Im Gastblog schreibt Daniel Witzeling in Anlehnung an Thomas Bernhard über die Positionierung der SPÖ in der Gegenwart - Schachtelsätze inklusive.

"Wald, Hochwald, Holzfällen"

Mit dieser Bekenntnis zur Natur löst der Burgschauspieler unerwartet Sympathie beim Ich-Erzähler in Thomas Bernhards Werk “Holzfällen“, der auf einem Ohrensessel sitzend die Wiener Gesellschaft analysiert, aus. Sein Buch ist eine Abrechnung mit der österreichischen Seele, die in den satirisch-sarkastischen Übertreibungen eine alles zersetzende Komik gewinnt.

Ähnlich kann man das Wahlergebnis der vergangenen Landtagswahlen in Tirol sehen. Ein Spiegel (zumindest) der tirolerischen Identität und - aufgrund der Tatsache, dass gewählte Politikerinnen und Politiker in ihrer Funktion als gewählte Volksvertretung als Teil eines solchen Konstrukts, das sich “Identität“ nennt, gesehen werden können - eine Abrechnung mit der nationalen, zumindest mit all ihren Abgründen und Abwehrmechanismen. Das Ergebnis dieser Konfrontation mit den Defiziten unseres Seins in nahezu all ihren Ausformungen ist für den gelernten Politfetischisten immer wieder aufs Neue spannend. Besonders interessant am Ergebnis in Tirol ist das Resultat der SPÖ, die trotz hoher Verluste der regierenden Parteien ÖVP und der Grünen kaum von oben genannten Prozessen profitieren konnte, sondern im Gegenteil noch von der FPÖ überholt wurde.

Der sonst so redegewandte SPÖ-Spitzenkandidat Georg Dornauer war am Wahlabend ziemlich leise.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Versuch einer Ursachenanalyse: SPÖ an der Ideen- und Ideologiegrenze

Eingangs zitierter Jahrhundertschriftsteller Bernhard war ein erbarmungsloser Analytiker der österreichischen Seele und insbesondere ihrer mannigfaltigen Mankos. So ging er untere anderem mit der Stumpfsinnigkeit unseres Schul- und Bildungssystems und der daraus resultierenden, in ihrer Geistes- und Gemütslage zerstörten Existenzen hart ins Gericht. Die Auswirkungen des von Thomas Bernhard schon vor Jahrzehnten beschriebenen destruktiven Prozesses der Negativselektion können wir nun in der lokalen bis nationalen Innenpolitik beobachten.

Ganz schlimm dürfte dieser Effekt die SPÖ betreffen, und das schon über lange Zeit. Eine ökonomische Krise einzigartigen Ausmaßes und die stolze Arbeiterbewegung ist nicht in der Lage, dieses Machtvakuum zu ihren Gunsten zu nutzen. Im Gegenteil, sie liefert zu den großen Fragen unserer Zeit mit anderen Parteien teils beliebig austauschbare Antworten und Floskeln. Corona, Krieg in der Ukraine sowie die mehr denn je aufkommende Frage der Verteilungsgerechtigkeit – und die Sozialdemokratische Partei Österreichs landet zumindest in Tirol hinter ÖVP und FPÖ. Ein blamables Geschehen für eine einst dominierende Großpartei. Die sonst ideologieaufgeladene Sozialdemokratie scheint im bernhardschen Sinne “stumpfsinnig“ geworden zu sein.

Alleinstellungsmerkmal der Sozialdemokraten

Können Sie einen Punkt nennen, in dem sich die SPÖ in der aktuellen Politthemenlage von ihren Mitbewerbern unterscheidet oder warum gerade Sie die Partei unbedingt wählen? Sicherlich gibt es noch alte Granden aus vergangenen Generationen wie Hannes Androsch, jedoch hat man bei der Generation SPÖ 4.0 so seine Zweifel. Nicht ohne Grund dürfte der sonst so redegewandte SPÖ-Spitzenkandidat Georg Dornauer am Wahlabend ziemlich leise geworden sein. Sollte der Dornauer-Effekt, sprich gute Umfrageergebnisse und schwaches Abschneiden, auch bei der kommenden Nationalratswahl eintreten, sollte die ehemalige Bewegung der kleinen Frau und des kleinen Mannes langsam einen Selbstreflexionsprozess in Richtung der Sinnfrage des SPÖ starten, sonst könnte es am Wahlabend der Nationalratswahlen zu einem “Nightmare on Löwel Street“ kommen.

Vielleicht sollte man einen Blick nach Graz wagen, die Stadt, in der die KPÖ nicht nur über eine intellektuell und menschlich versierte Bürgermeisterin verfügt, sondern Themen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen zumindest andenkt. (Daniel Witzeling, 3.10.2022)

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