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Kryptobefürworter nennen DAOs die Organisationsform der Zukunft und denken, dass sie klassische Unternehmen ersetzen könnten.

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In den 70er-Jahren wollte der chilenische Regisseur Alejandro Jodorowsky einen unvergesslichen Hollywood-Streifen drehen: Für die zwölfstündige Adaption der Science-Fiction-Reihe Der Wüstenplanet sollte eine imposante Filmkulisse geschaffen und kein Geringerer als Salvador Dalí in der Hauptrolle des Kaisers engagiert werden. Der Cast mit weiteren Stars wie Mick Jagger und Orson Welles stand bereit, die Verträge waren unterschrieben, zwei Millionen Dollar flossen in die Vorproduktion. Doch zur Umsetzung des gigantischen Filmprojekts kam es dann nie. Dune ist der vielleicht größte Film, der es nie auf die Leinwand schaffte.

Von dem Drehbuch, das unter Science-Fiction-Fans als Dune-Bibel geradezu kultisch verehrt wird und als beliebtes Sammlerstück gilt, soll es schätzungsweise noch zehn bis 20 Exemplare geben. Eines davon haben Anfang des Jahres Krypto investoren der Gruppe Spice DAO erworben – für 2,66 Millionen Euro. Dahinter verbirgt sich eine so genannte dezentralisierte autonome Organisation, kurz DAO. Das klingt nach Untergrundorganisation, meint aber eine Kryptokooperative, die gemeinsam auf einer Blockchain Geld einsammelt.

Kein Chef oder Hierarchie

Man kann es sich wie einen Gruppenchat mit Bankkonto vorstellen: Es gibt keine Büros, keine Chefs, keine Hierarchien, nur Programmcode. Entscheidungen werden kollektiv von allen Mitgliedern getroffen, die das Unternehmen als Genossenschafter gemeinschaftlich besitzen. Die Kombination aus radikaler Basisdemokratie und finanzieller Autarkie beflügelt die Träume libertärer Kryptoinvestoren und Sozialisten gleichermaßen. Sie hoffen, dass sich mit dem Vehikel der Blockchain das Internet in ein dezentrales, von Nutzern kontrolliertes Ökosystem entwickeln lässt (Web3). Kein Wunder, dass um DAOs ein riesiger Hype entstanden ist. So hat die Constitution DAO, eine Gruppe von tausenden Krypto-Fans, 45 Millionen Dollar eingesammelt, um bei einer Auktion eine seltene Kopie der amerikanischen Verfassung zu ersteigern. Letztlich erhielt das Investorenkollektiv bei der Auktion den Zuschlag nicht, doch die Kampagnen- und Finanzierungsfähigkeit von DAOs hat sich auch außerhalb der Krypto-Community herumgesprochen.

Für konservative Analysten sind DAOs bloß ein obskures Finanzvehikel, ein "finanzieller Flashmob", deren Teilnehmer bei Auktionen mal richtig auf den Putz hauen. Andere wiederum glauben, dass Krypto kollektive die Organisationsform der Zukunft sind und als eine Art digitale Zunft klassische Unternehmen ersetzen können.

Alternatives Einkommen

Der Kryptoexperte Ben Schecter hat auf Medium unter der Überschrift "The Future of Work is Not Corporate" einen Blogbeitrag zum Thema verfasst, in dem er darlegt, wie Automatisierung, Digitalisierung und Blockchain die Arbeitswelt verändern. "In Zukunft wird es sehr wahrscheinlich, dass die durchschnittliche Person nicht für ein Unternehmen arbeitet. Stattdessen werden die Leute ihr Einkommen auf unkonventionellen Wegen verdienen, etwa indem sie Spiele spielen, neue Fähigkeiten erlernen, Kunst schaffen oder Inhalte kuratieren", schreibt er. Diese neue Arbeit werde um losere Strukturen und Netzwerke wie Kryptoprotokolle organisiert, die die administrative Funktion von Unternehmen übernehmen.

Über sogenannte Smart Contracts – ein auf der Blockchain hinterlegter, sich selbst ausführender Vertrag, der bestimmte Anweisungen enthält – werden Arbeitsprozesse delegiert und automatisiert. Eine Personalabteilung, die Gehaltsabrechnungen ausstellt, braucht es nicht mehr; der Verdienst ist für alle Teilnehmer in offenen Blockchain-Protokollen einsehbar.

Der Trend, dass Arbeit durch die Digitalisierung und Automatisierung in immer mehr Teilaufgaben und Projekte zerfasert und fluider wird, ist ja schon seit einiger Zeit erkennbar. Sogenannte Gig- und Microworker hangeln sich von Auftrag von Auftrag, und der Arbeitsalltag von Servicekräften besteht immer mehr darin, Maschinen zu beaufsichtigen.

Neue Machtstrukturen

In ihrem aktuellen Buch Work with out Jobs schreiben Ravin Jesuthasan und John Boudreau, dass das klassische Betriebssystem von "jobholders" durch die Automatisierung in Auflösung begriffen ist. In einer "Welt ohne Jobs" sei "hierarchische Autorität" fehl am Platz, weil Arbeit zunehmend Selbstmanagement bedeute. Die Aufgabe von Managern bestehe darin, projektspezifischer und nicht jobzentriert zu denken. Und hier kommen wiederum DAOs ins Spiel, weil sie Talente ohne Friktionen und Personalaufwand für bestimmte Projekte ins Boot holen können. Mit der Drivers Cooperative gibt es in den USA bereits eine Taxi-App, die im Gemeinschaftseigentum der Fahrer steht.

DAOs aktualisieren das Modell akephaler – also herrschaftsfreier – Gesellschaften, in denen sich Stämme oder Dörfer weitgehend ohne staatliche Zentralgewalt organisieren. Solche Gemeinschaften finden sich noch heute in der indigenen Bevölkerung Afrikas, und auch die Kryptowährung Bitcoin funktioniert nach diesem Prinzip – wenngleich sich auch in den vermeintlich hierarchiefreien Krypto-Communitys neue Machtstrukturen und "inner circles" bilden. Und auch die führungslosen DAOs sind nicht frei von Problemen. So wurden bei einem Hack auf die Organisation "The DAO" 2016 60 Millionen Dollar Kryptowährung gestohlen. Die US-Börsenaufsicht SEC beobachtet das Geschäftsgebaren der Organisationen und ihrer oft schwer nachvollziehbaren Finanzströme mit Argusaugen. Nach dem jüngsten Krypto-Crash sind einige Projekte in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die Utopie der herrschaftsfreien Arbeit muss wohl noch eine Weile warten. (Adrian Lobe, 23.9.2022)