Germanistin Minitta Kandlbauer fordert in ihrem Gastkommentar einen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus.

Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob Österreich ein Rassismusproblem hat, scheitert leider schon an der Uneinigkeit darüber, was Rassismus denn eigentlich ist. Für die einen sind Rassistinnen und Rassisten gewaltbereite Rechtsextreme und (Neo-)Nazis. In unserem Kopf tauchen Bilder von Skinheads auf und von hasserfüllten "keyboard warriors". Das Rassismusproblem erscheint also überschaubar, denn die meisten Österreicherinnen und Österreicher lehnen extremistische Gewalt und Hassrede ab.

50.000 Menschen demonstrierten im Juni 2020 für Black Lives Matter in Wien. Anlass war der Mord an George Floyd in den USA, aber auch struktureller Rassismus in Österreich wurde thematisiert.
Foto: Heribert Corn

Rassismus wird aber auch mit Xenophobie gleichgesetzt. Man hört Sätze wie "Rassismus gab es schon immer, das wird sich leider nie ändern", so wird Rassismus als naturgegeben dargestellt. Als etwas, das auf der Angst vor dem "Fremden" beruht und sich deshalb nicht aus der Welt schaffen lässt – auch nicht in Österreich. Und dann gibt es noch die Gruppe von Menschen, die sich sehr wohl an den Holocaust, den transatlantischen Versklavungshandel und an die Apartheid in Südafrika erinnern können, Rassismus aber als geschichtliches Phänomen betrachten, das durch die Änderung von Gesetzen und Regierungen überwunden wurde. Mit so vielen Definitionen in unserem Kopf reden wir im Alltag häufig aneinander vorbei.

Keine Charaktereigenschaft

Tatsache ist, dass sich Rassismus nicht nur in der extremistischen Gewalt von Einzelnen äußert und schon gar nicht angeboren ist. Die Welt ist nicht geteilt in die Guten und die Rassistinnen und Rassisten. Rassismus ist keine Charaktereigenschaft, sondern eine Ideologie. Diese Ideologie gab es nicht "schon immer", sondern sie diente als Rechtfertigung des Kolonialismus. Auch im Nationalsozialismus gab es Rassengesetze, die zur Hierarchisierung und Ermordung von Menschen eingesetzt wurden. Wenn wir Rassismus als eine Ideologie betrachten, ist auch klar, dass sie nicht einfach durch einen Beschluss der Regierung abgeschafft werden kann. Stellen wir also noch einmal die Frage: Wo steht Österreich, wenn wir Rassismus als eine Ideologie betrachten?

Um ein klares Bild von Rassismus in Österreich zu bekommen, müssen wir unseren Blick abwenden von den rassistischen Handlungen der Einzelnen und hin zu Formen des strukturellen Rassismus. Wenn Margarete Schramböck Afrika als ein "Land" bezeichnet, sollten wir uns also nicht über die Geografiekenntnisse unserer ehemaligen Wirtschaftsministerin lustig machen, sondern lieber fragen, warum unsere Lehrbücher bis heute einen Kontinent mit über 50 (anerkannten) Ländern und noch viel mehr Kulturen immer wieder als homogene Einheit darstellen und dabei kolonialistischen Bildern von Afrika treu bleiben. Schramböck ist nicht die erste und wird nicht die letzte Person sein, die Afrika als ein Land bezeichnet. Wenn wir an dieser Situation etwas ändern wollen, hilft nur eine Überarbeitung des Lehrmaterials.

Strukturelles Problem

Auch am Arbeitsmarkt zeigt sich Rassismus als ein strukturelles Problem. Nach einer Studie der Johannes-Kepler-Universität müssen sich muslimische Frauen mit Kopftuch 4,5-mal öfters bewerben wie ihre weißen Kolleginnen. Umso höher die Stelle, umso geringer sind die Chancen, trotz gleicher Qualifikation.

Hautfarbe und Herkunft spielen in Österreich wiederum bei Polizeikontrollen eine Rolle. Obwohl Racial Profiling offiziell nicht stattfinden soll, zeigt eine Studie der Europäischen Grundrechteagentur, dass Schwarze sowie Roma und Romnja in Österreich überproportional oft von der Polizei angehalten und durchsucht werden.

Laut dem Rassismusreport 2021 von Zara ist Rassismus auch in Form von Hass im Netz stark vertreten und ist somit ein Problem, für das weder Plattformhersteller noch Regierungen bisher gute Lösungen anbieten können. Zuletzt bleiben auch das Thema Asyl und die Verunglimpfung von Geflüchteten für österreichische Politikerinnen und Politiker weiterhin eine beliebte Methode, um Werbung für die eigene Partei zu machen. Dass dies auf Kosten von Geflüchteten geschieht, scheint fast gar keine Beachtung mehr zu finden.

In Österreich ist noch viel zu tun, wenn es um das Thema Rassismus geht. Einigkeit scheint nur darin zu bestehen, dass es schlecht ist, rassistisch zu sein. Die Gleichsetzung von Rassismus und Bösesein führt jedoch dazu, dass viele Leute mit der Verteidigung des eigenen Charakters beschäftigt sind. Gelöst werden kann das Problem nur, wenn wir Rassismus wieder als eine Ideologie wahrnehmen und nicht als die Einstellung eines bösen Individuums.

Nationaler Aktionsplan

Antirassismusarbeit kann auch nicht ohne den Beitrag von Institutionen und der Regierung erfolgen. Dafür braucht es einen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus. Bereits 2001 hat sich Österreich bei der UN-Weltkonferenz zu so einem Plan verpflichtet, momentan scheitert die Umsetzung aber eher am Willen. Dabei liefern Vereine wie das Black-Voice-Volksbegehren konkrete Forderungen für einen Nationalen Aktionsplan: Aufklärungsarbeit und Antirassismusworkshops für Schulen und Unternehmen, das aktive und passive Wahlrecht ab einer gemeldeten Wohndauer von fünf Jahren und eine unabhängige Kontroll- und Beschwerdestelle bei Polizeigewalt. Wie sehr Österreich bereit ist, den Meinungen und Forderungen von People of Color zuzuhören, ist aber vielleicht der beste Nachweis dafür, wie Österreich zum Thema Rassismus steht. (Minitta Kandlbauer, 16.9.2022)