"Oh, das hätten Sie nicht tun dürfen", wies die Vorgesetzte meine Freundin zurecht. "Ganz blöd gelaufen. Wenn sich das herumspricht!" Meine Freundin arbeitet als Headhunterin einer Personalagentur. Sie ist dort für die Suche und Auswahl qualifizierter und oft sehr spezialisierter Fachkräfte zuständig. Nun war Folgendes passiert: Im Auftrag eines Unternehmens hatte sie eine Frontend-Entwicklerin (irgendwas sehr Modernes mit Software) gesucht – und einen Goldschatz gehoben. Die 23-jährige Traumkandidatin war mehrsprachig, berufserfahren, mit Preisen dekoriert. Alle Beteiligten waren "superhappy". Die Traumkandidatin fand ihr neues Mega-Gehalt "nice", genauso wie die lässigen Homeoffice-Konditionen.

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In der Midlife-Crisis ist es oft ein teurer Sportwagen, in der Quarterlife-Krise eher ein Minivan mit Meerblick.
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Aus der Balance

Doch dann kam alles anders. Am Tag der Vertragsunterzeichnung saß die junge Wonder Woman im Büro meiner Freundin. Sie wolle den Job doch nicht, sagte sie und fuhr mit den Händen durch ihre in Regenbogenfarben gebleichten Haare. Tränen rannen über ihre Pfirsichwangen. "Um Himmels willen, warum denn nicht?", fragte meine Freundin. "Sie haben dort alle Freiheiten und verdienen mehr als ein Topmanager!" – "Ich habe eine Quarterlife-Crisis", schluchzte die junge Frau. Das wäre der Moment gewesen, in dem meine 50-jährige Freundin hätte die Klappe halten und eine Packung Kleenex auf den Tisch stellen sollen. Stattdessen lachte sie, als hätte ihr jemand einen Witz erzählt, dessen Pointe sie nicht verstand, und fragte: "Was soll das bitte sein?"

Moderne Nerven

"Oh, das darfst du nicht machen", rufe ich, als mir meine Freundin die ganze peinliche Geschichte erzählt. Altklug erkläre ich ihr, dass viele junge Menschen auf all den Leistungsdruck keinen Bock mehr hätten. Dass diese Leute mit Instagram aufgewachsen und nun auch von ihren eigenen Ansprüchen überfordert seien. "Erinnere dich, wie gruselig uns früher das Erwachsenenleben vorkam", sage ich. "Bloß dass wir uns von unseren Sinnkrisen mit Drogen und Abtanzen ablenkten. Das war damals definitiv kein guter Plan." Ich hätte ihr noch viel mehr über die neuen Sprachregelungen erzählen können. Zum Beispiel, dass man das Wort "behindert" nur mehr unter Androhung von Todesstrafe ins Rennen schickt. Dass mir der Begriff Intersektionalität inzwischen wie Butter von den Lippen flutschte. Dass eine andere, besonders entzückende Freundin gerade auf der Documenta war. Und von dort die Erkenntnis mitbrachte: "Psychisch krank nennt man jetzt neurodivers." Das Lernen hört nie auf. Gewöhnen wir uns daran.
(Ela Angerer, RONDO, 23.10.2022)