben."

Das Gebet und die katholischen Verbindungen

Aus dem gemeinsamen Gebet lasse sich keine Überschreitung der Vereinsstatuten ableiten: "Diese Einschätzung träfe nicht nur bei den Mitgliedern des gegenständlichen Vereins, sondern auch beim überwiegenden Großteil der islamischen Gesellschaften auf Unverständnis. Überdies ist der Zutritt in die Räume des Vereins ersichtlich nur Vereinsmitgliedern erlaubt und erfolgt das Gebet nicht in der im Islam kanonisierten Form." Ansonsten müsste das im Umkehrschluss "auch zur Auflösung der Farbe tragenden katholischen Studentenverbindungen Österreichs führen, als diese ihr Vereinsleben häufig um die, dann katholische, Religion anlegen", wird abschließend erklärt.

Der hinter der Moschee stehende Verein fühlt sich bestätigt. Dessen Verteidiger Christian Fauland hält die Art und Weise, wie der Verein zuvor aufgelöst worden sei, für rechtsstaatlich bedenklich. Aus seinem Mandanten, der ehemals "grauen Eminenz" des Vereins, Ebu Muhammed, und der Melit-Ibrahim-Moschee sei ein "Zentrum des Terrorismus" gemacht worden. Das würde der Ermittlungsakt aber nicht hergeben. Fauland verweist auf das Protokoll einer Gerichtsverhandlung aus dem Jahr 2020, laut dem Moscheebesucher ausgesagt hatten, dass der ehemalige Prediger niemanden dazu aufgefordert habe, sich dem IS anzuschließen.

Mitglieder denken über Zukunft nach

Für Verfassungsschützer wurde Ebu Muhammed deshalb zum Problem, weil sich einige Besucher der Melit-Ibrahim-Moschee und vor allem die eines weiteren einschlägigen Gebetshauses in Graz, in dem seine Bücher auflagen (aus diesen soll sich ergeben, dass man "Ungläubige" töten soll), sich nach Syrien zum IS aufgemacht oder es zumindest versucht hatten. Die ehemals "graue Eminenz" des Vereins wurde Anfang 2020 wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig und wurde vom Obersten Gerichtshof neu aufgerollt. Seit nunmehr zwei Jahren streiten sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung über die Strafhöhe. Erst Ende Juni wurde sie auf sieben Jahre und drei Monate korrigiert. Ein rechtskräftiges Ende des Verfahrens ist noch nicht absehbar.

Der Verein hinter der berüchtigten "Hinterhofmoschee" kann jedenfalls weitermachen. Laut Fauland denken dessen Mitglieder derzeit darüber nach, wie es weitergeht und ob man anderswo einen Neustart versuchen könnte.

Mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts scheitern die Behörden jedenfalls bereits zum zweiten Mal an der Vereinsauflösung. Nach dem Anschlag in Wien wollte die Bundesregierung nämlich auch die einschlägig bekannte Tewhid-Moschee in Wien-Meidling schließen. Auch diese wurde von K. F. besucht. Doch das Gebetshaus öffnete schon wenig später wieder – und wechselte den mutmaßlich radikalen Prediger aus. Der Grund: Es konnte letztlich nicht nachgewiesen werden, dass es dort tatsächlich strafrechtlich relevante jihadistische Umtriebe gab. (Jan Michael Marchart, 6.9.2022)